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Interview mit Wolfgang Ketterle

31. Januar 2014

Physiknobelpreisträger Wolfgang Ketterle sagt, Deutschland sei ein guter Forschungsstandort. Moderne technische Ausstattung hält er für genau so wichtig wie gute Karrierechancen für junge Wissenschaftler.

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Wolfgang Ketterle im Interview mit der Deutschen Welle (Foto: DW)
Wolfgang Ketterle stand der Deutschen Welle beim Weltwirtschaftsforum in Davos Rede und AntwortBild: DW

Forschen in Deutschland - der Blick von außen

Deutsche Welle: Herr Ketterle, was macht denn ein Wissenschaftler in Davos?

Wolfgang Ketterle: Er ist neugierig, er informiert sich über viele Sachen und er vertritt seine Universität, das Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Sie selber sind deutscher Wissenschaftler, arbeiten aber in den USA, warum?

Ich bin als Post-Doc in die USA gegangen und habe dort eine wunderbare Stelle bekommen, und da bin ich heute noch. Also ich würde sagen: zum Teil sind es eben die Zufälle im Leben. Wenn man auf Wanderschaft geht, dann kann man auch woanders hängenbleiben.

Wie sieht es mit den Forschungsbedingungen aus: sind die in den USA besser als in Deutschland?

Das würde ich nicht uneingeschränkt sagen. Die Forschung in Deutschland ist auf höchstem Niveau. Die Infrastruktur ist sehr gut. Die Exzellenzinitiative hat noch einmal deutliche Verbesserungen gebracht. Ich würde sogar sagen: Wenn es um Laborausstattungen geht - ich kann natürlich nur für mein Gebiet sprechen - sieht es in den deutschen Labors vielleicht sogar besser aus als in meinen Labors.

Kann Deutschland also vielleicht auch damit rechnen, dass führende Wissenschaftler wieder zurückkommen?

Oh ja, absolut. Ich denke, es ist für viele eine Alternative. Das zeigt ja die Statistik: nur ein kleiner Bruchteil der Wissenschaftler, die ins Ausland gehen, bleiben im Ausland. Überwiegend gehen die Leute zurück. Das war auch mein Plan. Ich wollte nach zwei oder drei Post-Doc-Jahren nach Deutschland zurückgehen. Aber dann, wie die Zufälle eben kommen im Leben, ist es anders gelaufen, aber auch nicht schlecht.

Und die Zufälle waren eher wissenschaftlicher und beruflicher Art oder privater Natur?

Die waren in dem Moment wissenschaftlicher Art. Mir hat das MIT eine Assistenzprofessur angeboten. Und in dem Fall enfaltete sich die Dynamik des amerikanischen Systems: Ich konnte durchstarten, mit Volldampf weitermachen und eine eigene Arbeitsgruppe aufbauen. Ich hatte die Zuversicht, dass das innerhalb kürzerer Zeit auch in Deutschland hätte möglich sein können, aber das hätte damals etwas länger gedauert. Und zum anderen: ich kannte das Umfeld am MIT, ich hatte wunderbare Kollegen und da habe ich gesagt: Ok, jetzt starte ich zumindest für ein paar Jahre voll durch und bleibe in den USA.

Die Bundesregierung will Wissenschaft in Deutschland halten, Wissenschaftlern auch das richtige Forschungsumfeld bieten. Was muss denn da passieren?

Meiner Meinung nach passieren in vieler Hinsicht die richtigen Dinge. Man beruft jüngere Leute. Man führt Tenure Track Juniorprofessuren [befristete Lehrstellen mit Aussicht auf eine unbefristete Festanstellung] ein. Man versucht, Dynamik hereinzubringen. Man setzt auf junge Leute, gibt ihnen gute Entwicklungsmöglichkeiten. Also ich sehe viele Schritte in die richtige Richtung. Vielleicht hat man viel zu lange mit der Einführung der Tenure Track Juniorprofessuren gewartet. Da ist die Entwicklung an vielen Stellen auch jetzt noch nicht so weit, wie man sie sehen möchte. Aber viele Universitäten haben jetzt gesagt: Wir verbinden das. Weil die Perspektive für junge Leute bei Bewährung eine Dauerstelle zu bekommen ganz entscheidend ist.

Die Grundlagenforschung ist ja eine Stärke Deutschlands. Warum ist die so wichtig?

Grundlagenforschung ist etwas langfristiges. Manchmal muss man zwanzig oder dreißig Jahre warten, bis aus einer Erkenntnis in der Grundlagenforschung eine industrielle Anwendung wird - manchmal geht es aber auch überraschend schnell. Andererseits haben wir in der Grundlagenforschung alle paar Jahre einen Durchbruch: Wir entdecken eine neue Form von Materie oder erreichen noch kältere Temperaturen bei bestimmten Experimenten. Grundlagenforschung ist spannend. Da passiert in meinem Gebiet alle paar Jahre etwas, wo man denkt: Wow, das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Woran arbeiten Sie denn gerade?

