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"Noch Jahre bis zur Rückkehr der Demokratie"

Thomas Latschan23. Mai 2014

Der Putsch setzt einen vorläufigen Schlussstrich unter den Streit zwischen den Machtblöcken in Thailand. Langfristig könnte sich der Konflikt aber verschärfen, sagt Michael Winzer von der KAS Bangkok im DW-Interview.

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Michael Winzer Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok EINSCHRÄNKUNG
Bild: KAS

DW: Herr Winzer, wie ist die Situation derzeit in Bangkok? Wie haben die Menschen die jüngsten Entwicklungen aufgenommen?

In der Nacht nach dem Putsch herrschte eine gespenstische Leere, auch bedingt durch die vom Militär verhängte Ausgangssperre. Auch am folgenden Morgen war deutlich weniger los: Die Militärregierung hat die Schulen und Universitäten geschlossen. Viele Bangkoker sind Putsche aus der Vergangenheit gewohnt. Man ist jetzt nicht in Panik verfallen. In den meisten Bereichen geht das Leben normal weiter. Auch unser Büro ist ganz regulär geöffnet.

Aber es herrscht schon Ausgangssperre, die Medien wurden gleichgeschaltet, die Verfassung außer Kraft gesetzt. Wie frei kann man sich unter diesen Bedingungen bewegen und äußern?

Es ist in der Tat so: Wenn man den Fernseher anschaltet, sieht man nur das Logo der Militärregierung. Das betrifft auch ausländische Fernsehsender. Ich habe im Moment nur noch Internet und soziale Medien, um da wirklich freie, unabhängige Informationen über die aktuelle Situation zu bekommen. Wir als Stiftung haben auch für nächste Woche eine große Veranstaltung abgesagt, weil laut Kriegsrecht politische Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten sind. Viele Top-Politiker mussten auch beim Militär erscheinen. Man ist also sehr vorsichtig, und wir müssen erst einmal die nächsten Tage und Wochen abwarten, wie sich die Situation entwickelt.

Soldaten und Passanten in Bangkok (Foto:dpa)
Den 19. Militärputsch in der Geschichte Thailands nehmen die meisten Bürger äußerlich gelassen hinBild: dpa

Das Militär hatte sich ja monatelang eher zurückgehalten, obwohl die Krise das Land fest im Griff hatte. Warum hat es gerade jetzt den Schritt gewagt und eingegriffen?

Der Leidensdruck war sehr groß. Viele wirtschaftliche Indikatoren haben sich drastisch verschlechtert. In den letzten Wochen ist das Konsumentenvertrauen auf den tiefsten Stand seit knapp 13 Jahren gesunken. Und das war wahrscheinlich dann mit entscheidend für das Militär jetzt einzugreifen und die Macht an sich zu ziehen.

Wie schätzen Sie eigentlich die Militärspitze ein? Welche Politik wird sie verfolgen? Ist sie überhaupt in der Lage, das Land zu regieren?

Durch den Putsch wird der grundlegende Konflikt nicht gelöst. Man gibt ihm lediglich neue Spielregeln oder andere Rahmenbedingungen. Die weiteren Schritte werden wahrscheinlich sein, dass man irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen einen neuen Premierminister und eine neue Regierung einsetzt. Dann wird man wahrscheinlich die Verfassung ändern oder dem Land eine ganz neue Verfassung geben. Und irgendwann am Ende der Kette werden wahrscheinlich Neuwahlen stehen. Ich schätze, dass so ein Prozess ein bis zwei Jahre dauern kann, bis Thailand wieder zur Demokratie zurückkehrt.

Was geschieht jetzt mit der bisherigen Regierung?

Thailands Armeechef Prayuth Chan-Ocha (Foto:afp)
Armeechef Prayuth Chan-Ocha hat sich zu Thailands vorläufigem Regierungschef ernanntBild: PORNCHAI KITTIWONGSAKUL/AFP/Getty Images

Die bisherige Regierung wurde vom Militär vorgeladen. Man hört auch Berichte in sozialen Medien, dass auch die bisherige gewählte Ministerpräsidentin Yingluck vom Militär festgehalten wird. Man hört auch von anderen ehemaligen Regierungsmitgliedern, die untergetaucht sind und sich nicht dem Militär gestellt haben.

