Berlins Neue Nationalgalerie wiedereröffnet
21. August 2021Fünf Jahre Sanierung und eine noch längere Schließzeit: Nun geht es endlich wieder los in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Kulturstaatsministerin Monika Grütters verspricht ein "glanzvolles Comeback als Pilgerstätte für Liebhaberinnen und Liebhaber moderner Kunst und als Bühne zeitgenössischer Künstler". Gleich drei Ausstellungen empfangen ab Sonntag (22.08.) die Besucherinnen und Besucher. Doch im Mittelpunkt steht die Architektur von Mies van der Rohe. "Das Gebäude ist ein Hauptexponat", sagte Museumsleiter Joachim Jäger. Die Ausstellung "Alexander Calder. Minimal/Maximal" gleicht einer Hommage an die stilprägende Architektur, die aus riesigen, stahlumfassten Glasfronten besteht. Der US-amerikanische Bildhauer Calder (1898-1976) hatte schon immer eine Verbindung zur Nationalgalerie. Bereits zur Eröffnung des Mies-Baus 1968 wurde seine Skulptur "Têtes et Queue" aufgestellt, die nach der Sanierung wieder auf der Terrasse des Museums zu finden ist. In Sichtweite, nur durch die Glasfronten getrennt, stehen nun die monumentalen Skulpturen Calders.
Nationalgalerie eröffnet mit drei Ausstellungen
Das Untergeschoss mit seinem für Museen so untypischen Teppichboden präsentiert bis 2023 die Sammlung unter dem Titel "Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945". Die Ausstellung lässt sich mit den etwa 250 präsentierten Werken auf Epochen wie Kaiserreich, Weltkriege, Kolonialzeit oder Holocaust ein, kündigte aber weitere Forschungsarbeit zur Herkunft von NS-bedingt entzogenen Werken an. Der einzigen lebenden Künstlerin der Eröffnungsausstellungen ist das Grafische Kabinett der Neuen Nationalgalerie gewidmet: "Rosa Barba. In a Perpetual Now". Bis zum 16. Januar zeigt die in Berlin lebende Barba zentrale Filme ihres Werkes aus der Zeit von 2009
bis heute.
Neuer Glanz für ikonische Architektur
Endlich kann sich die Neue Nationalgalerie Berlin so schön wie am Tag ihrer Eröffnung im Jahr 1968 präsentieren. "Wir hoffen, den Patienten dem Anschein nach unberührt entlassen zu haben - nur in viel besserem Zustand", verkündete Stararchitekt David Chipperfield nach Abschluss der fünfjährigen Sanierungsarbeiten, die dem renommierten Gebäude wieder zu alter Pracht verhalfen. Ludwig Mies van der Rohes Entwurf galt seinerzeit als architektonische Ikone der Moderne. Doch auch an ihr nagte der Zahn der Zeit - und deswegen hatte der Bau dringend eine Generalüberholung nötig.
Es gab einiges zu tun: Die Natursteinplatten an der Fassade hatten unschöne Risse, Stahlelemente rosteten vor sich hin, das Dach leckte, einige Glasscheiben waren beschädigt - und nicht zuletzt entsprachen weder die marode Technik noch das stark schwankende Raumklima im Inneren den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts.
"Enorme Bedeutung für Berlin"
In der Hauptstadt konnte man den Verfall des architektonischen Highlights, das eine spektakuläre Sammlung von Kunstwerken vor allem der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beherbergt, nicht mehr mit ansehen. Und so wurde das Büro des Briten David Chipperfield unter anderem mit der Grundinstandsetzung beauftragt. In Berlin ist er kein Unbekannter, hatte er doch schon den Wiederaufbau des 2009 eröffneten Neuen Museums, in dem unter anderem Nofretete zu sehen ist, und die James-Simon-Galerie, das Eingangsgebäude der Museumsinsel, errichtet.
Sein Büro habe seit Jahren eine sehr emotionale Beziehung zu Berlin, es sei eine wunderbare Stadt, sagte Chipperfield der DW. Und Mies' Gebäude habe darin einen ganz besonderen Stellenwert. "Westberlin hatte damals viele seiner kulturellen Monumente an den Osten verloren und musste sich neu erfinden. Insofern hatte die Neue Nationalgalerie sowohl als Symbol für die Stadt als auch für die Geschichte der Architektur eine enorme Bedeutung."
"So viel Mies wie möglich"
Ludwig Mies van der Rohe war ein Visionär, der ganz im Sinne des Bauhaus bei seinen Gebäuden auf die Freiheit des Raums und konstruktive Logik setzte. "Weniger ist mehr" war sein Motto, lichtdurchflutet und modern waren seine Entwürfe. So auch die Neue Nationalgalerie, die zwischen 1965 und 1968 nach seinen Plänen entstand. Da lebte van der Rohe schon lange in den USA. 1938 hatte er Deutschland wegen des erstarkenden Nationalsozialismus verlassen müssen und in Chicago ein Architekturbüro eröffnet. Von dort aus leitete er am Ende seines Lebens auch den Bau in Berlin. Die Neue Nationalgalerie mit der auffälligen Stahl-Glas-Fassade und dem scheinbar darüber schwebenden Stahldach gilt als sein architektonisches Vermächtnis; es ist sein einziges Bauwerk, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland errichtet wurde.
"So viel Mies wie möglich" lautete daher die Prämisse für die Sanierung der neuen Nationalgalerie, und an diese Vorgabe hat sich der Stararchitekt David Chipperfield gehalten. "Es lag in unserer Hand, die Arbeit von Mies wieder zum Leuchten zu bringen und nicht, ihm die Show zu stehlen", sagte er. Ihm zur Seite stand kein Geringerer als van der Rohes Enkel Dirk Lohan, der als junger Mann Projektleiter des Baus war. Man habe ein großes Team gebraucht, um Mies van der Rohes Genie gerecht zu werden und den Bau gleichzeitig an die energetischen Vorgaben der heutigen Zeit anzupassen, erklärte Chipperfield gegenüber der DW. "Es war eine Gratwanderung, die Ästhetik des ursprünglichen Baus zu erhalten und ihn gleichzeitig an die klimatischen Wetterbedingungen in Berlin anzupassen."
Bis auf den Rohbau entkernt
Vor Beginn der Bauarbeiten mussten zunächst die Schätze der Galerie in Sicherheit gebracht werden: Mehr als 1400 Gemälde und Skulpturen wurden in Depots eingemottet, die Eichenholzpaneele der Garderoben wurden ebenso abgebaut wie rund 3500 Deckenleuchten und 14.000 Granitplatten. Alles wurde demontiert, katalogisiert und eingelagert.
Am Ende blieb nur der Rohbau stehen. Als Chipperfield sich an die Sanierung machte, stellte er schnell fest, dass Mies van der Rohe bei seinem Entwurf "Anmutung und Proportion mehr Beachtung geschenkt hat als der Gebrauchstauglichkeit". Sein Fazit: "Hinter die Fassade zu blicken hat ihre Genialität und zugleich ihre Mängel offenbart. Unsere Arbeit war daher von chirurgischer Natur."
Um das architektonische Erbe zu wahren, wurde jedes einzelne Teil restauriert und wieder an seinen ursprünglichen Platz gesetzt. Fünf Jahre dauerten die Arbeiten insgesamt, 140 Millionen Euro soll die Rundumerneuerung gekostet haben.
Der Artikel ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels vom April 2021.