Abstimmung über Thailands neue Verfassung
4. August 2016Über zwei Jahre sind seit dem Putsch vom Mai 2014 vergangen. Seither regiert das Militär in Thailand durch den Nationalen Rat für Frieden und Ordnung (NCPO). Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die anschließend in Aussicht gestellten Wahlen, die laut Militär eine "wahre Demokratie" begründen würden, haben sich immer wieder verzögert. So war ein erster Verfassungsentwurf im Dezember 2015 am Votum des Nationalen Reformrats gescheitert, einer vom Militär eingesetzten Institution mit 250 Mitgliedern unter anderem aus Politik, Medien und Verwaltung.
Die Ausarbeitung einer weiteren Verfassung war kurz darauf vom Militär in Auftrag gegeben worden. Über diese neue Verfassung sollen am kommenden Sonntag (7.8.2016) rund 50 Millionen Wahlberechtigte abstimmen. Die Stimmung im Vorfeld des Referendums ist angespannt, wie der thailändische Journalist Pravit Rojanaphruk, der unter anderem für die englischsprachige Website khaosod schreibt, im Gespräch mit der Deutschen Welle sagt: "Es gibt ein Gefühl von Unsicherheit und Angst."
Im Schatten der Thronfolge
Die politischen Unruhen von 2013/14, der darauffolgende Putsch, das Hin und Her bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung und das nun anstehende Referendum sind nach Einschätzung eines deutschen Experten in Bangkok, der aufgrund der sensiblen politischen Lage nicht namentlich genannt werden möchte, im Kontext der Thronfolge und einer Spaltung der thailändischen Gesellschaft zu sehen.
Thailand ist eine konstitutionelle Monarchie. Seit 70 Jahren ist Bhumibol Adulyadej König. Er genießt im Volk allerhöchstes Ansehen und hat indirekt großen politischen Einfluss. Der anonyme Experte erklärt: "Viele Institutionen wie etwa die Gerichtsbarkeit ziehen ihre Legitimation aus dem hohen Ansehen des Königshauses. Richter werden in Thailand persönlich vom König ernannt." Doch der König ist 88 Jahre alt, seit längerem krank und wurde seit Monaten nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Der mögliche Nachfolger, Kronprinz Vajiralongkorn, genießt im Vergleich zu seinem Vater nur wenig Ansehen im Volk. Es ist fraglich, ob er das gespaltene Land zusammenhalten und die Macht legitimieren kann. "Der Wechsel auf dem Thron könnte die Machtstruktur des Landes komplett ändern", sagt der Experte. In welche Richtung, sei dabei noch nicht abzusehen.
Alle seit dem Putsch durch das Militär ergriffenen Maßnahmen konnten den tieferliegenden gesellschaftlichen Konflikt zwischen den alten Eliten, die sich auf das Militär, die Verwaltung und das Königshaus stützen, sowie der aufsteigenden Elite, die ihre Machtbasis vor allem unter der armen Landbevölkerung hat, nicht lösen. Daran wird das Referendum nichts Grundlegendes ändern, ist der Experte überzeugt. "Dafür ist die Verfassung das falsche Instrument. Ein Versöhnungsprozess muss viel weiterreichen. Eine Konsens- und Kompromisskultur muss sich erst noch entwickeln."
Keine echte Wahl
Auch gegen die Vorstellung, dass es sich bei dem Referendum um eine Wahl im Sinne von echten Alternativen handelt, wendet sich der Thailand-Fachmann: "Egal, ob die Verfassung angenommen wird oder nicht: das Militär wird in den nächsten fünf bis sieben Jahren ein maßgeblicher Machtfaktor in der Politik bleiben." Die Verfassung sei ein Hybrid-System mit demokratischen und nicht-demokratischen Elementen.
Demokratisch fragwürdig ist beispielsweise, dass das Militär in den ersten fünf Jahren die Mitglieder des thailändischen Oberhauses (Senat) bestimmen würde und damit auch erheblichen Einfluss auf die Wahl des neuen Regierungschefs hätte. Der soll nämlich zukünftig von Ober- und Unterhaus (den gewählten Repräsentanten) gemeinsam bestimmt werden. Über das Wahlverfahren des Regierungschefs stimmen die Thais in einer zusätzlichen Frage des Referendums ab. Außerdem sieht die neue Verfassung einen "Rat zur Forcierung nationaler Reformen" vor, der aus Militärs sowie deren Unterstützern gebildet wird und jederzeit die Regierung ab- und eine Militärregierung einsetzen kann. Gewissermaßen ein in die Verfassung integrierter Putschmechanismus.
