Decoding China: Neues Kapitel in den US-China-Beziehungen
16. November 2023"Ihr Wagen ist sehr schön" ("This is a beautiful vehicle."), schwärmte US-Präsident Joe Biden beim Abschied vom chinesischen Präsident Xi Jinping vor der Villa Filoli nahe San Francisco im US-Bundesstaat Kalifornien. "Das ist 'Made in China', Hongqi", antwortete Xi. "Machen Sie die Tür mal auf und schauen Sie rein!" Biden tat es und zeigte dann auf seinen Dienstwagen: "Der sieht genau aus wie mein Cadillac. Man nennt ihn 'The Beast'."
Wenn Biden um die Welt reist, ist "The Beast" immer dabei. Das Gleiche macht Xi mit seinem Wagen seit einem Jahr auch. Genauer gesagt mit zwei Exemplaren der chinesischen Premiummarke Hongqi (Rote Fahne), Baureihe N701 mit V12-Motor, 762 PS und Panzerglas. Zum ersten Mal fahren seine Staatslimousinen auf einer amerikanischen Straße.
"Strategisch, von globaler Tragweite und wegweisend"
Sinnbildlich zeigt Xi in dieser Szene, wie sich das explodierende Selbstbewusstsein der aufsteigenden Nation vor der Weltöffentlichkeit spüren, sehen und auch anfassen lässt. Für ihn und das autoritär regierte China ist es klar: Die US-chinesischen Beziehungen sind "strategisch, von globaler Tragweite und wegweisend".
Diese drei Attribute beschreiben die komplizierten und komplexen Beziehungen zwischen den zwei größten Volkswirtschaften, die sich als Partner und Rivalen verstehen. Während US-Präsident Biden im bilateralen Gespräch davon sprach, Wettbewerb dürfe nicht zu Konflikten führen, bezeichnete Xi die USA auf dem Abendempfang mit China-Freundeskreisen sogar als "Partner" und "Freund".
"Es wäre so, als hätte Xi bei Gesprächen in San Francisco eine philosophische Vorlesung über den Umgang zwischen zwei Großmächten gehalten", sagt Gu Xuewu, Politikprofessor an der Universität Bonn. Xi sei "pragmatisch", Biden sei realpolitisch "praktisch". "Jeder redete das Seine. Und schließlich haben sich beide auch verstanden, dass es außer einem Schulterschluss keine Alternative gibt."
Laut der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist der Wettstreit zwischen den USA und China längst "zu einem Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden". Dieses präge strategische Debatten ebenso wie reale politische, militärische und wirtschaftliche Dynamiken, hieß es in einer SWP-Studie von 2020. "Dies dürfte für einige Zeit so bleiben", resümiert Volker Perthes, der 15 Jahre lang SWP-Direktor war.
"Zwei Steuermänner"
Es gehe nicht, dass China und die USA nicht miteinander zu tun haben würden, sagte Chinas Staatschef. Es sei aber gleichzeitig unrealistisch, das Gegenüber verändern zu wollen. Schließlich wolle keiner die Rechnung für Konflikte und Konfrontation haben. "Wir beide sind Steuermänner der bilateralen Beziehungen. Das ist staatspolitische Verantwortungen gegenüber den Bürgern, der Weltgemeinschaft und unserer Zeit", so Xi zu Biden.
Und China will mehr. China möchte die Welt im 21. Jahrhundert nach seinen Vorstellungen gestalten. Aber "eine neue Weltordnung ist auch nach diesem Treffen nicht entstanden", sagt Saskia Hieber, Expertin für internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik an der Akademie für politische Bildung im bayerischen Tutzing.
"Anders als die traditionellen Großmächte wird China unter der Führung von Xi Jinping in seiner dritten Amtszeit weiter darauf beharren, die westlich geprägten Strukturen, Institutionen und Regeln nicht mitzutragen. Aber China die Welt wird nicht alleine neu gestalten können, auch nicht in einem Tandem mit Russland. Die westliche Welt hat genügend Erfahrungen, Werte und Erfolge und wird sich nicht ersetzen lassen."
China hat zwar an Einflüssen in einigen Weltregionen wie Zentralasien, Afrika und Teilen von Lateinamerika mit der Seidenstraßeninitiative gewinnen können, räumt Sebastian Harnisch, Politologe an der Universität Heidelberg, im DW-Interview ein. "Aber die strukturellen Grundlagen für eine chinesische Führungsrolle, die über den asien-pazifischen Raum hinweg reicht, sind mittel- und langfristig zu hinterfragen."
Xi als erfolgreicher Weltpolitiker
Das Xi-Biden-Treffen dominierte tags darauf die Schlagzeilen in Chinas staatlich kontrollierter Medienlandschaft. Interessanterweise sehen alle Berichte über das Präsidententreffen wie aus einem Guss aus. Alle nutzen exakt den gleichen Wortlaut, der von der Nachrichtenagentur Xinhua und dem Staatsfernsehen verbreitet wurde.
Auf der beliebtesten Plattform der sozialen Medien, Weibo, wird "Die Reise von Xi Jinping nach San Francisco" manuell auf Poleposition gesetzt, gefolgt von einer X-Nachricht (ehemals Twitter) der Regierungssprecherin Hua Chunying mit mehr als 1,2 Millionen Suchvorgängen auf Platz eins. X selbst ist in China gesperrt. Allerdings ist offenbar ein Screenshot von Hua doch noch erlaubt.
Auf dem Post zeigte Biden auf seinem iPhone (designed in Kalifornien, hergestellt in China) ein Foto von Xi vor 38 Jahren vor der Golden Gate Bridge in San Francisco. Damals war er als Kommunalpolitiker zum ersten Mal in Amerika. "Kennen Sie noch diesen jungen Mann?", soll Biden gefragt haben. "Sie haben sich nicht verändert", schmeichelte er.
Die Euphorie in der chinesischen Öffentlichkeit ist groß. Auch die einfachen Menschen verstehen, dass eine gute Beziehung zum ideologischen Rivalen wichtig ist, um globale Probleme zu lösen. Dass die USA zum Beispiel die aus Chinas Sicht abtrünnige Provinz Taiwan aufrüsten, den Technologiekonzern Huawei sanktionieren und den Export von Halbleiterprodukten nach China einschränken, wird ausgeblendet. Xis Besuch in den USA muss ein Erfolg sein.
Reden ist Gold
"Es ist allein schon ein Erfolg, dass sich die Kommunikationskanäle wieder geöffnet haben", sagt Abigael Vasselier, Expertin für Chinas Außenpolitik am Berliner MERICS-Institut. Auch die US-Verbündeten würden demnächst mit China wieder ihre Beziehungen normalisieren. "Xi und ich haben uns darauf geeinigt, dass jeder von uns den Anruf direkt entgegennehmen kann und sofort angehört wird", sagte Biden.
Die ersten Erfolge "von globaler Tragweite" wurden bereits Stunden vor Beginn des Treffens bekannt. Die USA und China haben sich eine engere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel zugesichert. Die zwei größten CO2-Emittenten der Welt bekennen sich ausdrücklich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Den UN-Klimagipfel COP28 Ende des Monats in Dubai wollen sie "zu einem Erfolg" machen.
So könne zum Beispiel die chinesische Staatslimousine N701 mit einem Hybridmotor ausgestattet werden, um den Benzinverbrauch deutlich zu reduzieren, heißt es im Katalog des Herstellers FAW. Ob jetzt wirklich zwei Hybride durch die kurvenreichen und steilen Straßen in San Francisco fahren, bleibt jedoch ein Staatsgeheimnis.
Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.