Wo bleibt die Kulturpolitik im Wahlkampf?
13. September 2017Galerist Rudolf Zwirner kommt richtig in Fahrt, wenn er über das Kulturgutschutzgesetz redet. Der 84-Jährige, einst Mitbegründer der internationalen Kunstmesse "Art Cologne", sieht den deutschen Kunsthandel bedroht und ärgert sich: "Der Handel findet nur noch im Ausland statt. Wenn es keinen Handel mehr mit Kunst gibt, dann entstehen in Deutschland auch keine Sammlungen mehr."
Umstrittenes Kulturgutschutzgesetz
Seit einem Jahr ist das Gesetz in Kraft. Es soll die Ein- und Ausfuhr von Kunst und Antiquitäten regeln, unter anderem von Kulturgütern, die von "nationaler Bedeutung" sind. Kurz vor der Wahl kocht das Thema in den Feuilletons wieder hoch. Zwirner hat sogar eine Anzeige geschaltet - mit einem Wahlaufruf für die Freie Demokratische Partei (FDP). Dabei sei er eigentlich gar kein FDP-Wähler, so der Galerist gegenüber der Deutschen Welle. Doch die FDP sei die einzige, die in ihrem Wahlprogramm für eine Revision des Gesetzes eintrete. Das Gesetz sieht vor, dass die Ausfuhr von Kunstwerken, die 75 Jahre und älter sind und zudem einen Preis von 300.000 Euro und mehr erzielen, auch für den EU-Binnenmarkt eine Ausfuhrgenehmigung brauchen. Allein mit dem Verwaltungsaufwand seien aber viele Kunsthändler überfordert, sagt Zwirner.
Monika Grütters zieht positive Bilanz
Die strengen Einfuhrbedingungen vorangetrieben hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters - nicht zuletzt, um das Geschäft mit illegaler Raubkunst von Terrororganisationen wie dem sogenannten "Islamischen Staat" zu unterbinden. In ihre Amtszeit lag auch der "Fall Gurlitt", der offenbarte, wie viele Raubkunstwerke, die die Nationalsozialisten gestohlen hatten, noch in privaten Sammlungen schlummern. Ein Thema, das die Kulturpolitik auch in der nächsten Legislaturperiode weiter beschäftigen wird.
Monika Grütters ist als Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien direkt Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstellt. Grütters ist stolz, das Kulturgutschutzgesetz in ihrer Amtszeit endlich durchgebracht zu haben und damit die Unesco-Konvention zum Schutz von Kulturgütern in nationales Recht umzusetzen, sagte sie in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Am Ende der Legislaturperiode zieht sie eine positive Bilanz: Ihr Etat umfasst mittlerweile 1,7 Milliarden Euro, sie beschäftigt rund 300 Mitarbeiter.
Die Liste der Themen, die sie vorangetrieben hat, reicht von der Filmförderung über neue Bauten wie das Berliner Schloss und das Museum der Moderne bis hin zur Frauenförderung unter Kulturschaffenden und zum Kulturgutschutzgesetz. Grütters habe viel bewegt, meint Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat, dem Dachverband der Bundeskulturverbände: "Sie hat viele Themen aufgegriffen, ihren Etat kontinuierlich erhöht und ihrem Amt noch mal mehr Stärke gegeben", sagte er im DW-Interview. "Das gilt auch für das zutiefst umstrittene Kulturgutschutzgesetz. Wir haben Monika Grütters bei diesem gesetzlich geregelten Schutz von national wichtigen Kulturgütern unterstützt."
Zu viel Hochkultur-Politik?
Doch all diese Themen interessieren im eigentlichen Wahlkampf kaum. Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, kann sich auch nicht erinnern, dass das in seinen 30 Jahren als Wahlforscher jemals anders gewesen sei: "Die Kulturseiten der Zeitungen mögen voll sein, aber die Feuilletons haben eine niedrige Leserquote", so Jung gegenüber der DW. "Die Kultur ist eine Elite-Angelegenheit und spielt im Wahlkampf keine große Rolle." Die Bürger seien derzeit viel mehr an der inneren und sozialen Sicherheit interessiert. Kein Wunder also, dass das Thema Kultur auch in den Wahlprogrammen der Parteien relativ weit hinten steht.
Die Kulturpolitik in Deutschland sei eine Hochkultur-Politik und kümmere sich vor allem um Theater und Oper, sagt der Soziologe Helmut Anheier im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Dekan der Hertie School of Governance sieht zwei Schnittstellen, die für die Zukunft wichtig seien, bisher aber vernachlässigt würden: "Das ist Kultur und Bildung - das heißt auch, die Kultur in die Schulen zu tragen - und das ist Kultur und neue Medien". Gerade die neuen Medien würden von der Kulturpolitik immer etwas abgetrennt, meint Anheier. "Mir fällt kein Leuchtturmprojekt ein, in denen die neuen Medien hervorstechen in dem, was sie kulturell leisten können."
Während die CDU in ihrem Wahlprogramm weiterhin auf so genannte Leuchtturmprojekte von internationaler Bedeutung setzt, plädiert der Koalitionspartner SPD dafür, die Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur aufzuheben. "Für uns gibt es nur Kultur", heißt es im SPD-Wahlprogramm. Und die soll Bürgern leichter zugänglich gemacht werden - in den Schulen und stärker als bisher durch museumspädagogische Konzepte.
