"Thailand an einem kritischen Punkt"
1. Juni 2016Die Zeit drängt. Am 7. August 2016 sollen die Thailänder in einem landesweiten Referendum über die neue Verfassung abstimmen. Der Entwurf, den die Militärregierung unter Führung von General Prayuth Chan-ocha ausgearbeitet hat, wird von vielen kritisiert, so auch von Sunai Phasuk, der in Thailand für die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" arbeitet. "Thailand befindet sich an einem kritischen Punkt", sagte Sunai im Goldenen Saal des Jakob-Kaiser-Hauses des Deutschen Bundestags. "Wenn der Gang der Ereignisse nicht gestoppt wird, dann ist es zu spät."
Die neue Verfassung soll als Grundlage für die Rückkehr der zivilen Regierung in dem südostasiatischen Land dienen. Doch mit dieser Verfassung könnte die demokratische Entwicklung auf Jahre hinaus blockiert werden, befürchtet der Menschenrechtsexperte. Der Verfassungsentwurf, dessen Wortlaut der Öffentlichkeit nicht in vollem Umfang bekannt ist, schreibt nämlich fest, dass das Militär die oberste Instanz der Machtausübung im Land bleibt, ohne jegliche Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk.
Problematische Urwahl
In Thailand hatte das Militär nach dem Sturz der ehemaligen Premierministerin Yingluck Shinawatra im Mai 2014 die Macht ergriffen. Bereits im September 2015 versuchten die neuen Herrscher, die Verfassung zu ändern. Doch der von der Junta eingesetzte Nationale Reformrat stimmte gegen den Verfassungsentwurf, so dass die für Anfang 2016 geplante Volksabstimmung verschoben werden musste.
Mehr als 300.000 Lehrer und 200.000 Soldaten seien zurzeit in ganz Thailand im Einsatz, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, für die neue Verfassung zu stimmen. Das berichtet Jaran Ditapichai, ehemaliges Mitglied der thailändischen Menschenrechtskommission. Der ganze Prozess sei fragwürdig, da etwa eine kritische Diskussion über die Verfassung in den Medien nicht stattfinden könne. Seit dem Putsch werde die Presse zensiert. Ditapichai ist überzeugt: "Das Referendum wird nicht frei und fair sein." Der Herrschaftsanspruch des Militärs würde auf diese Weise mit einer Art Urwahl legitimiert, kritisiert Sunai. Es wäre später extrem schwierig, die Verfassung zu korrigieren.
Gewaltenteilung gefordert
Der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt (CDU) hatte die Anhörung zur Menschenrechtslage in Thailand mit initiiert. Deutschland wolle mit den Thailändern und der thailändischen Regierung im Dialog bleiben, sagt Patzelt. Aber es sei schwierig, Demokratie zu fördern oder voranzubringen, wenn ein Land so tief gespalten sei wie Thailand. Thomas Gambke (Bündnis90/Die Grünen), Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe im Bundestag, berichtet über seine Begegnungen mit Vertretern der Konfliktparteien in Thailand und vermisst bei beiden den Respekt vor der anderen Seite. Dieser Mangel an Respekt gegenüber dem politischen Gegner habe zu einer Blockade geführt, so Gambke.
Menschenrechtsaktivisten aus Thailand betonen die guten Beziehungen zwischen Thailand und Deutschland. Es sei wichtig, dass Deutschland und die Europäische Union ehrlich auf die kritischen Umstände in Thailand aufmerksam machen.
"Wie können wir verhindern, dass eine Militärregierung de facto als übergeordnete Instanz eingesetzt wird?", will Gambke von den Experten wissen. Direkte Handlungsmöglichkeiten durch die ASEAN-Parlamentariergruppe gibt es nicht, wie Gambke einräumt. "Aber ich werde alle Gesprächskanäle nutzen, etwa mit der thailändischen Botschafterin, Vertretern der Regierung oder auch mit anderen Gruppen, um auf eine Gewaltenteilung in Thailand hinzuarbeiten."