Die Opposition hat ja im Grunde schon immer gesagt, dass sie gar keine demokratisch gewählte Regierung möchte. Da gab es immer diese Vorstellung eines nicht demokratisch legitimierten "Volksrates", der stattdessen eingesetzt werden soll. Ist also dieser Militärputsch jetzt so etwas wie ein verkappter Sieg für die alten Eliten des Landes?

Da muss man jetzt abwarten, in welche Hand die Regierungsmacht übergeht, welche politischen Entwicklungen die nächsten Wochen bringen. Zumindest in dem Punkt, dass die alte Regierung abgesetzt ist, dass Yingluck als Schwester Thaksins nicht mehr Regierungschef ist, hat die Opposition ganz klar ihr Ziel erreicht.

Hat das Militär denn überhaupt ein Interesse an einer Rückkehr zur Demokratie? Denn wenn es wieder zu freien Wahlen kommt, ist doch die Gefahr groß, dass sich die Mehrheitsverhältnisse deutlich ändern und es wieder zu den gleichen Problemen kommt wie vor dem Putsch.

Ja, viele Beobachter sagen, dass man im Prinzip in einer ähnlichen Situation ist wie im Jahr 2006. Auch damals gab es einen Putsch, die Verfassung wurde geändert, der Konflikt, der zu diesem Putsch geführt hat, ist aber schlussendlich nie gelöst worden. Im Gegenteil. Er hat sich verhärtet und verschlimmert. Inzwischen ist die Gesellschaft so tief gespalten, dass ein Versöhnungsprozess sehr schwierig und auch langwierig sein wird.

Klar ist, dass das Militär wahrscheinlich kein Interesse an einer längerfristigen politischen Machtübernahme hat. Man wird wahrscheinlich versuchen, die Regierungsgewalt möglichst bald wieder einer zivilen Regierung zu übergeben. Das ist sicher keine leichte Aufgabe. Die Rahmenbedingungen sind heute andere als früher, man hat ein anderes Bewusstsein in der Bevölkerung, man erreicht viel mehr Leute durch soziale Medien, selbst größere Teile der armen Landbevölkerung. Viele Kommentatoren auf Twitter haben gesagt, der jüngste Putsch sei eine Premiere in Thailand, weil es der erste Putsch zu Zeiten des Smartphones ist. Von daher sind die Rahmenbedingungen deutlich andere als bei früheren Umstürzen.

Was bedeutet das für die Zukunft Thailands. Gibt es eine Möglichkeit, diese verhärteten Fronten aufzubrechen?

Ein Grund dafür, dass der aktuelle Konflikt so eskaliert ist, ist in der Tat, dass es keine wirkliche Perspektive oder kein Szenario gibt, wie man ihn lösen kann. Dieser Konflikt ist trotz Putsch nach wie vor da, und er wird weiter existieren und sich möglicherweise sogar weiter verschärfen. In der Vergangenheit haben beispielsweise die Rothemden immer angekündigt, dass sie einen Putsch nicht akzeptieren würden. Deren Anführer hat auch mehrmals das Wort Bürgerkrieg in den Mund genommen, und von daher ist zu befürchten, dass sich der Konflikt auch weiter verschärfen könnte. Nicht in den nächsten Tagen oder Wochen, solange die Militärpräsenz noch hoch ist, aber es ist jetzt schwierig, zu einem Kompromiss oder einem Konsens zu finden.

Ich glaube, dieser Prozess wird Jahre dauern, bis sich in der breiten Bevölkerung und auch bei den Eliten ein wirklich demokratisches Bewusstsein entwickelt. Auch, wenn man sich die Geschichte des Landes anschaut: Im Prinzip wurden erst mit der Verfassung im Jahr 1997 weitgehende demokratische Institutionen geschaffen. Die Demokratie ist also relativ jung in Thailand, und auch nach der Verfassung von 1997 hat die Demokratie immer noch Defekte gehabt, sie ist nicht so gelebt worden, wie auf dem Papier in der thailändischen Verfassung vorgesehen. Und das ist mit Sicherheit auch ein Grund für den aktuellen Konflikt.

Michael Winzer ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Thailand.

Das Interview führte Thomas Latschan.