Kultur in Zeiten von Corona
12. März 2020Als die Musiker des Streichquartetts Dafne die Bühne des altehrwürdigen Teatro La Fenice betreten, bleibt es in Venedigs bekanntem Opernhaus still. Obwohl von den mehr als 1.000 Plätzen kein Applaus zu hören ist, verneigen sich die Künstler in Richtung des Saals, bevor sie auf ihren Stühlen Platz nehmen und ihr knapp einstündiges Konzert beginnen. Die Violinistin Federica Barbali muss dabei grinsen, ebenso nach einer erneuten Verbeugung zur Mitte und am Ende des Auftritts. So, als stimme hier etwas nicht.
Während das Quartetto Dafne Ludwig van Beethovens "Streichquartett Nr. 4 in c-Moll Op. 18 Nr. 4" und Aleksander Borodins "Streichquartett Nr. 2 in D-Dur" spielt, wandert der Blick durch das 1792 eröffnete und nach einem Brand in den späten 1990er Jahren rekonstruierte und 2003 wieder eröffnete Theater, das Giuseppe Verdi Mitte des 19. Jahrhunderts für viele seiner Uraufführungen nutzte, darunter "La traviata". Der bestuhlte Zuschauerraum ist leer, ebenso die fünfstöckigen Logen des prächtigen Rokoko-Saals mit seinen schweren roten und goldenen Farben.
Statement für die Kultur
Das Theater hat den Auftritt live gestreamt und auf Twitter mit dem Hashtag #iorestoacasa versehen - "Ich bleibe zu Hause". Unter diesem Hashtag berichten Italiener aktuell von ihrem Leben in den Schutzzonen. Er ist ein Zeichen der Solidarität mit den vom Coronavirus infizierten Menschen. Während des Konzerts kommentieren Zuschauer den Auftritt, was ein Nutzer nach Vorbild der in einem Konzertsaal geltenden Regeln veranlasst, die anderen mehrfach mit einem "Shhhhhh" um Ruhe zu bitten.
Während weltweit Konzerte abgesagt und Kultureinrichtungen geschlossen oder die Teilnehmerzahlen begrenzt werden, sind Auftritte wie dieser ein Statement, die Kultur nicht stillstehen zu lassen. Nach dem Motto: "Wenn das Publikum nicht kommen kann, muss die Aufführung eben zum Publikum kommen", musizieren derzeit auch die Mitglieder des Mailänder Sinfonieorchesters Giuseppe Verdi vor einem leeren Saal, ihr Auditorium erreichen sie via Stream. Die Mitschnitte der Auftritte sammeln sie unter dem Hashtag #Lamusicanonsiferma - "Die Musik endet nicht".
In der Schweiz musste bereits im Februar das Ensemble des Luzerner Orchesters nach einer Tour durch Norditalien in Quarantäne. Eine ausverkaufte Orchester-Aufführung von Richard Strauss' Oper "Salome" wurde jedoch nicht abgesagt, sondern kurzfristig umgeplant: Statt des kompletten Orchesters lief die Oper mit Klavierbegleitung.
Konzerte trotz Coronagefahr
Die Verbreitung des Coronavirus zwang auch das Shanghai Symphony Orchestra, seine Auftritte abzusagen. Die Musiker nutzten die unfreiwillige Auszeit, um auf dem chinesischen Chatdienst We Chat Unterrichtsvideos und ihre heimischen Proben zu posten. Sie stellten auch Playlists zusammen, die den Menschen in Quarantäne über ihre Langeweile hinweg helfen sollten.
Bereits Ende Januar hatte Chinas Behörde für kulturelles Erbe die Museen des Landes angewiesen, ihre Ausstellungen über die sozialen Medien zu teilen. Auch Online-Ausstellungen mit virtuellen Rundgängen wurden angeregt.
In Bulgariens Hauptstadt Sofia hat das kleine Kammertheater Vazrazhdane gerade Anton Tschechows Drama "Onkel Wanja" aufgeführt und live gestreamt, verfolgt von Bulgaren auf der ganzen Welt. Einige User schrieben, dass sie auch bereit wären, für künftige Online-Aufführungen zu zahlen. Und ein virtueller Zuschauer kommentierte: "Ich weiß, dass Ihr mich aus meinem Wohnzimmer nicht hören könnt, aber ich habe gerade sehr laut applaudiert."
Hauskonzerte per Instagram & Co.
Jetzt meldete sich Starpianist Igor Levit zu Wort. Per Twitter ließ der politisch engagierte Pianist Igor Levit seine Fans wissen, dass er für sie ein privates Hauskonzert spielen wird. "Die Konzertsäle sind leer, gemeinsames Hören und Erleben von Musik ist dort nicht mehr möglich". Wünsche nach Musikstücken aus der Klassik konnten auf seinem Twitter-Account geäußert werden, wovon die Fans gern Gebrauch machten. Was er letztendlich am Donnerstagabend (11.03.2020/19 Uhr MEZ) spielen werde, verriet er nicht.
Auch im Rockbereich gibt es solche Initiativen, um der Corona-Pandemie etwas Kreatives entgegen zu setzen. Die italienische Rockröhre Gianna Nannini spielte ebenfalls am Donnerstag ein Hauskonzert im Netz. Umgeben von Instrumenten und Technik stand sie in ihrem privaten Musikstudio.
Angekündigt hatte sie das Event über ihre Social Media-Kanäle - als persönliche Maßnahme gegen die grassierende "Corona-Einsamkeit", wie sie es nannte. Altbekannte und aktuelle Songs von ihrem neuem Album wurde live per Instagram aus ihrem Haus in Mailand übertragen.
Virtuelle Erlebniswelten
Auch in Deutschland haben zahlreiche Theater und Konzertsäle mittlerweile ihre Pforten geschlossen. Das Gürzenich Orchester Köln hat sämtliche Veranstaltungen, zu denen mehr als 1000 Personen erwartet werden, absagen müssen - auf Anraten des Gesundheitsministers Jens Spahn, der die Verbreitung des Virus bei Großveranstaltungen eindämmen möchte.
Geoffry Wharton war über 30 Jahre lang als Konzertmeister beim Gürzenich Orchester tätig. Derart drastische Maßnahmen, so der gebürtige US-Amerikaner, habe er noch nie erlebt. "Natürlich gab es in all den Jahren auch schon mal Absagen, aber nichts in diesem Ausmaß. Am ehesten erinnert mich das noch an die Erfahrungen, die wir am 11. September 2001 in den USA gemacht haben. Da wusste auch niemand, wie wir angemessen darauf reagieren sollten, und so haben wir das Programm an dem Abend geändert. Aber selbst da wurde nichts abgesagt."
Jetzt entschloss sich das Gürzenich Orchester für Streaming als Notlösung. Darüber habe er sich sehr gefreut, so Wharton, er könne sich aber nicht vorstellen, dass sämtliche Vorstellungen bis auf Weiteres nur noch in virtuellen Welten stattfinden. "Die Leute möchten ja in die Konzertsäle für die Aufführungen, und wenn sie stattdessen zuhause bleiben müssen, wird das Streaming Modell sich nicht noch über Monate tragen", glaubt Wharton. "Und dann mache ich mir Sorgen um meine ganzen Kollegen und Freunde, die freiberuflich arbeiten. Keiner weiß, was denn mit denen geschehen soll, wenn Konzerte einfach nicht mehr stattfinden."