Ökonomen kritisieren Merkel
12. November 2014Die deutsche Konjunktur hat eine Delle. Und für diese Delle, so das Urteil der fünf Wirtschaftsweisen bei der Vorstellung ihres Jahresgutachtens zur gesamtwirtschaftlichen Lage, sei zum Teil die Politik verantwortlich. Das sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Christoph Schmidt, am Mittwoch in Berlin bei der Übergabe der wissenschaftlichen Expertise an Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Nach einem starken Jahresauftakt ist die deutsche Wirtschaft laut Gutachten inzwischen spürbar langsamer gewachsen. 2014 werde das Wachstum, so die Sachverständigen, bei 1,2 Prozent liegen. Noch im Frühling waren die Ökonomen sehr zuversichtlich und hatten 1,9 Prozent Wachstum für dieses Jahr vorausgesagt.
"Bremsen, nicht Gas geben!"
Für das Jahr 2015 senken die Ökonomen ihre Erwartungen, und rechnen gerade einmal noch mit 1,0 Prozent Wachstum beim deutschen Bruttoinlandsprodukt. Für Christoph Schmidt, Präsident des Essener RWI-Wirtschaftsforschungsinstituts, hat sich im vergangenen Jahr mehr als nur die Weltkonjunktur eingetrübt.
Neben den gestiegenen geopolitischen Risiken und der ungünstigen Lage im Euroraum sieht er vor allem die Ausgabenpolitik der Bundesregierung als Wachstumsbremse. "Es liegt nahe, die Frage zu stellen, ob nicht der durch die Bundesregierung eingeschlagene Kurs ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt hat."
Mit immer neuen Ausgaben bei Rente und Sozialleistungen habe die jetzige Bundesregierung von Union und SPD ihre haushaltspolitischen Spielräume voll ausgenutzt. Die Mehrheit der Wirtschaftsweisen findet sogar: überstrapaziert. Vor allem die Einführung der abschlagsfreien Rente ab 63 und die Zusatzausgaben der Mütterrente kritisieren die Gutachter scharf. So sei das Rentensystem nach seinen jüngsten Reformen weniger zukunftssicher denn je, sagt Christoph Schmidt.
Er vergleicht die Mehrausgaben mit einem Autofahrer, der auf eine Wand zufährt und beschleunigt, statt zu bremsen: "Man müsste jetzt bremsen. Man müsste überlegen, wie man die Lebensarbeitszeit in den Jahrzehnten 2030 bis 2060 der gestiegenen Lebenserwartung anpasst. Stattdessen tritt man nochmal aufs Gaspedal und sagt: Na ja, so ein bisschen mehr Geschwindigkeit macht ja heute noch nichts."
"Die Schwarze Null ist mehr als ein Fetisch“
Statt ihre Ausgabenspielräume voll auszureizen, so die Wirtschaftsforscher, sollte die Bundesregierung auf ihrem Weg der Haushaltskonsolidierung Kurs halten. Eine Mehrheit der Gutachter plädiert deshalb dafür, das von der Bundesregierung verfolgte Ziel, im Jahr 2015 beim Bundeshaushalt keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, konsequent weiterzuverfolgen.
Für Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik in Freiburg, ist die "Schwarze Null" beim Haushalt nämlich mehr als "ein Fetisch" des derzeitigen Finanzministers: "Wenn die Einnahmen so sprudeln und man schafft es nicht einmal jetzt, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, dann muss man fragen: Wann schafft man das denn überhaupt?"
Statt neue Ausgaben zu beschließen, gelte es im 300-Milliarden-Euro-Haushalt des Bundes Ausgaben zunächst einmal umzuschichten, also die Ausgabenprioritäten neu zu sortieren. Nicht zuletzt, um in Europa die Vorbildfunktion nicht zu verlieren, sagt Isabel Schnabel: "Wenn wir den Euro langfristig sichern wollen, dann geht kein Weg daran vorbei, das Verschuldungsproblem in den Griff zu bekommen".
Deshalb sei es wichtig, so Schnabel, dass Deutschland bei der Haushaltskonsolidierung als Vorbild vorangehe. Das Rezept der Wirtschaftsweisen lautet: "Mehr Vertrauen in Marktprozesse".
So fordern die Gutachter die Bundesregierung zu einem Kursschwenk bei der Rente auf. Sie sehen die stark gestiegenen Strompreise als künftiges Konjunktur-Risiko und plädieren für eine europäische Energiewende, die die deutsche Ökostromförderung überflüssig mache. Und sie sprechen sich für Investitionen durch die Bundesregierung aus, von denen die Wirtschaft profitiert. Die Gutachter fordern mehr Geld für Bildung, Forschung und Infrastruktur, weniger Geld für Sozialausgaben.
Noch sei es keinesfalls zu spät, dem beginnenden Abschwung zu begegnen, so das Fazit der Gutachter: Der deutsche Arbeitsmarkt sei robust, die Binnennachfrage und der private Konsum nach wie vor stark.
Die Gutachter warnen aber davor, sich von der derzeitig guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland blenden zu lassen. Bleibe die Bundesregierung bei ihrem derzeitigen Kurs, so Schmidt, könne sich die Lage der Wirtschaft schon bald ändern.