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Politik

Irak: Mühsamer Kampf gegen pro-iranische Milizen

9. Oktober 2020

Wiederholte Angriffe pro-iranischer Milizen auf die US-Botschaft in Bagdad haben die USA dazu veranlasst, dem Irak mit deren Schließung zu drohen. Iraks Regierung steht vor einer schwierigen Aufgabe.

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Amerikanische Soldaten Baghdad
US-Soldaten im Irak (Archivbild von 2019)Bild: Maj. Charlie Dietz/Planetpix/ZumaPress/picture-alliance

Iraks Außenminister Fuad Hussein ist alarmiert. Läuft es schlecht, drohen seinem Land diplomatische Kanäle auszutrocknen und wichtige Unterstützung wegzubrechen. Wiederholt hatten die USA in den vergangenen Wochen und Monaten Angriffsversuche pro-iranischer Milizen mit Raketen auf ihre Botschaft in Bagdad registriert. Allein im Zeitraum zwischen Oktober vergangenen und Juli dieses Jahres soll die Botschaft 40 Mal zumindest versuchsweise mit Raketen beschossen worden sein. 

Warnung aus Washington

Vor einigen Tagen dann warnte US-Außenminister Mike Pompeo den irakischen Staatspräsidenten Barham Salih wie auch Premierminister Mustafa al-Kadhimi: Sollte der Irak die Botschaft nicht effektiver schützen, würden die USA ihre diplomatische Vertretung in Bagdad dichtmachen.

Die Warnung löste in der irakischen Regierung einige Nervosität aus. Sollte sich das diplomatische Korps der USA aus Bagdad verabschieden, könnten bald auch andere diplomatische Vertretungen schließen, warnte Außenminister Hussein.

Dies ist womöglich aber nicht die größte Gefahr. Das Online-Magazin "Middle East Eye" berichtet unter Berufung auf anonyme Quellen in Bagdad, dass die USA auch einen Militärschlag gegen Kommandozentralen und weitere Einrichtungen pro-iranischer Milizen im Irak nicht ausschlössen und sich bereits entsprechend vorbereitet hätten. Satellitenaufnahmen seien längst ausgewertet, der Beschuss von rund 80 definierten Zielen könne jederzeit beginnen, heißt es in dem Magazin.

Unabhängig bestätigen lassen sich solche und ähnliche Berichte nicht, doch sie sorgen für Beunruhigung im Land und in der Region - und erhöhen den Druck auf die Regierung in Bagdad, stärker gegen die pro-iranischen Milizen im Land vorzugehen, deren Abhängigkeit von Iran unterschiedlich ist.

US Botschaft Baghdad Proteste
Proteste von Anhängern pro-iranischer Milizen vor der US-Botschaft in Bagdad im Januar 2020Bild: Maj. Charlie Dietz/Planetpix/ZumaPress/picture-alliance

"Achse des Widerstands"

Das aber dürfte schwierig werden, denn die Angreifer denken bisher nicht an Aufhören. "Diejenigen, die diese Angriffe auf ausländische Vertretungen ausführen, zielen darauf, den Irak zu destabilisieren und seine regionalen und internationalen Beziehungen zu schwächen", so Außenminister Hussein. 

Experten sehen dies ähnlich. Es sei nahezu unmöglich, den radikal-schiitischen Milizen beizukommen, schreibt der Polit-Analyst Hamdi Malik in einer Analyse für den amerikanischen Think Tank "Atlantic Council": "Gruppen wie die Kataib Hisbollah (KH) dürften ihre Waffen nicht freiwillig oder auf Grundlage von Verhandlungen aus der Hand geben", so Malik. Sie seien "überzeugt, einem höheren Ruf zu folgen" und betrachteten sich als Teil einer vom Iran angeführten "Achse des Widerstands", die sich vor allem gegen die US-Präsenz in der Region richtet. "Es ist darum naiv, anzunehmen, dass die KH und ähnliche irakische Milizen sich ohne ernsthaften Druck auf Kompromisse einlassen."

Die Kataib Hisbollah waren zuletzt zwar nicht mehr offen an militärischen Angriffen auf US-Einrichtungen beteiligt - doch andere Milizen tun dies weiterhin.

Sorge vor militärischer Eskalation

Entsprechend pessimistisch klingen manche Einschätzungen dazu aus der irakischen Hauptstadt. Sollten die Amerikaner sich tatsächlich wehren und ihrerseits die Milizen angreifen, könnte das einen neuen Krieg im Land zur Folge haben, zitiert "Middle East Eye" einen namentlich nicht genannten schiitischen Politiker. Andere politische Beobachter spekulieren besorgt, dass bei anhaltenden militärischen Provokationen gegen US-Einrichtungen im Irak ein amerikanischer Vergeltungsschlag vielleicht sogar im Interesse des im Wahlkampf stehenden US-Präsidenten Donald Trump liegen könne. Schließlich könnte es ihm eine Gelegenheit bieten, sich als starker Mann zu inszenieren, der militärische Angriffe auf amerikanische Einrichtungen mit aller Entschlossenheit unterbinde.

