Amazonas: Wilder Westen für illegale Goldgräber
15. April 2020Von oben sieht die Umgebung von Creporizão, eine abgelegene Stadt im brasilianischen Amazonas, wie eine dunkelgrüne Decke aus. Entlang der Straßen und Flüsse, die sich durch den Regenwald ziehen, sieht es anders aus. Schlammige, braune Flecken bilden sich an ihren Rändern: illegale Goldminen.
Mehr zum Thema: Gewalt gegen Umweltschützer oftmals ungesühnt
Jeden Tag machen sich Hunderte von Minenarbeitern auf die Suche nach Gold und hoffen, in diesem Gebiet etwas zu finden. Manche nehmen Boote den Fluss ab- und aufwärts, um die Gruben zu erreichen. Andere fliegen mit kleinen Flugzeugen ein. Diese Bilder sind Alltag geworden im größten Regenwald der Welt und einer der Gründe für die weitreichende Zerstörung des Waldes.
Mehr zum Thema: Brasiliens indigene Gemeinden leisten Widerstand gegen Bolsonaro
José Maria, der seinen vollständigen Namen nicht nennen möchte, ist einer der Minenarbeiter aus dem etwa 1000 Kilometer östlich gelegenen Bundesstaat Maranhão. Er wartet am Flussufer darauf, von einem Boot zu einer der Goldgruben mitgenommen zu werden. "Wir leisten hier ehrliche Arbeit und verdienen damit unseren Lebensunterhalt", sagt er und fragt: "Wo ist das Problem?"
Die Gruben, in denen José Maria und seine Kollegen arbeiten, befinden sich auf dem mehr als zwei Millionen Hektar großen Gebiet der Munduruku, einem der größten indigenen Stämme im Amazonas. Ihr Land ist reich an Mineralvorkommen und wird durch die brasilianische Verfassung von 1988 geschützt.
Eine überwältigende Mehrheit der Brasilianer ist laut einer Meinungsumfrage aus dem vergangenen Jahr gegen den Bergbau auf indigenen Gebieten. Genau den jedoch fordert Präsident Jair Bolsonaro in einem umstrittenen Gesetzentwurf, der dem brasilianischen Kongress Anfang Februar zur Abstimmung vorgelegt wurde. Rodrigo Maia, Präsident der Abgeordnetenkammer, hält den Gesetzentwurf für verfassungskonform, verschob die Abstimmung darüber jedoch, da "dies nicht der richtige Zeitpunkt" sei.
Mehr zum Thema: Landraub im brasilianischen Regenwald: Leben im Schatten von Gewalt
Das Ministerium für Bergbau und Energie in Brasilien sagte der DW, es plane "die Bergbauaktivitäten auf indigenem Land zu regulieren". Maia fügte hinzu, es sei "eine Absprache mit den indigenen Gemeinden" erforderlich, damit diese am Abbau des Goldes beteiligt werden könnten.
Während sich einige der Munduruku der Verlockung von schnellem Geld hingeben und den Goldabbau erlauben, ist die Mehrheit weiterhin gegen den illegalen Bergbau.
"Großer Goldrausch"
Ungefähr ein Zehntel des brasilianischen Landes ist als indigen klassifiziert. Das indigene Land verteilt sich auf mehr als 400 Reservate. Doch laut des Amazon Geo-Referenced Socio-Environmental Information Network (RAISG) gibt es mehr als 450 illegale Bergbaugebiete im brasilianischen Amazonas, in dem die meisten dieser Reservate liegen. Ein Gesetz im Sinne Bolsonaros könnte zu einem dramatischen Anstieg genau solcher Bergbauaktivitäten führen.
"Wenn das Gesetz durchkommt, wird uns hier die Decke einstürzen", sagt Glenn Shepard, ein amerikanischer Anthropologe, der mit der von illegalem Bergbau betroffenen indigenen Bevölkerung arbeitet. "Das Gesetz wird den illegalen Goldbergbau weiter befeuern. Schon jetzt gibt es einen regelrechten Goldrausch, über den die indigenen Gruppen die Kontrolle verlieren."
Das Greenpeace-Journalistenteam Unearthed berichtete, dass Goldgräber planten, ihre Arbeit auch während der Coronavirus-Pandemie fortzuführen. Damit verstärkten die Minenarbeiter Ängste, dass sie indigene Gruppen mit COVID-19 anstecken könnten.
Mehr zum Thema: Klage gegen Bergbaukonzern Vale und den TÜV
Das brasilianische Ministerium für Bergbau und Energie teilte der DW mit, dass es schon vor der Abstimmung über den Gesetzentwurf mehr als 4000 Anträge für Bergbauaktivitäten auf dem Land der Ureinwohner erhalten habe.
