Berlinale im Pandemie-Modus
27. Februar 2021Die Berlinale hat viele Rituale. So tummeln sich normalerweise - trotz des zumeist miesen Wetters im Februar - jede Menge eingefleischter Autogrammjäger an den Straßenecken, an denen Schauspieler und Filmemacher vor ihren Pressekonferenzen aus den Limousinen steigen. Am roten Teppich warten Fans stundenlang auf ihre Lieblingsstars, in der Hoffnung, ein Selfie mit ihnen ergattern zu können, andere wiederum genießen schlichtweg die Atmosphäre des Festivals - ungeachtet der meist frostigen Temperaturen.
Daneben gibt es eine Horde von Journalisten, die von einer Pressevorführung zur nächsten rennen und versuchen, Pressekonferenzen und Interviews in ihre vollgepackten Terminkalender einzubauen, während sie parallel dazu ihre Geschichten schreiben und abliefern müssen.
Ein wunderbarer Wahnsinn, der jedoch in diesem Jahr so nicht passieren wird, zumindest nicht während des ersten Teils des Festivals, der am 1. März beginnt.
2021 - Berlinale in zwei Events
Wegen der Pandemie haben die Organisatoren der Berlinale beschlossen, das Festival in zwei separate Veranstaltungen aufzuteilen. Das "Industry Event", das nur Filmschaffenden und Presse vorbehalten ist, findet vom 1. bis 5. März online statt, während das "Summer Special" mit öffentlichen Vorführungen vom 9. bis 20. Juni angesetzt ist.
Das Industry Event dient in erster Linie als alternative Plattform für den European Film Market (EFM), der neben Cannes und dem American Film Market zu den drei wichtigsten Treffpunkten der internationalen Film- und Medienbranche gehört.
Da diese Veranstaltungen eine feste Reihenfolge im Kalender der Filmindustrie haben, musste der Berliner Filmmarkt - sofern er nicht komplett ausfällt - unbedingt im ersten Quartal des Jahres stattfinden. Das gesamte Festival im Juni abzuhalten, um die gewohnten Berlinale-Synergien zwischen Publikum und Filmemachern zu ermöglichen, "wäre zu spät gewesen, das wäre nicht gut für die Filmbranche gewesen", erklärt die Pressesprecherin des Festivals, Frauke Greiner.
Drehscheibe für Filmemacher
Aber auch ohne die Horden von Filmfans wird es eine arbeitsreiche Woche: Über 470 Firmen aus fast 60 Ländern haben sich für die digitale Version des EFM angemeldet. Ohne die üblichen Reisekosten lockt das Format auch viele neue Akteure an: Fast 200 Unternehmen nehmen laut der Website des European Film Markets zum ersten Mal teil.
Die registrierten Branchen-Insider haben Zugang zu einer schwindelerregenden Liste von 780 Filmen, die für Marktvorführungen zur Verfügung stehen, ganz zu schweigen von den 90 "EFM Industry Sessions", die während der Woche geplant sind - darunter Diskussionen, Workshops und Pitching-Möglichkeiten.
Film-Auswahl verschlankt
Ihre offizielle Auswahl hingegen hat die Berlinale in diesem Jahr gestrafft. Zwar gibt es in den verschiedenen Sektionen des Programms immer noch weit mehr Filme, als ein Mensch an einem Tag gucken kann, aber im offiziellen Wettbewerb stehen in diesem Jahr nur 15 Filme. Sonst konkurrieren in der Regel rund 20 Titel um den Goldenen und die Silbernen Bären.
Die Presse ist schon jetzt eingeladen, über das Festival zu berichten. Doch nicht alle Titel stehen direkt für die Berichterstattung zur Verfügung. Die Filmproduzenten - und nicht das Festival - hatten das Recht zu bestimmen, ob sie ihre Produktion online für Pressevorführungen zur Verfügung stellen oder diese durch Geoblocking für bestimmte Regionen einschränken wollten.
Die Einbeziehung der Filmkritik in diesen Teil des Festivals "war vor allem ein Angebot an die Produktionen, um diejenigen zu unterstützen, die bereits eine gewisse mediale Sichtbarkeit für ihre Filme schaffen wollten", so die Berlinale-Sprecherin gegenüber der DW. Einige Filme hätten das Angebot bereitwillig angenommen, andere hätten sich entschieden, ihren medialen Start lieber für den Sommer, während des Publikumsfestivals, aufzusparen: "Wir sind jetzt im 'Industry Event', das muss man immer betonen", so Greiner.
Zwei deutsche Filme mit Sonderstatus
Die meisten Produktionen haben sich für die Pressearbeit in dieser Phase der Berlinale entschieden. Unter den 15 Wettbewerbstiteln sind nur zwei Filme, die nicht in einer Pressevorführung zu sehen sind.
Beides sind deutsche Filme: "Nebenan" - das Regiedebüt des Schauspielers Daniel Brühl - und Dominik Grafs "Fabian oder Der Gang vor die Hunde", nach dem Roman von Erich Kästner von 1931, der in Berlin kurz vor der Machtübernahme der Nazis spielt.
Hierzulande genügen schon diese wenigen Stichworte, um einen Medienrummel zu erzeugen. Doch Regisseure und Schauspieler wollen sich mit öffentlichen Auftritten und Interviews bis zum Festival im Juni zurückhalten, sollten die Filme nicht vorher einen Preis gewinnen.
Streaming versus Filmtheater
Der Grund für die Entscheidung sei nicht, dass man befürchte, die Filme könnten illegal kopiert werden, wenn man sie schon vor der Premiere streamen würde. Er habe absolutes Vertrauen in den Server der Berlinale, sagte Lupa Film-Produzent Felix von Boehm, der "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" ins Rennen schickt, der DW.
Der Grund sei vielmehr, dass "der Film für die große Leinwand, für das Kino gemacht wurde" und seine Produktion es aus Rücksicht auf die aktuellen Corona-Hygiene-Vorschriften vorzog, im Vorfeld des Festivals, Pressevorführungen in verschiedenen deutschen Städten zu organisieren. "Ich persönlich bin ein großer Verfechter des Kinos und des Kinos als Veranstaltungsort", so Boehm, "deshalb habe ich diese Option gewählt."
Die Produzenten von Warner Bros. Germany waren für ein Statement zu der Frage, weshalb sie "Nebenan" von der Berlinale Medien-Plattform fernhalten, nicht zu erreichen. Aber mit Daniel Brühl als einem der bekanntesten deutschen Namen auf der Liste der Regisseure, ist es strategisch gesehen durchaus sinnvoll, sich darauf zu konzentrieren, die eigentliche Weltpremiere des Films im Juni mit ihm und mit den Fans auf dem roten Teppich zu feiern.
Adaption ins Deutsche: Sven Töniges.