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Wie sich Afrikas Kulturszene neu erfindet

28. Juni 2021

In Teilen des afrikanischen Kontinents ist die dritte Corona-Welle angekommen. Kulturschaffende kämpfen erfinderisch ums Überleben. Finanzielle Hilfen sind mau.

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Blick durch ein dreieckiges Fenster. Man sieht die Wolken am Himmel.
Blick in die Freiheit - so nah und doch unerreichbarBild: Earl Abrahams

Während in Europa vielerorts aufgeatmet wird und die Corona-Maßnahmen gelockert werden, steht Südafrika kurz vor der dritten Welle. Bereits zu Beginn der Pandemie 2020 war es eines der ersten Länder, das sehr strenge Maßnahmen verhängte, um den Ausbruch des Coronavirus zu kontrollieren. Wochenlang glich Johannesburg, Südafrikas Wirtschaftsmetropole, einer Geisterstadt.

Der südafrikanische Fotograf Earl Abrahams hat den Lockdown in einer Serie festgehalten: "Ich habe sie in meinen eigenen vier Wänden erstellt; also Bilder in meiner Wohnung aufgenommen und im Wohnblock gedreht", so der Bildkünstler. "Indem ich sie dann verkaufte, konnte ich überleben. Natürlich zu einem sehr niedrigen Preis, weil sich nur wenige in dieser Zeit solche Fotos leisten können."

Umdenken ist angesagt

Für unser Zoom-Interview ist Abrahams in sein Co-Working-Space im Stadtteil Rosebank gefahren. In seinem Wohnviertel Norwood falle in letzter Zeit ständig der Strom aus, erzählt der Fotograf im DW-Gespräch. Die Regierung habe schon längst die Leitungen erneuern wollen, es aber immer wieder auf die lange Bank geschoben. Und jetzt lägen die Prioritäten der Regierung sowieso woanders.

Ein Mann steht auf einer Feuerleiter in einer dunklen Häuserflucht.
Eines der Bilder ohne Titel aus Abrahams "Lockdown Serie"Bild: Earl Abrahams

Abrahams Hauptanliegen ist seit Ausbruch der Pandemie, irgendwie über die Runden zu kommen: "Es [Corona] hat mir in vielerlei Hinsicht die Lebensgrundlage entzogen: Man kann nicht mit Menschen in Kontakt treten, wenn man nicht zu Ausstellungen gehen und auch selbst nicht ausstellen kann. Und dann habe ich finanziell gelitten: Es finden keine Produktionen statt und die Budgets wurden gekürzt."

Wie viele Kreative musste sich auch Abrahams in Zeiten von Corona neu erfinden. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nahm er Aufträge von diversen Produktionsfirmen an, die über COVID-19 berichteten. Denn die durften noch produzieren.  

Seine eigene kreative Arbeit steht seit Monaten hinten an. "Ich muss so viele verschiedene Bälle in der Luft halten, dass ich mich nicht auf eine Sache konzentrieren kann. Mein Fokus liegt darauf, meine Rechnungen zu bezahlen." Diese Woche, sagt Abrahams, sei er in "einem Zustand großer Angst", da er einfach nicht weiß, wie seine (finanzielle) Zukunft aussehen wird. 

Ermittlungen gegen Ministerium für Kunst und Kultur

Fotograf Earl Abrahams im Selbstporträt.
Fotograf Abrahams musste sich während der Pandemie neu erfindenBild: Earl Abrahams

In Südafrika habe es zwar Förderung seitens des Ministeriums für Kunst und Kultur gegeben, aber wie man an diese Gelder rankommt, sei nicht transparent, berichtet Abrahams. "Viel von dem Geld wurde intern gestohlen. Gegen das Ministerium für Kunst und Kultur wird derzeit ermittelt, weil ein großer Teil der Gelder nicht bei den Leuten angekommen ist, die sie beantragt hatten."

Fördergelder für Kunstschaffende hat es im rund 3500 Kilometer entfernten Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo, gar nicht erst gegeben: "Nein, bisher nicht", bestätigt Amour Lombi empört. In die  Worte der Künstlerin mischen sich Zynismus und Verzweiflung. "Wir lebten eh schon von der Hand in den Mund. Wenn man ein Projekt in Arbeit hat, dann kann man atmen. Jeder von uns versucht, nebenbei Jobs zu finden, auch wenn sie nicht unbedingt mit Kultur zu tun haben."

