Interview mit Booker-Prize-Gewinner Damon Galgut
29. November 2021Damon Galgut erhielt in diesem Jahr für sein Buch "The Promise" den renommierten Booker Prize 2021, den wichtigsten britischen Literaturpreis. Der Roman erzählt die Geschichte dreier Geschwister, die in einer weißen Familie in Pretoria aufwachsen und deren Leben durch den letzten Wunsch ihrer Mutter, den Familienbesitz einem schwarzen Diener zu vermachen, aus den Fugen gerät. Galgut kennt Pretoria, wo er 1963 geboren wurde, sehr gut. In den 1980er-Jahren zog er nach Kapstadt um, wo er auch heute noch lebt. Unter dem Titel "Das Versprechen" erscheint sein Roman am 23. Dezember auch auf Deutsch, und zwar im Münchner Luchterhand Literaturverlag.
Zuvor hatte Damon Galgut unter anderem das Buch "The Good Doctor" verfasst, das bereits 2003 auf der Shortlist für den Man Booker Prize stand. "The Impostor" erschien 2007 und "In a Strange Room" im Jahr 2010. Im DW-Interview spricht er über seine Arbeit und die afrikanische Literaturszene.
DW: Wie fühlt es sich an, den Booker Prize zu gewinnen? Waren Sie überrascht?
Damon Galgut: Ja, ich war überrascht. Aber ich habe es, glaube ich, inzwischen verarbeitet. Zumindest bin ich dabei, es zu verarbeiten. Und natürlich fühlt es sich gut an! In gewisser Weise auch lebensverändernd, denn ich bin ja eher ein unauffälliger Mensch. Ich muss das alles erst noch begreifen.
Lebensverändernd, sagen Sie. Was genau ist jetzt anders geworden?
Nun, es bringt ein Maß an Aufmerksamkeit mit sich, das ich nicht gewohnt bin. Meine Leserschaft wird wesentlich breiter. Es führt zu Übersetzungen in Sprachen, in die meine Arbeit sonst nie gelangt wäre. Und natürlich bleibt auch eine gewisse finanzielle Belohnung nicht aus.
All das ist natürlich der Traum eines jeden Schriftstellers. Aber dieses große Interesse allem dem Autor und weniger seinem Werk. Das irritiert schon.
Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Buch gekommen?
Die Idee entstand in einem Gespräch mit einem Freund. Er hat beide Eltern, seinen Bruder und seine Schwester verloren. Eines Tages erzählte er mir von den Beerdigungen seiner Familienmitglieder. Das klingt vielleicht nach einem sehr deprimierenden Thema. Aber er ist jemand, der einen sehr schwarzen Humor hat, und so hat er es sehr, sehr lustig erzählt: Er sprach über Dinge, die eben bei Beerdigungen passieren - wenn Menschen versuchen, an Geld zu kommen, ein Erbe zu erhaschen. Er erzählte von Menschen, die zu spät kommen und solchen, die aneinander vorbeireden...
Diese Anekdoten blieben mir im Gedächtnis und nahmen schließlich Form an. So kam ich auf die Idee, einen Roman über eine Familie anhand von vier Beerdigungen zu erzählen. Jede Beerdigung in einem anderen Jahrzehnt anzusiedeln, machte es möglich, gleich noch etwas über das Land, nämlich Südafrika, zu erzählen.
Haben sie deshalb Kinder als Protagonisten gewählt? Zum Beispiel die Figur der Amor?
Nun, sie ist nur im ersten Teil des Buches ein Kind. Ich wollte herausfinden, was Zeit mit den Menschen und dem Land, mit der Landschaft und der Politik des Landes macht. An der Figur Amor, der jüngsten Schwester der Familie, kann man auch sehen, was mit ihr, ihrem Körper und ihrem Leben in diesem Zeitraum passiert. Aber sie ist natürlich nicht die einzige Figur.
Wie schwierig war es, die Geschichte der ethnischen Herkunft und der Trennung der weißen und der schwarzen Bevölkerung in Südafrika zu erzählen?
Nun, man kann nicht über Südafrika schreiben, ohne über race* zu schreiben. Es ist insofern schwierig, als man sich immer wieder in recht heiklen Bereichen bewegt. Natürlich muss man entscheiden, wie man sich diesen Fragen nähert.
