Umweltfreundliche Abfallentsorgung für Rio
11. Januar 2020Am nördlichen Stadtrand von Rio de Janeiro, weit weg von den weißen Sandstränden der legendären Copacabana, werden zerdrückte Mangos, schrumpelige Paprika und ein Haufen Maniokwurzeln mit Holzspänen vermischt.
Was nicht gerade nach besonders leckeren Zutaten klingt, ist der Versuch Rios, Netto-Null-Emissionen bis 2050 näherzukommen. Mit dem Projekt will die brasilianische Megacity herausfinden, ob Verbrennung von Abfällen ein Teil der Lösung sein könnte.
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"All diese Lebensmittel würden sonst einfach weggeworfen", sagt Bernardo Ornelas Ferreira, Forscher am Ecoparque do Caju, wo die erste Anlage für Biomethanisierung Lateinamerikas steht.
Ein starker, säuerlicher Geruch hängt in der Mittagshitze über der Lagerhalle. Ferreira lässt einen Gabelstapler vorbeifahren. "Es ist so viel ungenutztes Potenzial. Wir müssten das im ganzen Land so machen", fügt er hinzu.
Brasilien ist einer der 10 größten Produzenten von Lebensmittelabfällen weltweit. Rund 30 Prozent der Obst- und Gemüseernten werden entsorgt. Nach Angaben der brasilianischen Agrarforschungsgesellschaft landen täglich rund 40.000 Tonnen Lebensmittel im Müll und verrotten auf Deponien. Das setzt erhebliche Mengen Methan frei.
Rio de Janeiro hat rund 6,7 Millionen Einwohner und ist eine von mehr als 70 Städten weltweit, die sich verpflichtet haben, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Laut den Vereinten Nationen sind Städte für etwa 75 Prozent der CO2-Emissionen weltweit und mehr als zwei Drittel des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich.
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Strom aus Lebensmittelabfällen
Das Ecoparque-Pilotprojekt wurde im Dezember 2018 von der städtischen Entsorgungsgesellschaft Comlurb ins Leben gerufen. Organische Stoffe, überwiegend aus Lebensmittelabfällen, werden dabei in Biogas umgewandelt. Strom, Biokraftstoffe und Kompost - als Düngemittel in der Land- und Forstwirtschaft - entstehen und verursachen nur minimale Emissionen.
Die Anlage verarbeitet zwischen 35 und 50 Tonnen Abfall täglich und erzeugt ausreichend Energie, um sich selbst, die große Mülldeponie und 19 Elektrofahrzeuge des Unternehmens mit Strom zu versorgen. Basierend auf dem durchschnittlichen Verbrauch in Brasilien, entspricht das mehr als 1000 Haushalten, sagt Ferreira.
Die organischen Abfälle kommen von Supermärkten, Obst- und Gemüseständen aus dem Stadtzentrum. Auch Hausmüll und weggeworfene Burger und Pommes Frites des Rock in Rio-Festivals im vergangenen Oktober hat das Werk verarbeitet.
Sieben Reaktoren von Ecoparque, jeder etwa so groß wie ein Schiffscontainer, werden zur Abfallverwertung eingesetzt. In einem mehrstufigen Prozess wird jeder Reaktor mit organischen Abfällen befüllt und anschließend für zwei bis drei Wochen verschlossen. Bakterien werden hinzugefügt, die helfen sollen, die Stoffe zu zersetzen und so Methan zu produzieren. Das Gas wird dann in einem großen Behälter über der Anlage gespeichert und später in Strom umgewandelt.
"Die Idee von Ecoparque ist es, einen Ort zur Erprobung neuer Technologien zu schaffen, die in Zukunft - sofern sie ihre wirtschaftliche, finanzielle und ökologische Tragfähigkeit unter Beweis gestellt haben - von Comlurb eingesetzt werden können. Damit mit der Zeit immer weniger Abfall auf Deponien landet", sagt José Henrique Monteiro Penido, Leiter der Abteilung für ökologische Nachhaltigkeit bei Comlurb. "Das Modell kann von Städten übernommen werden und sich so positiv auf das ganze Land auswirken."
Laut Comlurb ist dies der "erste Schritt" zur Bewältigung der 5000 Tonnen organischer Abfälle, die Rio de Janeiro täglich produziert. Mit Hilfe von Geldern aus dem brasilianischen Technologie-Entwicklungsfonds und in Zusammenarbeit mit der staatlichen Universität von Minas Gerais, soll das Modell auch auf andere Städte in Brasilien und ganz Lateinamerika ausgeweitet werden.
"Insgesamt ist es ein sehr positives Zeichen und ich zweifle nicht daran, dass es ausbaufähig ist", sagt Richard Lowes, Forscher für Energiepolitik an der Universität Exeter. "Es scheint ein effizienter Prozess mit gut messbaren Kontrollen der Produktion. Wenn Lebensmittelabfälle auf Deponien landen, können sie Methan, ein starkes Treibhausgas, erzeugen. Aber durch diesen Prozess gewinnt man Energie und vermeidet die Emissionen."
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Klimaziele erreichen
Die Biomethanisierung allein wird jedoch nicht ausreichen, um den ökologischen Fußabdruck Brasiliens deutlich zu reduzieren, sagt Lowes: "Es wäre besser, wenn der Abfall einfach gar nicht erst entstehen würde. Wenn es keine Verschwendung gäbe, müsste auch nicht so viel entsorgt werden. Wir als Gesellschaft neigen dazu, sehr verschwenderisch zu sein und wir müssen versuchen, das zu reduzieren."
Die Stadtverwaltung glaubt trotzdem, dass die Maßnahme dazu beiträgt, ihr Klimaziel zu erreichen: Die Emissionen zwischen 2005 und 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Rio ist Mitglied des C40-Städtenetzwerks, das sich um verstärkten Klimaschutz im städtischen Kontext bemüht. Das sogenannte Low Carbon City Development Program soll eine kohlenstoffarme Stadtentwicklung fördern. Im Rahmen dessen hat Rio de Janeiro in den letzten Jahren mehrere Maßnahmen implementiert: ein Aufforstungsprojekt mit 12 Millionen Bäumen, ein lokales Fahrradverleihsystem, genannt Bike Rio, und der Ausbau der städtischen Fußwege.
Es ist ein Leuchtturmprojekt, das Brasilien in einem positiveren Licht zeigen soll. Denn das Land steht meistens eher in der Kritik wegen seiner jahrzehntelangen Abholzungen im Amazonasgebiet und dem mangelnden Engagement, wenn es um die Einhaltung der eigenen Klimaziele geht. Das hat sich zuletzt auf der Weltklimakonferenz COP25 in Madrid gezeigt.
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Im Werk von Ecoparque ist das Team bemüht, durch Elektronik, Sensoren und Messgeräte die Biogasproduktion weiter zu verbessern und möglichst effizient nachhaltige Energie zu erzeugen. Es hofft, dass mehr Anlagen im Land gebaut werden, die dann jeweils 50.000 Menschen versorgen.
"Es gibt zwei Möglichkeiten", sagt Forscher Ferreira. "Wir können mit dem derzeitigen System von großen Abfall-Entsorgungsanlagen fortfahren, die jedoch erhebliche Transportkapazitäten erfordern. Oder wir können den Prozess dezentralisieren und eine Anlage in jeder Stadt Brasiliens bauen."