NGO-Gesetz in Georgien: Worum es geht
9. März 2023Das Gesetz
Die georgische Regierung hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, demzufolge Organisationen, die mehr als ein Fünftel ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, sich als sogenannte "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen. Bei Zuwiderhandlung hätten ihnen empfindliche Geldstrafen gedroht.
Die Regierung behauptet, das Vorhaben diene allein der Transparenz. Kritiker werfen ihr jedoch vor, die Vorlage lehne sich stark an ein Gesetz an, das 2012 in Russland verabschiedet worden war. Dort müssen Organisationen, die als "ausländische Agenten" gekennzeichnet wurden, alles, was sie veröffentlichen - selbst Beiträge in den sozialen Medien - mit einem Hinweis versehen, der auf ihren Status als ausländischer Agent hinweist. Außerdem müssen sie alle sechs Monate Finanzübersichten und Berichte über ihre Aktivitäten bei der Regierung einreichen und sich jährlichen Prüfungen unterziehen.
Der Kreml hat dieses Gesetz seither umfassend genutzt, um gegen Medien, regierungskritische Organisationen und andere Kritiker vorzugehen. Auch die Deutsche Welle ist 2022 in Russland im Zuge dieser Gesetzgebung als "ausländischer Agent" eingestuft worden.
Dass die georgische Regierungspartei vorhaben könnte, auf ähnliche Weise gegen Andersdenkende vorzugehen, darauf lassen unter anderem Äußerungen ihres Parteichefs Irakli Kobachidse schließen, der Oppositionspolitiker schon mal als "Spione" und Nichtregierungsorganisationen als "extremistische Vereinigungen" bezeichnet.
Der Protest
Seit Dienstag gingen Tausende Menschen in der georgischen Hauptstadt Tiflis auf die Straße, um gegen das geplante Gesetz zu protestieren. Vor dem Parlamentsgebäude schwenkten sie Flaggen Georgiens und der EU. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei, die Wasserwerfer und Tränengas einsetzte und mindestens 77 Demonstranten vorübergehend festnahm.
Unterstützung erhielten die Demonstranten von der Präsidentin des Landes, Salome Surabischwili. Bei einem Staatsbesuch in New York sprach sie ihren Landsleuten Mut zu und kündigte ihr Veto gegen das Gesetz an. Auch international hagelte es Kritik an der Gesetzesinitiative. Schließlich wurde der Druck so groß, dass die Regierung zurückruderte: Am Donnerstag kündigte sie an, das umstrittene Vorhaben zurückzuziehen, um, wie es hieß, die "Konfrontation in der Gesellschaft zu verringern".
Fraglich ist, ob die Opposition des Landes sich damit zufriedengibt. "Wir brauchen Klarheit, wie genau sie dieses Gesetz zurückziehen wollen", wird Oppositionspolitiker Zotne Koberidse in georgischen Medien zitiert. Zudem forderte er die Freilassung der Demonstranten und kündigte weitere Proteste an. Am Freitagmorgen folgte daraufhin die endgültige Rücknahme des Gesetzesentwurfs durch das georgische Parlament.
Die Regierung
Georgien ist zwar eine ehemalige Sowjetrepublik, gleichzeitig aber das einzige Land im Südkaukasus, das offiziell den Beitritt zu EU und NATO anstrebt. Premierminister Irakli Garibaschwili ist seit Februar 2021 im Amt. Auch er und seine Regierungspartei "Georgischer Traum" halten an dieser außenpolitischen Ausrichtung fest. Dennoch haben einige Schritte der Regierung in jüngerer Vergangenheit Befürchtungen erweckt, das Land könne sich wieder stärker Russland zuwenden und der Regierungsstil autoritärer werden. Zuletzt hatte vor allem die Regierungshaltung zum Ukrainekrieg für Aufsehen gesorgt. Zwar verurteilte Tiflis die russische Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk. Den westlichen Sanktionen gegen Russland schloss die Regierung sich jedoch nicht an, was wiederum große Teile der eigenen Zivilgesellschaft empörte - jener Zivilgesellschaft, die nun auch Ziel des jüngsten NGO-Gesetzes hätte werden sollen.
International scharf kritisiert wurde die Regierung auch im Juli 2021; damals kam es rund um einen Pride-Marsch von LGBTQ-Aktivisten zu gewaltsamen Ausschreitungen mit 55 Verletzten. Polizei und Regierung griffen zu spät und nur halbherzig ein, ein Kameramann wurde damals zu Tode geprügelt. Tagelang hatten daraufhin wütende Demonstranten den Rücktritt Garibaschwilis gefordert.
Das gespaltene Land
Der Premierminister selbst sieht sich als Vertreter einer "ausgewogenen Politik", die für "Frieden und Stabilität" sorgen soll. Tatsächlich ist Georgien ein zutiefst zerrissenes Land, die Politik durch zahlreiche Widersprüche gekennzeichnet. Viele - vor allem jüngere - Georgier wünschen sich eine stärkere Anbindung an den Westen und einen raschen EU-Beitritt. Gleichzeitig ist Georgien trotz aller politischer Spannungen über die vergangenen Jahrzehnte stets ein beliebtes Reiseziel für russische Touristen geblieben, der russische Einfluss auf das Land im Südkaukasus nach wie vor groß.
Trotz der zurückhaltenden Positionierung zum Ukrainekrieg gewährte Tiflis im vergangenen Jahr Tausenden russischen Staatsbürgern Zuflucht, die sich der Teilmobilmachung des Kremls entziehen wollten. Zahlen des georgischen Innenministeriums zufolge halten sich derzeit rund 150.000 russische Staatsbürger im Land auf, das insgesamt nur rund 3,7 Millionen Einwohner zählt. Viele dieser Russen haben ihren Firmensitz mittlerweile nach Georgien verlegt und dem durch die Corona-Pandemie zuvor gebeutelten Land dadurch zu einem erneuten Wirtschaftsaufschwung verholfen. Dennoch gibt es in der Bevölkerung durchaus auch Ängste vor einer Art "schleichender Russifizierung" des Landes.
Auf der anderen Seite gibt es in dem Land mit Südossetien und Abchasien zwei abtrünnige selbsternannte "Republiken", die unter russischem Protektorat stehen, wodurch Moskau in der Region einen seit Jahrzehnten eingefrorenen Konflikt geschaffen hat. Die Sorge, dass Russland die Spannungen erneut anheizen und das Land dadurch weiter destabilisieren könnte, ist daher steter Bestandteil politischer Erwägungen in der georgischen Politik.
Aufatmen in Berlin und Brüssel
Die jetzige Rücknahme des jüngsten Gesetzesentwurfs wurde in Berlin und Brüssel mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Die EU-Delegation in Georgien begrüßte den Beschluss. "Wir ermutigen alle politischen Entscheidungsträger in Georgien, die pro-europäischen Reformen fortzusetzen", twitterte die Delegation am Donnerstag. Auch der Grünen-Politiker Tobias Lindner, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bezeichnete die Entscheidung auf Twitter als "gutes und hoffnungsvolles Signal".