Warum der Nordirland-Konflikt wieder aufflammt
11. April 2021Ganz war sie nie weg, die Angst vor einer Rückkehr der Gewalt in Nordirland. Auch nicht in den vergangenen 23 Jahren Friedenszeit seit dem Abschluss des historischen Karfreitagsabkommens von 1998, das den brutalen Konflikt beendete.
Doch seit dem Brexit-Referendum 2016 ist die Angst wieder gewachsen. In Nordirland löste es große Unsicherheit über den künftigen Status der Region aus.
Die ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair und John Major gehörten damals zu den wenigen Politikern, die immer vor den gefährlichen Folgen eines Brexits auf das Friedensabkommen warnten.
Molotowcocktails und Barrikaden
Die gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Tage in Nordirland haben auch in der Republik Irland und in Großbritannien große Besorgnis ausgelöst. Bei den Krawallen wurden mehr als 70 Polizeibeamte verletzt. Außerdem wurde ein Bus entführt und in Brand gesteckt.
Die jüngste Gewalt begann am 29. März in der nordirischen Stadt Derry in einer Enklave der Unionisten, die von republikanisch dominierten Vierteln umgeben ist. Sie ging von einer 40-köpfigen Gruppe aus, mehrheitlich Jugendliche unter 18 Jahren, die Molotowcocktails und Wurfgeschosse auf Polizisten abfeuerte.
In einigen Städten kam es danach zu ähnlichen Gewaltausbrüchen, hauptsächlich in von Unionisten und Loyalisten dominierten Regionen. Als am Mittwoch in Belfast eine sogenannte "Friedensmauer" eingerissen wurde, die irische Nationalisten und britische Unionisten voneinander getrennt hatte, eskalierte die Lage.
Was sind die Ursachen der Gewalt?
Die gewaltsamen Ausschreitungen stehen im Zusammenhang mit der schon seit langem anhaltenden Kritik am sogenannten "Nordirland-Protokoll". Mit dieser Vertragsklausel des Brexit-Abkommens soll verhindert werden, dass an der Landgrenze zwischen EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland Grenzkontrollen stattfinden.
Allerdings hat das Brexit-Abkommen zu zusätzlichen Handelsbarrieren zwischen Großbritannien und dem britischen Nordirland geführt: De facto bleibt Nordirland im EU-Zollraum, sodass der Warenverkehr zwischen den beiden Landesteilen des Vereinigten Königreichs kontrolliert werden muss. Diese neuen Formalitäten für Waren auf dem Weg über die Irische See haben unter Unionisten in Nordirland - die für eine enge Anbindung an Großbritannien eintreten - für großen Unmut gesorgt.
Der Unmut nahm noch weiter zu, als Anfang des Jahres vorübergehend gewisse Produkte und Lebensmittel in Nordirland nicht mehr erhältlich waren. Die Unionisten-Partei DUP drängte London daraufhin mit 140.000 eingesammelten Unterschriften, aus dem Protokoll auszusteigen.
Ein weiterer Grund für die erneuten Gewaltausbrüche könnte auf einer Entscheidung der nordirischen Polizei (PSNI = Police Service of Northern Ireland) basieren. Diese hatte Ende März entschieden, Ermittlungen gegen Mitglieder aus der irisch-republikanischen Partei "Sinn Féin" einzustellen, die an einer Beerdigung im Juni 2020 teilgenommen und damit gegen Corona-Regeln verstoßen hatten.
Umstrittener Tweet
Arlene Foster, Minister von Nordirland und Vorsitzender der Unionisten-Partei DUP, kommentierte die jüngsten Gewaltausbrüche in einem umstrittenen Tweet. Die Verbreitung der Bilder mit dem brennenden Bus "dienten nur dazu, von den echten Gesetzesbrechern der Sinn Féin abzulenken".
Doch die jüngsten Krawalle lassen sich nicht nur mit einer Entgleisung der politischen Proteste erklären. In der nordirischen Presse verwiesen einige prominente Kommentatoren aus dem Lager der Unionisten darauf, dass es einen Zusammenhang mit dem zurzeit verschärften Kampf der britischen Polizei gegen Drogengangs geben könnte und diese den allgemeinen politischen Unmut für ihre eigenen Zwecke genutzt haben könnten.
Harter Brexit, harte Konsequenzen
Während viele Unionisten das Nordirland-Protokoll als Ursache der verschärften Lage seit dem endgültigen EU-Austritt zum Jahreswechsel betrachten, kommen die Republikaner zu einer anderen Analyse: Im Lager von Sinn Féin geht man davon aus, dass der Brexit insgesamt das Problem ist. Die schädlichen Auswirkungen des britischen EU-Austritts für Nordirland seien zu lange unbeachtet geblieben.
Für die unionistische Partei DUP wird dies nun zum Problem. Sie hatte leidenschaftlich für den Brexit geworben und sogar die Kampagne im Königreich mitfinanziert. Während der quälenden Brexit-Verhandlungen lehnte sie alle Vereinbarungen ab, die den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland unbeschädigt gelassen hätten. Ihr Ziel war ein harter Brexit.
Im Endeffekt konnte durch das Austrittsabkommen die Rückkehr einer harten Grenze zwischen Nordirland und Irland vermieden werden - die Rückkehr von Gewalt allerdings nicht.
Die überwältigende Mehrheit der nordirischen Bevölkerung lehnt Gewalt ab - unabhängig davon, ob sie Nationalisten, Unionisten oder keinem der beiden politischen Lager angehört. Doch kaum jemand war von den jüngsten Gewaltausbrüchen überrascht.