"Breiter Parteien-Konsens bei der Kulturpolitik"
Die Hertie School of Governance hat zur Wahl im Auftrag des Auswärtigen Amtes eine Studie herausgegeben, die der Bundesregierung eine gute auswärtige Kulturpolitik bestätigt: Kultureinrichtungen wie Goethe-Institut, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Humboldt-Stiftung und Partnerschulen im Ausland seien gut vernetzt. Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik werde von allen Parteien im Parlament als Beitrag zur Völkerverständigung gesehen. Alle wollten sie den Dialog mit Hilfe der Kulturinstitute aufrecht halten und weiter ausbauen.
"Ich glaube, dass es - wie in vielen Bereichen dieses Wahlkampfes - einen breiten Konsens bei den Parteien gibt", sagt Helmut Anheier. Auch das trage dazu bei, dass sich mit Kultur kein großer Wahlkampf machen ließe. "Der Deutsche Kulturrat hat ja die Positionen der Parteien verglichen entlang von14 Forderungen. Alle außer der AfD haben sich geäußert. Da sehen Sie doch eine große Übereinstimmung, wie die Parteien Kulturpolitik sehen."
Die großen Themen Bildung und Digitalisierung
Sogenannte Schnittstellenthemen wie Bildung und Digitalisierung, die auch das Wirtschafts- und Wissenschaftsressort betreffen, werden weit mehr in den Wahlprogrammen und auch im Wahlkampf aufgegriffen.
Keine der Parteien, die derzeit im Bundestag sitzen - das sind neben der Regierungskoalition aus CDU und SPD noch die Grünen und Die Linke - wird müde zu betonen, dass mehr Geld in Bildung investiert werden müsse. Denn noch immer - das belegen Studien - ist die Bildung von Kindern in Deutschland zu sehr abhängig von Einkommen und Bildung der Eltern.
Auch bei der Digitalisierung geht es um Bildung. So wollen etwa die Grünen mehr Programme für digitale Bildung und Medienkompetenz auflegen. Außerdem sprechen sich alle Parteien dafür aus, das kulturelle Erbe auch mit digitalen Mitteln zu wahren. Sie plädieren für den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek und die digitale Rettung des Film-Erbes, für die sich besonders Die Linke stark macht. Auch in der Erinnerungskultur spielt die Digitalisierung für die Parteien eine wichtige Rolle: wenn es etwa darum geht, die Kolonialgeschichte der Deutschen aufzuarbeiten oder die nationalsozialistische Vergangenheit sowie die Stasi-Geschichte der DDR zu dokumentieren und zu archivieren.
Kulturelle Integration als Chance für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Bei seinem Forderungskatalog an die Parteien ist dem Deutschen Kulturrat besonders wichtig, die "kulturelle Integration als Chance für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken". Alle Parteien außer der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD), die Chancen hat, nach der Wahl ins Parlament einzuziehen, haben auf den Forderungskatalog geantwortet.
In ihrem Wahlprogramm setzt die AfD allerdings ganz auf "Heimatkultur" und spricht sich klar gegen eine multikulturelle Gesellschaft aus. Alle anderen Parteien wollen die Initiative des Kulturrates weiter voranbringen - nicht zuletzt, um die vielen Flüchtlinge besser zu integrieren. Olaf Zimmermann bemängelt im DW-Interview allerdings, dass das Thema im Wahlkampf trotzdem kaum eine Rolle spiele. Damit müsse sich die Politik dringend stärker beschäftigen. "Aber es ist auch ein Problem der Medien, die kulturpolitische Fragen kaum erörtern", findet Zimmermann. "Geschähe das, dann würde sich auch schnell das Interesse der Politik ändern."
Monika Grütters Pläne für 2018
Zumindest in den eineinhalb Wochen vor der Wahl dürfte sich der Kulturrat nicht über zu wenig Berichterstattung zur Kulturpolitik beklagen können. Neben dem Kulturgutschutzgesetz wird auch das Humboldtforum in Berlin derzeit wieder heftiger diskutiert. Im Namen Alexander Humboldts sollen in dem rekonstruierten Stadtschloss ethnologische Sammlungen zeitgemäß präsentiert werden. Das wirft die Frage auf, wie man mit Raubkunst aus der Kolonialzeit umgehen soll und wie die Bürger - auch aus den Herkunftsländern der Exponate - besser an Entscheidungsprozessen beteiligt werden können.
Was das Kulturgutschutzgesetz anbelangt, so hat Monika Grütters für das kommende Jahr bereits eine Evaluierung angekündigt. Auch die Aufgaben ihres eigenen Amtes, das seit 20 Jahren besteht, will sie überdenken und weiterentwickeln, sollte sie auch nach der nächsten Wahl noch für Kultur und Medien im Kanzleramt zuständig sein. Baustellen gibt es viele - für Grütters oder für einen eventuellen Nachfolger. Nur eine Baustelle wird nicht neu geöffnet: Ein eigenes Kulturministerium, wie es der Kulturrat seit Jahren mit Unterstützung der Grünen fordert. Ein solches wird es in keiner Regierungskoalition geben, denn CDU und SPD lehnen ein gesondertes Ministerium für Kultur in ihren Wahlprogrammen ab. Beide Parteien finden, dass sich die jetzige Struktur - also die Zusammenarbeit von Bund und Ländern - für die Vielfalt der Kultur bewährt habe.