Für die meisten Südafrikaner sind das Themen ihres täglichen Lebens, wie sollte es auch anders sein? Es ist immerhin ein Land, in dem sich sehr, sehr viel um Fragen rund um race dreht. Und seine Zukunft hängt davon ab, ob und wie diese Fragen gelöst werden.
Ist die Familie Swart in Ihrem Buch eine typische südafrikanische weiße Familie?
Das ist schwer zu sagen. Ich weiß gar nicht, was eine typische südafrikanische Familie ist. Ich wollte aber, dass die Swarts das weiße Südafrika repräsentieren. In diesem Sinne sind sie wohl schon typisch.
Gleichzeitig gibt es wahrscheinlich genauso viele weiße Familien, die nicht so sind wie diese spezielle Familie. Aber sie fängt sicherlich viele der Aspekte des Aufwachsens in Südafrika ein, an die ich mich noch aus meiner Zeit in Pretoria erinnere, wo ich 1963 geboren wurde.
Welche dieser Erfahrungen hat Sie für Ihr Leben geprägt?
Wie die Roman-Familie Swart wuchs ich im turbulenten Haushalt einer dysfunktionalen Familie auf. Es gab die verschiedensten Persönlichkeiten, die mich prägten.
Zunächst konvertierte meine Mutter zum Judentum, weil mein Vater Jude ist, und so wuchsen wir ein wenig damit auf. Später ließ sie sich von meinem Vater scheiden und heiratete einen Afrikaans-sprechenden ('Afrikaans' ist eine Minderheitensprache, die im heutigen Südafrika mit dem Apartheid-Regime in Verbindung gebracht und deren Verwendung kontrovers diskutiert wird. Anmerk. d. Red.) Südafrikaner mit calvinistischem Hintergrund, so dass uns auch das beeinflusste.
Meine Mutter selbst ist eine spirituell Suchende. So gab es auch verschiedene östliche Einflüsse in unserem Zuhause. All das spiegelt sich in den verschiedenen religiösen Aspekten wider, die das Buch durchziehen.
Diese Aspekte sollten repräsentativ sein, denn ich denke, dass Südafrika ein Schmelztiegel ist, in dem es so etwas wie race eigentlich gar nicht mehr gibt. Viele Kämpfe darum erscheinen deshalb ein wenig absurd, vor allem wenn man bedenkt, dass wir heute alle eine Mischung sind. Diese Mischung sollte auch in der Familie zum Ausdruck kommen.
Im Jahr 2021 wurden viele Autoren vom afrikanischen Kontinent mit bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet - der tansanische Autor Abdulrazak Gurnah erhielt den Literaturnobelpreis, Mohamed Mbougar Sarr gewann den Prix Goncourt, und David Diop den International Booker Prize. Ist die afrikanische Literatur im globalen Mainstream angekommen?
Ich hoffe es... Aber es könnte auch Zufall sein. Vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass man der afrikanischen Literatur und den afrikanischen Schriftstellern endlich Aufmerksamkeit schenkt. Es wäre zu hoffen. Wie auch immer: Die Zeit ist reif für uns afrikanische Schriftsteller. Afrikanische Literatur ist dynamisch und lebendig. Und es steht zu hoffen, dass afrikanische Regierungen das endlich ernst nehmen und ihren eigenen Künstlern die notwendige Unterstützung geben.
Das Problem ist ja nicht nur, dass der Westen für afrikanische Literatur nicht sehr empfänglich ist. Auch die Afrikaner selbst sollten empfänglicher für ihre Traditionen sein. Wir müssen uns also doppelt anstrengen.
Das englischsprachige Interview mit Damon Galgut führte Manasi Gopalakrishnan. Adaption ins Deutsche: Maria Sánchez und Stefan Dege.
*Der von Damon Galgut verwendete Begriff "race" wurde bewusst nicht übersetzt, da er im Englischen einen anderen Diskurs abbildet als der deutsche Begriff "Rasse". In der Berichterstattung der Deutschen Welle wird dieser üblicherweise nicht mehr verwendet.