ASEAN fordert freie Schifffahrt durch Südchinesisches Meer
20. November 2023Die ASEAN will sich mehr für die Freiheit der See- und Luftfahrt im Gebiet des Südchinesischen Meeres einsetzen. Die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten bekräftigten nach ihrem jüngsten Treffen in der indonesischen Hauptstadt Jakarta, dass maritime Zusammenstöße in umstrittenen Gewässern durch internationale Regeln vermieden werden müssten. Indonesien hat 2023 die Präsidentschaft der Regionalorganisation inne.
Die gemeinsame Erklärung der Verteidigungsminister war zurückhaltend formuliert. Oft sind sich die ASEAN-Staaten nicht einig, es gibt latente Spannungen - vor allem im Streit um das Südchinesische Meer: Zu unterschiedlich sind die Interessen der Anrainer, zu weit gehen ihre Ansprüche und ihre Vorstellungen über die Aufteilung des Meeres auseinander.
Territoriale Ansprüche
Im Zentrum der Rivalitäten steht ein Seegebiet, das sowohl wegen der vermuteten Bodenschätze als auch wegen seiner Bedeutung für die freie Schifffahrt von herausragender Bedeutung ist. Rund ein Drittel der weltweiten Rohöltransporte verlaufen durch dieses Randmeer des Pazifik. Es ist auch eine zentrale Achse des Schiffsverkehrs zwischen Asien und Europa sowie zwischen Asien und Afrika. Außerdem werden unter dem Meeresgrund rund elf Milliarden Barrel Erdöl und rund 190 Billionen Kubikmeter Erdgas vermutet.
Entsprechend groß sind die Begehrlichkeiten. Diese zeigen sich etwa am Beispiel der Spratly-Inseln, die in der chinesischen Sprache Nansha heißen. Sie sind eine Gruppe kleiner Inseln, Riffs und Atolle im Herzen des Südchinesischen Meeres. China, Taiwan, Vietnam, Brunei, Malaysia und die Philippinen beanspruchen diese Inselgruppe und somit die Bodenschätze für sich. Mit Ausnahme von Brunei sind alle anderen Staaten auf Teilen der Inselgruppe militärisch präsent.
Dabei will China knapp 90 Prozent des gesamten Südchinesischen Meeres seinem Territorium zurechnen. Die Pekinger Regierung ließ dort zahlreiche künstliche Inseln mit Start- und Landebahnen errichten. China will nach eigenen Angaben seine Kapazitäten im Katastrophenfalle ausbauen. Fakt ist aber, dass Peking dabei auch seine militärische Präsenz ausgebaut hat.
Konflikt von globaler Tragweite
Verschärft wird die regionale Konkurrenz dadurch, dass im Südchinesischen Meer auch die Interessen der beiden Supermächte USA und China aufeinandertreffen. China wolle die militärische Einkreisung durch die USA und ihre Verbündeten unterbinden, sagt Marc Saxer, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der thailändischen Hauptstadt Bangkok. "In Peking herrscht die Sorge, dass Chinas Handelsrouten irgendwann abgeschnitten werden könnten. Darum demonstriert die Volksrepublik auch mit militärischen Mitteln, dass sie keine Störungen durch andere Staaten tolerieren will."
China legte schon in den 1950er-Jahren in den umstrittenen Gewässern eigenmächtig die Landesgrenze fest. Durch die sogenannte Nine Dash Line (Neun-Striche-Linie), die nahe an das Territorium der Philippinen, Bruneis, Indonesiens, Malaysias und Vietnams heranreicht, lässt China seine Nachbarn wissen, welche Teile des Meeres es für sich beansprucht.
Demgegenüber bestehen die USA mit ihren Partnern, allen voran Japan und die Philippinen, auf völkerrechtliche Regelungen und dem unveränderten Bestand sicherer See- und Handelswege. In der jüngsten Vergangenheit wird immer wieder die Durchfahrt von Kriegsschiffen der US-Marine im Südchinesischen Meer gemeldet. Damit lässt Washington seine Muskeln spielen.
Diese globale Dimension der regionalen Spannungen hat dazu geführt, dass die Verteidigungsminister der ASEAN-Staaten nicht allein tagten. So nahmen auch die Verteidigungsminister und Vize-Verteidigungsminister der USA, Chinas und Russlands an der Sitzung teil.
Verschiedene Kurse der ASEAN-Staaten
Um ihren Einfluss zu vergrößern, konkurrierten die Großmächte zunehmend um die Verbindungen zu den Anrainerstaaten, sagt Felix Heiduk, Forschungsleiter für Asien an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Die Staaten in der Region stehen unter Druck, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden." Das heiße allerdings nicht, dass sie sich dem Druck auch beugen würden. "Tatsächlich reagieren sie auf die Erwartungen der Großmächte ganz unterschiedlich", so Heiduk im DW-Interview.
"So haben sich die Philippinen, die ohnehin ein militärischer Verbündeter der USA sind, unter der derzeitigen Präsidentschaft von Ferdinand Marcos Junior noch stärker als unter der Vorgängerregierung zu einer noch engeren sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit mit den USA entschieden", erläutert Heiduk. Anfang November haben die Philippinen bereits das politische Imageprojekt von Chinas Präsident Xi Jinping, die Seidenstraßeninitiative, verlassen.
Einen anderen Weg gehe hingegen Vietnam. "Das Land hat sich ja in seiner Verfassung vorgegeben, keine Allianzen mit anderen Staaten einzugehen. Stattdessen versucht das kommunistische Land, seine traditionell engen Beziehungen zu China dadurch auszubalancieren, dass es jetzt die bilaterale Partnerschaft mit den USA vertieft hat. Zugleich will man in Hanoi die Beziehungen zu anderen Staaten in der Region wie auch zu Europa intensivieren." Vietnam besiegelte im September beim Besuch von US-Präsident Joe Biden eine "umfassende strategische Partnerschaft" mit dem einstigen Erzfeind im Vietnamkrieg.
Einen ähnlichen Kurs wie Vietnam steuerten auch Länder wie Kambodscha, Indonesien oder Malaysia. Sie knüpften Beziehungen und Kooperationen in vielerlei Richtungen und legten sich nicht auf einen einzigen Partner fest. "So vermeiden sie es, sich für die eine und damit gegen die andere Seite zu entscheiden."
Damit verfolgten die meisten ASEAN-Staaten einen klaren Kurs, ergänzt Marc Saxer. "Sie alle brauchen gute wirtschaftliche Beziehungen zu China. Zugleich schätzen sie aber auch die USA als sicherheitspolitischen Stabilisator in der Region. Dieses Pendeln zwischen beiden Seiten ist ein außenpolitisches Grundprinzip der meisten ASEAN-Staaten."