Ägyptens Muslimbrüdern droht ein Verbot
19. August 2013Noch vor wenigen Wochen waren sie auf dem Zenit ihrer Macht. Ägyptens Muslimbrüder regierten das Land. Mohammed Mursi, einer der ihren, war Präsident. Inzwischen kämpfen die Muslimbrüder nicht nur um das politische Überleben: Mursi wurde gestürzt, viele ihrer Anführer verhaftet. Ihre Anhänger sind frustriert, viele werden immer radikaler. Hunderte wurden bei der Erstürmung ihrer Protestcamps und bei den folgenden Demonstrationen von den Sicherheitskräften erschossen.
Aufgeben aber wollen die Muslimbrüder nicht. "Wir geben unser Blut und unsere Seele für Mursi", skandieren sie bei ihren Protestkundgebungen. Trotz der vielen Toten wollen sie weiter gegen die Absetzung des gewählten Präsidenten Mursi demonstrieren.
Doch auch das Militär, das Mursi aus dem Amt putschte, und die Übergangsregierung geben sich unnachgiebig. Das Land sei im "Krieg gegen den Terror", heißt es immer wieder. Nach dieser Lesart sind die Muslimbrüder Terroristen. Übergangsministerpräsident Hasim al-Biblawi drohte, die Muslimbrüder zu verbieten: "Es kann keine Versöhnung mit denjenigen geben, an deren Händen Blut klebt", erklärte al-Biblawi.
Kritik aus dem Westen
Kritik am harten Kurs gegen die Muslimbrüder kommt aus dem Westen. "Die Gewalt und das Töten in den vergangenen Tagen können weder gerechtfertigt noch stillschweigend geduldet werden", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des EU-Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy und des EU-Kommissionschefs José Manuel Barroso.
Italiens Außenministerin Emma Bonino warnte vor einem Verbot der Muslimbrüder: "Die Konsequenzen wären sicherlich verheerend. Es würde bedeuten, sie in den Untergrund zu stoßen und die extremistischen Fraktionen zu stärken. Wenn Ägypten in Chaos und Instabilität abgleitet, werden Schockwellen die gesamte Region erfassen."
Auch der Ägypten-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz glaubt nicht, dass ein Verbot der Organisation die Lage beruhigen würde. "Dazu ist die Verbitterung der Muslimbrüder viel zu groß. Die sehen sich voll im Recht. Die sagen, wir sind demokratisch gewählt worden. Auch bei einem Verbot werden sie alles daran setzen, den Kampf fortzusetzen. Es besteht dann die große Gefahr, dass die Muslimbruderschaft abtaucht. Dann müssen wir damit rechnen, dass sie aus dem Untergrund heraus Anschläge verübt."
Noch sei die Masse der Pro-Mursi-Demonstranten friedlich. Allerdings würden sich schon jetzt immer mehr bewaffnete Radikale unter die friedlichen Demonstranten mischen. Im Fall eines Verbotes der Muslimbruderschaft könnte sich das noch verschärfen.
Den Bestand der Organisation, glaubt Meyer, bedrohe ein Verbot nicht. Die Bruderschaft habe eine breite Basis in der Bevölkerung, auch durch ihr über die Jahre aufgebautes Solidaritätsnetzwerk mit Schulen, Gotteshäusern und Armenspeisungen.
Außerdem haben die Muslimbrüder Erfahrung im Umgang mit staatlicher Repression. Ihre 85-jährige Geschichte ist eine ständiger Wechsel: Mal konnten sie, wenn auch eingeschränkt, am politischen Leben teilnehmen, mal standen sie in gewaltsamer Konfrontation mit dem Staat. Viele Muslimbrüder saßen zum Teil jahrelang im Gefängnis, auch der gestürzte Präsident Mursi.
Kein Ende der Gewalt
Ägyptens starker Mann, Militärchef Abdel Fattah al-Sisi, hat die Muslimbrüder am Sonntag (18.08.2013) erneut aufgefordert, ihren Protest aufzugeben. Stattdessen sollten sie sich wieder am politischen Prozess beteiligen. "Ägypten hat Platz für alle", sagte Al-Sisi. Gleichzeitig drohte der Militärchef, die Sicherheitskräfte würden weiter hart gegen gewaltbereite Islamisten vorgehen. "Wir werden niemals schweigend der Zerstörung des Landes zusehen", sagte al-Sisi.
Der Ägypten-Experte Günter Meyer glaubt nicht an eine schnelle Einigung zwischen dem Militär, der Übergangsregierung und den Muslimbrüdern: "Die Unruhen, die wir jetzt erleben, sind keineswegs das Ende. Eine friedliche, eine politische Lösung des Konflikts ist vorerst nicht absehbar." Dazu seien die Gräben zwischen Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten Mursis inzwischen viel zu groß.
Menschenrechtler schockiert über Polizeigewalt
Mit jedem weiteren Toten wächst der Hass. Auf der Strecke bleiben die Menschenrechte. "Die spielen für keine der Parteien eine Rolle", sagt Günter Meyer. Das zeigen die vielen Opfer bei der gewaltsamen Räumung der Camps der Muslimbrüder, das zeigen aber auch die brutalen Lynchmorde an Polizisten und die Angriffe auf koptische Kirchen.
Philip Luther, Ägypten-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, spricht von "exzessiver Gewalt" der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. Zwar seien auch einige Demonstranten gewalttätig gewesen, die Polizei habe aber unverhältnismäßig reagiert und nicht zwischen friedlichen und gewalttätigen Demonstranten unterschieden. Die Gewalt der Polizei habe selbst unbeteiligte Zuschauer getroffen. Besonders schockierend sei der Einsatz scharfer Munition gegen Zivilisten.
Ein Amnesty-Team hatte in der vergangenen Woche zahlreiche Krankenhäuser und Leichenhallen in Kairo besucht. Berichte des Personals würden belegen, dass häufig Schüsse gezielt auf Kopf und Brust abgegeben wurden. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte müsse sofort umfassend und unabhängig untersucht werden, fordert die Menschenrechtsorganisation. Dazu müsse auch ein UN-Sonderberichterstatter ins Land gelassen werden. Angesichts der Angriffe auf koptische Christen forderte Amnesty die ägyptischen Behörden auf, den Schutz von Christen und anderen Minderheiten zu gewährleisten.