2018 feierte die Kongolesin ihren ersten großen Erfolg, als sie die Hauptrolle im Film "Maki'La" spielte, der unter anderem auf der Berlinale gezeigt wurde. Die Pandemie hat Amour Lombi komplett ausgebremst. Ebenso wie die Regisseurin von "Maki'La", Machérie Ekwa Bahango: "Alle meine Projekte sind gestoppt. Ich bin noch nicht mal mehr in Kontakt mit meinen Produktionspartnern", so Bahango. "Ich starte wieder bei Null."

Regisseurin Machérie Ekwa Bahango auf der Berlinale. Sie steht vor einem der  großen Berlinale-Bären, die in der kompletten Stadt verteilt sind.
2018 präsentierte Machérie Ekwa Bahango ihren Film "Maki'La" auf der BerlinaleBild: DW/A. Steffes-Halmer

Beide Frauen sind sich sicher, dass Kultur und Kunst eine wichtige Rolle für die Identität im Kongo spiele, doch die Menschen seien sich dessen noch nicht wirklich bewusst: "Wir gehen gerade zurück in den Lockdown und das Erste, was verboten wird, sind die Kulturangebote, während Kirchen und Restaurants offen bleiben", so Bahango im DW-Interview. "Das heißt, dass wir die Bedeutung der Kultur nicht wirklich anerkennen."

Kultur hat keine Lobby 

Im westafrikanischen Gambia merke man nicht mehr viel von Corona, "außer Du gehst in eine Bank. Dann sagen sie Dir, Du sollst eine Maske anziehen", scherzt Ali Cham aka Killa Ace. Der Rapper sitzt in seinem Handyladen im Herzen von Serekunda, Gambias größter Stadt. Schon vor der Pandemie hat er Handyzubehör verkauft, um sich über Wasser zu halten. In diesem Jahr eröffnete er sein eigenes Geschäft: "Ich verlasse mich nicht auf die Musik, um zu überleben. Am Ende des Tages sollte man immer einen Nebenverdienst haben, um Geld zur Seite legen zu können. Denn was passiert, wenn es mit der Musik mal nicht weitergeht?" 

Killa Ace muss unser Gespräch mehrmals unterbrechen, um Kunden zu bedienen. In dem kleinen westafrikanischen Land, das komplett vom Senegal umschlossen ist, kennt den Musiker jeder und auch in den Nachbarländern hat er sich einen Namen gemacht.

Doch trotz seines Erfolgs musste er seine Alben auch schon vor Ausbruch der Pandemie selbst finanzieren. Auch in Gambia war die Situation für Kunstschaffende lange schon prekär, mit Corona hat sie sich noch verschärft. "Die Haupteinnahmequelle für uns hier sind Veranstaltungen. Die Tatsache, dass die Künstler seit mehr als einem Jahr nichts mehr organisieren konnten, hat sich finanziell ausgewirkt. Albumverkäufe funktionieren hier nicht wirklich", so Killa Ace, "Live-Streaming ist in Ordnung, aber nicht alle Gambier haben einen zuverlässigen Internetzugang."

In Gambia gab es eine geringe finanzielle Hilfe vom Staat: Künstler, die beim nationalen Zentrum für Kunst und Kultur registriert sind, konnten eine einmalige Hilfe von rund 5000 Dalasi beantragen. Das sind umgerechnet etwa 90 Euro. Für Gruppen belief sich die Förderung auf 20.000 Dalasi, rund 345 Euro. Killa Ace hat die Hilfe nicht beantragt; es passt auch irgendwie nicht zur seiner Mentalität, sich selbst durchschlagen zu wollen. Drei Ländergrenzen entfernt, im frankophonen Guinea, standen insgesamt zwei Milliarden Francs Guinéens, umgerechnet knapp 170.000 Euro, für den gesamten Sektor zur Verfügung.  

