Wie stark wird "dritte Kraft" bei Hongkong-Wahl?
2. September 2016Am Sonntag (04.09.) wird in Hongkong der sechste Legislativrat (Legislative Council) seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie an China im Jahr 1997 gewählt. Früher fand der Wahlkampf im Prinzip zwischen demokratischen Reformern und den stärker nach Peking orientierten Gruppen statt. Jetzt kommen aber die sogenannten "Localists" mit ins Spiel. Sie fokussieren sich auf die Lokal-Interessen der Hongkonger Gesellschaft - daher auch der Name - und wollen eine klare Distanzierung zwischen Hongkong und Festlandchina.
Viele von ihnen sind junge, engagierte Menschen, die nicht mehr an Demokratie unter einer kommunistischen Führung glauben. Die Vorstellungen reichen von echter Autonomie über Rückgabe an Großbritannien bis zur vollen Unabhängigkeit. "Diese Leute sagen, dass die traditionellen pro-demokratischen Kräfte Hongkong nach 30 Jahren nichts gebracht hätten", sagt Victoria Hui, Politik-Dozentin an einer Universität im US-Bundesstaat Indiana und ehemalige Mitarbeiterin des Veteranen der Hongkonger Demokratiebewegung, Martin Lee.
"Localism" wurde vor allem nach der Occupy-Bewegung und den Straßenprotesten vor zwei Jahren populärer. Die Hongkonger wehrten sich damals gegen die Entscheidung der Pekinger Regierung über eine Wahlreform. Die chinesische Regierung plante eine allgemeine und direkte Wahl des Hongkonger Regierungschefs ab 2017, jedoch ohne eine freie Nominierung der Kandidaten. Dies löste großen Unmut aus und führte zu monatelangen Protesten in der Stadt, hunderttausende Demonstranten forderten eine echte demokratische Wahl. Die Gesellschaft war stark gespalten und teilweise polarisiert; immer mehr solcher Gruppen, die eine Trennung vom Festland propagierten, entstanden.
Schwur auf das Basic Law gefordert
Aber nicht alle "neuen Kräfte" dürfen am Wahlkampf teilnehmen - zumindest nicht die Unabhängigkeitsbefürworter. Sechs Kandidaten unterschiedlicher Gruppen wurden wegen ihres politischen Standpunkts von der Wahl disqualifiziert. Die Wahlbehörde verlangte im Juli zum ersten Mal von allen Kandidaten ein Formular, in dem sie bestätigen mussten, dass sie "verstehen, dass Hongkong eine untrennbarer Teil Chinas ist, wie es im Artikel 1 des Basic Law beschrieben wird". Drei der Kandidaten lehnte die Unterzeichnung ab, die anderen wurden trotz ihrer Zustimmung disqualifiziert. Dieser Akt wurde als politische Zensur scharf kritisiert, doch die Hongkonger Regierung bestand darauf, dass die Förderung von Unabhängigkeit gegen das Basic Law verstößt.
Andere "Lokalisten", die nicht direkt Unabhängigkeit von Hongkong verlangen, wurden jedoch zugelassen. "Auch wenn sie (die Regierung, Anmerk. der Red.) uns von der Wahl ausschließen, können sie den unvermeidlichen Unabhängigkeitsprozess Hongkongs nicht stoppen", sagte Andy Chan, Chef der "Hongkonger Nationalpartei", in einem Statement.
"Leute sollen über Unabhängigkeit gar nicht erst nachdenken"
Für andere Hongkonger ist die Unabhängigkeitsbewegung aber nicht unaufhaltbar. Donna Mo, die eine kleine Werbeagentur betreibt, glaubt, dass die Wahrheit anders aussieht. "Es gibt nur ganz wenige Leute in Hongkong, die wirklich Unabhängigkeit wollen", sagt die 54-jährige, die aktiv für einen pro-demokratischen Kandidaten wirbt. Sie glaubt, dass Peking oder die Hongkonger Regierung diejenigen sind, die das Thema übertreiben."Sie wollen das Thema Unabhängigkeit nach vorn bringen und den Leuten klar sagen, dass es falsch und unverzeihlich sei, dass solche Ideen unabsehbare Folgen hätten und man über so etwas nie nachdenken dürfe. Die wollen, dass die Leute davor Angst haben", sagte sie der DW.
Dass die Hongkonger Angst haben, kann sie nicht bestätigen. Aber durch die Diskussionen sei der bisher unbekannte Begriff in aller Munde. "Es ist ein Denkanstoß für die Menschen, die bisher nie darüber nachgedacht haben, dass es auch die Möglichkeit gibt, sich unabhängig zu machen."
Die Diskussion um die Zukunft von Hongkong wird breit geführt, die Meinungen sind gespalten. Donna Mo ist der Ansicht, dass vor allem die unterschiedliche Standpunkte innerhalb des demokratischen Lagers – einschließlich der „Lokalisten“ und Unabhängigkeitsbefürworter - das Pro-Peking Lager begünstigen können. "Die traditionellen Demokraten und die Lokalisten jagen sich gegenseitig die Stimmen ab. Am Ende könnten beide zu wenig Stimmen bekommen, um im Parlament großen Einfluss ausüben zu können.“
Bedeutung der Parlamentswahl offen
Das Parlament ist für die Hongkonger ein wichtiges Instrument, um ihre Stimmen in die Politik einzubringen, obwohl es kein allgemeines Wahlrecht gibt. Nur die Hälfte der 70 Sitze wird durch Direktwahl in den Stimmbezirken ("geographical constituency") vergeben. Die andere Hälfte der Abgeordneten wird durch berufsständische und gesellschaftliche Interessengruppen ("functional constituency") gewählt. Die Wählerzahl der "geographical constituency" ist allerdings viel größer als die der "functional constituency", weshalb die Zusammensetzung des Parlaments als unausgeglichen kritisiert wird.
Außerdem wird "ein Großteil der Interessengruppen von Unternehmern dominiert, die von guten Beziehungen zum Festland profitieren", sagt Dr. Mareike Ohlberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator Institut für China-Studien in Berlin.
Trotz der großen Machtbefugnisse des von Peking ausgewählten Chief Executive kann der Legislativrat Regierungsentscheidungen beeinflussen. Jeder Gesetzentwurf muss durch das Parlament bestätigt werden. Der Wahlreformplan der chinesischen Regierung, der den großen Protest vor zwei Jahren auslöste, ist zum Beispiel durch die Abstimmung des Parlaments gescheitert. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit kam nicht zustande.
Ohlberg glaubt, dass einige Kandidaten der neuen Parteien es in den Legislativrat schaffen können. "In den etablierten Parteien werden viele Abgeordnete ausscheiden und durch neue, unbekannte Gesichter ersetzt." Donna Mo glaubt allerdings nicht, dass diese Wahl die politischen Verhältnisse groß verändern wird. "Auch wenn diese junge Gesichter ins Parlament kommen, wird das bestehende System sie integrieren", sagt die Unterstützerin des traditionell-demokratischen Lagers.