Goldschürfer und indigene Gemeinden befinden sich in ständigem Konflikt. Im Juni 2019 berichtete die brasilianische Behörde für indigene Rechte Funai, dass Goldschürfer einen Führer der Wajapi-Gemeinde im brasilianischen Amazonasgebiet ermordet hätten. Nach Recherchen der internationalen NGO Global Witness wurden allein im Jahr 2018 20 Land- und Umweltschützer getötet. Weltweit nannte die gemeinnützige Organisation den Bergbau als den tödlichsten Sektor mit 46 gemeldeten Morden im selben Jahr.
Das Problem der Entwaldung
Der Bergbau verursacht massive Umweltschäden und ist maßgeblich an der Abholzung der Wälder beteiligt. Allein zwischen 2005 und 2015 soll er für neun Prozent des gesamten Waldverlustes im Amazonasgebiet verantwortlich gewesen sein, so ein Bericht der Fachzeitschrift "Nature Communications".
Eine Satellitenanalyse, die von der Nichtregierungsorganisation Monitoring of the Andean Amazon Project (MAAP) veröffentlicht wurde, zeigte, dass aufgrund von Goldbergbau im Reservat der Munduruku-Indianer 2019 insgesamt 2000 Hektar Bäume abgeholzt wurden. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
Mehr zum Thema: Sollte die Natur rechtlich geschützt werden?
Im vergangenen November trafen sich Dutzende von Stammesführern aus der Amazonasregion in Brasilia, wo sie sich bei den zuständigen offiziellen Stellen über die Missstände in ihren Gebieten beschwerten und Klage erhoben.
"Das wäre der Tod unseres Volkes", meint Alessandra Korap Munduruku, eine Anführerin aus dem Bundesstaat Pará, die an dem Treffen teilnahm, über die potenzielle Legalisierung des Bergbaus. Der Goldabbau führe zu Krankheit, Prostitution, Drogensucht bei den Kindern oder gewalttätigen Konflikten bei den Männern, aber nicht nur das. Fische würden durch Quecksilber vergiftet.
Das Quecksilber, das während des Goldabbaus über den Fluss Tapajos in der Region freigesetzt wird, sickert in Nebenflüsse. Auch in jene, die an der Stadt Creporizão vorbeifließen und von lokalen Gemeinden als Wasserquelle genutzt werden. In einer Studie nahm Erik Jennings, ein Neurologe aus der brasilianischen Stadt Santarem, erstmalig Blut- und Haarproben von 112 Stammesangehörigen. Anhand der Proben bestimmte er den Quecksilbergehalt im Körper der Betroffenen. "Es ist ein langsamer Genozid", sagt Jennings der DW. "Quecksilber im Körper kann schwere kognitive und visuelle Beeinträchtigungen verursachen und Föten deformieren."
Problematischer Goldhandel
Selbst der legale Goldhandel wird in Brasilien zu großen Teilen nicht reguliert. So kommen illegale Geschäfte zustande, und das Amazonasgebiet wird immer weiter zerstört.
Mehr zum Thema: Umweltfreundliche Abfallentsorgung für Rio de Janeiro?
"Betrug zu begehen, ist in diesem Bereich relativ einfach. Es ist fast unmöglich, all diesen Fällen auf die Spur zu kommen", sagt Luis de Camoes Lima Boaventura, ein Staatsanwalt in der amazonischen Stadt Santarem. "Bis ein computergestütztes System installiert ist, können die Behörden die Rechtmäßigkeit von Transaktionen nicht überprüfen. Um eine Transaktion mit illegalem Gold durchzuführen, braucht man derzeit nur Stift und Papier." Nach Schätzungen der "National Mining Agency" werden im Bundesstaat Pará jährlich rund 30 Tonnen Gold im Wert von etwa 900 Millionen Euro illegal gehandelt. Das ist etwa sechsmal mehr als die offiziell angegebene Menge.
Wenn Minenarbeiter wie José Maria am Ende ihrer manchmal tagelangen Reise nach Creporizão zurückkehren, gehen sie in einen der vielen Goldläden der Stadt. Das Gold, das die Minenarbeiter ausgegraben haben, wird hier zu standardisierten Goldbarren geschmolzen. Dadurch wird illegal abgebautes Gold Teil des globalen Marktes, und seine Herkunft kann nicht mehr zurückverfolgt werden. Und am Ende weiß dann niemand mehr, dass dieser Barren Gold für die immense Abholzung, Umweltverschmutzung und Gewalt im Amazonas verantwortlich ist.