Wirtschaftsfaktor Kultur unterschätzt

Festivalorganisator Bilia Bah, Guinea
Bilia Bah organisiert in diesem Jahr die sechste Ausgabe des Theaterfestivals "Univers des Mots"Bild: Tamar Dia

"Es ist rein symbolisch. Hinter dieser Unterstützung steckt keine Strategie", sagt Bilia Bah. Der Schauspieler und Dramaturg organisiert seit 2012 das Theaterfestival "Univers des Mots" in Conakry. "Ich kann mit meinem Anteil noch nicht mal einen Monat lang die Miete für "Kyra" (Name seines Studios, Anmerk. der Red.) bezahlen. Aber ich habe mich sehr darüber gefreut, denn es war das erste Mal, dass wir überhaupt Unterstützung erhalten haben." 

Kultur finde fast ausschließlich im informellen Sektor statt, so Bah. Und das, obwohl es ein Bereich ist, der viele Arbeitsplätze schafft: Nicht nur die Künstler verdienten damit ihre Brötchen, auch die Verkäufer, die am Rande der Veranstaltungen etwa Getränke und Essen verkauften. Kulturveranstaltungen sind in Guinea seit Ende März 2020 verboten. "Wir mussten uns neu erfinden. Wir haben für Kommunikationsagenturen gearbeitet und Werbespots gemacht", so Bah im Gespräch mit der DW. "Normalerweise erfüllen wir mit unseren Theaterstücken einen Bildungsanspruch. Jetzt machen wir eben Filme, um diese Themen unterzubringen."

Seit vielen Jahren arbeitet Bah zusätzlich an internationalen Kooperationsprojekten mit, aktuell mit Theaterschaffenden aus dem Balkan. "Die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben, ist heute digital. Das stört mich nicht, aber die menschliche Wärme ist doch durch nichts zu ersetzen. Wir brauchen diese Energie, das gegenseitige Kennenlernen. Das ist die Essenz von dem, was mich an Kultur interessiert."

Es gibt nicht nur Verlierer in der Corona-Krise

Digitale Konzerte, digitale Theaterstücke, digitales Arbeiten. In der Coronakrise geht nichts ohne das Internet. "Für uns war es kein allzu großer Rückschlag. Wir waren schon vorher auf das 21. Jahrhundert vorbereitet, wo sowieso alles online erledigt werden kann", erklärt Jide Martin. Der Nigerianer ist Chef von "Comic Republic", einer erfolgreichen Comic-Produktionsfirma. "Die meisten unserer Künstler arbeiteten schon vorher mit Tablets. Wir hatten uns bereits von der analogen Kunst mit Stift und Papier entfernt."

Ein schwarzer Superheld steht vor einem überdimensionalem Alien.
"Comic Republic" ist auf afrikanische Superhelden spezialisiertBild: DW/J. Maier

Finanziell hat Comic Republic von der Krise sogar profitiert: "Wir waren produktiver als vor dem Corona-Jahr und hatten mehr Output. Und es gab eine erhöhte Nachfrage für Inhalte, einfach weil viele Leute zu Hause mehr freie Zeit hatten." Jide Martin und sein Team sind ein Sonderfall in dem westafrikanischen

Land. Etliche Künstler hat der achtmonatige Lockdown in Nigeria in den Ruin getrieben. Dabei ist gerade Lagos ein wichtiger kultureller Hub. In "Nollywood", wie die nigerianische Filmindustrie gemeinhin genannt wird, entstehen jährlich mehr als doppelt so viele Filme wie in Hollywood. Und doch können Nigerias Künstler nicht mit Unterstützung rechnen: Während der Coronakrise habe es von seiten der Regierung "keine wirksamen, hilfreichen Maßnahmen gegeben, um einer Branche zu helfen, die bei den Staatsoberen keine Anerkennung genießt".

Mehrere Tausend Kilometer weiter im Süden des Kontinents, kann Earl Abrahams den Worten seines Kollegen zustimmen: "Kultur wird schon als wichtig eingeschätzt, aber sie wird nicht priorisiert." Die Corona-Krise offenbart, dass die Kulturbranche in Subsahara-Afrika auch vor der Pandemie größtenteils auf sich selbst gestellt war. Sie blieb und bleibt am Leben durch den unermüdlichen Einsatz der vielen kreativen Köpfe, die der Kontinent hervorbringt.