Der deutsche Beobachter sagt deshalb auch: "Die Verfassung entspricht nicht westlichen Ansprüchen an eine Demokratie und es wäre ein System, bei dem über der Regierung bzw. dem Parlament immer ein Damoklesschwert schwebt." Dennoch könne sie ein erster Schritt weg von der Militärherrschaft, hin zu einer Demokratie sein. Allerdings nurm "wenn man die Verfassung als erste Reform sieht, auf die dann unmittelbar auch andere folgen müssen."
Kritik unerwünscht
Eine Diskussion der neuen Verfassung ist im Vorfeld des Referendums nicht möglich. Ein eigens für das Referendum erlassenes Gesetz sieht hohe Geldstrafen oder sogar eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren für die Verbreitung falscher Informationen vor. Was eine falsche Information ist und was nicht, legt das Militär fest. Auch Unterstützer dürfen sich nicht öffentlich äußern. Das Verbot jeder politischen Diskussion hält der Journalist Pravit für bizarr.
20 Personen wurden seit Mai 2016 verhaftet, zahlreiche Veranstaltungen zur neuen Verfassung an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen wurden untersagt. Politische Versammlungen von fünf oder mehr Personen sind seit der Machtergreifung des Militärs ohnehin verboten.
Trotz des Werbeverbots hat das Militär 350.000 Personen ins ganze Land geschickt, die über die Verfassung aufklären sollen. Sie sollen, so das Militär, weder für noch gegen die Verfassung Stimmung machen, sondern den Entwurf der Militärregierung so neutral wie möglich darlegen. Das hat zu viel Kritik geführt, wie auch Pravit weiß: "Viele Leute halten die Aufklärungskampagne indirekt für eine Werbekampagne. Ich würde sagen, es ist zumindest in einer Grauzone."
Die beiden größten Parteien des Landes, die im Wesentlichen die beiden Lager des politisch gespaltenen Landes widerspiegeln, haben sich zurückhaltend kritisch zum Verfassungsentwurf geäußert. Sowohl die Demokratische Partei, die 2013 auf die Straße gegangen war, als auch die Pheu-Thai-Partei der 2014 vom Militär gestürzten Premierministerin Yingluck Shinawatra sehen den politischen Einfluss der Parteien zu sehr eingeschränkt. Das sei vielleicht auch ein Signal, so der anonyme Experte, dass sich beide Parteien gegen das vom Militär entworfene teildemokratische System entscheiden und darüber vielleicht sogar so eine Art Schulterschlus fänden.
Ergebnis offen
Eine Vielzahl von Umfragen im Vorfeld des Referendums hatten kein eindeutiges Ergebnis. Hervorstechend war vor allem, dass ein Großteil der Befragten eine Woche vor dem Referendum noch unentschieden ist.
Der Journalist und Regimekritiker Pravit ist sich sicher, dass das Referendum in jedem Fall einen Einschnitt bedeutet. "Wenn die neue Verfassung ohne Wahlmanipulation eindeutig angenommen wird, wird das die Legitimität des Militärs stärken. Wenn die Verfassung abgelehnt wird, wird es für die Junta viel schwieriger, an der Macht zu bleiben. Aber sie werden es versuchen." Ziel des Militärs sei es, als Staat im Staat weiter zu existieren.
Aus internationaler Sicht wäre, laut dem deutschen Experten, ein Ja für das Referendum hilfreich. "Man hätte dann die Möglichkeit zu sagen, in Thailand hat sich etwas zum Positiven geändert, die Bevölkerung hat die weiteren Schritte demokratisch gebilligt. Das wäre zumindest eine Basis, auf der man dann mit einer Regierung, die stark vom Militär beeinflusst ist, wieder normaler zusammenarbeiten könnte. Wenn die Verfassung abgelehnt wird, würde das die Rückkehr Thailands zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe international deutlich erschweren."
Manipulationen unwahrscheinlich
Auf die Frage, ob Manipulationen während der Wahl selbst zu erwarten sind, sind beide Experten vorsichtig optimistisch. "Ich bin zwar nicht sicher, aber ich möchte glauben, dass die unabhängige Wahlkommission alles daransetzen wird, ein freies und faires Referendum zu garantieren", sagt Pravit. Auch der Deutsche hält Manipulationen für unwahrscheinlich, weil das politische Risiko viel zu hoch sei.
Bereits am Wahlabend soll es erste Hochrechnungen mithilfe einer eigens programmierten App geben. Ein offizielles Endergebnis soll bis spätestens Mittwoch (10.8.2016) vorliegen. Doch wie auch immer das Ergebnis lautet, die neue Verfassung biete keine nachhaltige Lösung, sagt Pravit. Anstelle eines vom Militär handverlesenen Komitees müsste das Militär eine gewählte verfassungsgebende Versammlung möglich machen, die alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten repräsentiere. Diese Versammlung müsste dann ein Komitee wählen, das einen neuen Verfassungsentwurf schreiben könnte. "Aber ich habe große Zweifel, dass das passieren wird."