Ich arbeite an spannenden Fragen von eiskalter Materie und möchte verstehen, was bei ganz tiefen Temperaturen passiert. Es geht darum, neue Formen der Materie zu entdecken - Formen von Materie, die Eigenschaften haben, die es bisher nicht gibt.

Wissen Sie schon, was uns diese Erkenntnis bringt?

So erfahren wir, was in der Natur noch möglich ist. Wir haben bisher nur eine begrenzte Ahnung, welche Vielfalt von Materialien in der Natur realisiert werden kann. Wir benutzen ultrakalte Temperaturen, um neue Möglichkeiten zu erforschen. Wenn wir eine Entdeckung machen, lernen wir, dass neue Formen der Materie möglich sind. Im Laufe der Jahre werden diese neuen Formen der Materie hoffentlich auch bei höheren Temperaturen realisiert und führen dann in weiteren Schritten möglicherweise zu Anwendungen.

Neue Formen der Materie – könnte man damit auch Energieanwendungen entwickeln?

Ja. Der direkteste Bezug zur Energieanwendung liegt in meiner Forschung über die Suprafluidität und Supraleitung [Stromeitung ohne Widerstand bei extrem tiefen Temperaturen]. Wir untersuchen Materialien, in denen sich Teilchen ohne Reibung, ohne sogenannte Dissipation, bewegen können. Das kann man ausnutzen, um elektrische Leistung verlustfrei zu übertragen.

Glauben Sie, dass die Welt in, sagen wir mal, 20 Jahren ganz anders aussehen wird als jetzt?

Wenn man in die Zukunft schaut, ist es das beste, erst einmal 20 Jahre zurückzuschauen. Dann extrapoliert man. Ich würde sagen, in 20 Jahren hat sich sehr viel verändert, aber radikal hat sich die Welt nicht verändert. Über 20 Jahre gibt es immer sehr viel Kontinuität. Natürlich haben wir atemberaubende Entwicklungen in der Computertechnologie, Digitalisierung, Biologie und anderen Bereichen gesehen. Ich finde, es ist ein rapider Fortschritt, aber Kontinuität ist auch da.

Wie kann man junge Leute für Physik begeistern?

Wir begeistern junge Leute. Es gibt keinen Mangel an begeisterten Studenten, die ans MIT kommen wollen und dort physikalische Forschung machen wollen. Man sollte aber die Begeisterung für Physik auch an mehr junge Leute übertragen. Wie macht man das? Vielleicht können Sie mithelfen, indem Sie die Aufregung und die spannenden Dinge, die in der Forschung passieren, nach außen tragen. Ich denke, eine Sendung über Physik oder Wissenschaft anzuschauen, ist doch manchmal viel unterhaltsamer und viel spannender als ein Spielfilm.

Wie stark sind Frauen im Fachgebiet Physik vertreten?

Frauen sind leider noch in der Minderheit. Aber auch da tut sich auch etwas. Der Prozentsatz der Frauen wird immer größer. Wir haben jetzt im Doktorandenstudium etwa 20-30 Prozent Frauenanteil, was ein deutlicher Schritt nach vorne ist.

Gibt es auch Dinge, die Ihnen Sorgen bereiten? Hier in Davos hören Sie einiges. Macht Ihnen zum Beispiel der Klimawandel Sorgen?

Die Themen, die hier auf der Tagesordnung sind - sei es der Klimawandel oder die wachsende Diskrepanz zwischen reichen und armen Ländern - das macht mir große Sorgen. Manchmal denke ich, dass ich als Grundlagenforscher nichts direkt dazu beitrage. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass wir Leute brauchen, die heute an den Technologien arbeiten, die in 20 oder 30 Jahren zum Einsatz kommen. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft arbeiten ich und meine Forschergruppe an der ferneren Zukunft. Aber ja, die nahe Zukunft ist bedrohend. Ich hoffe, es werden Lösungen gefunden.

Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem?

Die Verteilung von Armut und Reichtum ist ein riesiges Problem. Natürlich kann der Klimawandel die Erde zerstören. Ich würde nicht sagen, eins ist schlimmer als das andere. Beides ist dramatisch und beeinflusst die Menschheit in radikaler Weise. Vielleicht ist es ja das Problem, dass es nicht nur ein Problem gibt?

Wer ist denn in der Physik Ihr großes Vorbild?

Ich habe mir eigentlich als Vorbilder nicht die großen Physiker wie Einstein oder Richard Feynman genommen. Meine Vorbilder waren Mentoren - Leute, mit denen ich zusammen gearbeitet habe und die mich motiviert haben.

Das Interview führte Manuela Kasper-Claridge

Redaktion: Andreas Neuhaus/ Fabian Schmidt

Wolfgang Ketterle ist Direktor des Harvard Zentrums für Ultrakalte Atome am Massachusetts Institut of Technology. Er erhielt 2001 den Physik Nobelpreis gemeinsam mit seinen Forscherkollegen Carl E. Wiemann und Eric A. Cornell für die "Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in verdünnten Gasen aus Alkaliatomen und für frühe grundsätzliche Studien über die Eigenschaften der Kondensate."