Iraks Premier al-Kadhimi sind solche Gefahren bewusst. Er will den Einfluss der pro-iranischen Milizen bekämpfen - doch dies ist in seinem Land nicht so einfach.

Um den Milizen zunächst ökonomisch das Wasser abzutragen, hat al-Kadhimi deshalb einige zentrale Positionen im irakischen Staat neu besetzt. So wechselte er die Führungsspitze der irakischen Anti-Terror-Behörde aus. Auch Schaltstellen der irakischen Zentralbank und weiterer Finanzinstitutionen haben inzwischen neue Leiter. Immer wieder stand deren Führungspersonal im Ruf, ihnen anvertraute Gelder nicht nur in die eigene Tasche, sondern auch in ihnen verbundene Parteien und Milizen fließen zu lassen.

Auch militärisch hat Iraks Regierung bereits die Muskeln spielen lassen: ٍٍٍٍٍٍIm Juni griffen irakische Truppen Basen der Kataib Hisbollah an und verhafteten rund ein Dutzend ihrer Kämpfer. Viel mehr ist jedoch nicht passiert, außer dass offenbar einige Umgruppierungen bei den Milizen stattgefunden haben. Premier al-Kadhimi muss auch gegenüber Iran und pro-iranischen Kräften Vorsicht walten lassen. 

USA | Mustafa al-Kadhimi irakischer Premierminster zu Besuch in Washington
Schwierige Partnerschaft: Iraks Premier Mustafa al-Kadhimi und US-Präsident TrumpBild: picture-alliance/Newscom/A. Moneymaker

Der Einfluss des Iran

Al-Kadhimi ist erst seit Mai im Amt. Und er wurde seinerzeit nicht nur von den verschiedenen politischen Fraktionen des Irak, sondern auch unter erheblichem Einfluss des Iran - aber durchaus auch mit Zustimmung der USA - zum Premier ernannt. Damit steht er im außenpolitischen Konflikt USA-Iran genau wie sein Land zwischen allen Stühlen. Amerikanische Interessen kann er als irakischer Regierungschef genauso wenig ignorieren wie iranische, denn der politische, wirtschaftliche und kulturelle Einfluss des Teheraner Regimes im unmittelbaren Nachbarland Irak ist nicht zu unterschätzen.

Milizen unter Druck

Ein Faktor könnte al-Kadhimi beim Vorgehen gegen die pro-iranischen Milizen jedoch zugute kommen: Die Milizen durchlaufen bereits seit Monaten eine schwierige Phase. Anfang Januar waren der Kommandeur der iranischen Quds-Einheiten, Quasem Solimani, und der Chef der ihnen verbundenen irakischen "Volksmobilisierungseinheiten", Abu Mahdi al-Muhandis, durch einen amerikanischen Drohnenangriff getötet worden.

Dies hatte die Milizionäre und den Iran selbst durchaus geschwächt, denn Soleimanis Nachfolger, Esmail Ghaani, verfügt nicht über dessen weites, auch durch persönliche Kontakte vertieftes Beziehungsnetz in den Irak. Zudem machen sich auch die US-Sanktionen gegen Teheran im Budget der pro-iranischen Milizen im Irak bemerkbar: Die dem Iran dadurch entgangenen Einnahmen bedeuten grundsätzlich auch weniger Fördergelder für seine auswärtigen Verbündeten, zumal das iranische Regime derzeit wegen der Corona-Pandemie zusätzlich unter Druck steht, ökonomisch ebenso wie politisch.

Die pro-iranischen Milizen im Irak sehen sich überdies politischem Druck von der Straße ausgesetzt. Die im Herbst vergangenen Jahres angelaufenen Demonstrationen überwiegend junger Iraker richteten sich deutlich auch gegen den Einfluss des Iran in ihrem Land. Im vergangenen November hatten Demonstranten sogar das iranische Konsulat in der Stadt Nadschaf in Brand gesetzt. Der Protest ist zwischenzeitlich zwar - nicht zuletzt bedingt durch die Corona-Krise - abgeebbt, doch die politischen Anliegen der Bewegung bestehen fort.

Sollten die Amerikaner sich allerdings entschließen, den Irak wegen mangelnden Schutzes ihrer Botschaft zu "bestrafen" - sei es durch Schließung der Botschaft oder gar durch eine militärische Aktion auf irakischem Boden  - könnte dies in Teilen dieser Protestbewegung auch zu Solidaritätseffekten führen. Von diesen würden nicht die USA profitieren - sondern die Milizen und ihre Geldgeber in Teheran. 

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika