1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Welche Optionen hat die NATO noch?

Barbara Wesel
4. März 2022

Erneut treffen sich die NATO-Außenminister in Brüssel um über den Krieg in der Ukraine und die Folgen zu beraten. An den Gesprächen nimmt auch US-Vertreter Anthony Blinken teil. Was aber kann die NATO noch tun?

https://p.dw.com/p/47yLx
Brüssel Belgien | NATO Sitzung zur Ukrainekrise - Jens Stoltenberg
Bild: Olivier Matthys/AP/picture alliance

Der Leitartikel im britischen Politikmagazin "The Economist" bewertet die Lage höchst dramatisch: "Wenn [Putin] sich in der Ukraine durchsetzt, werden seine nächste Beute Georgien, Moldau oder die baltischen Staaten. Er wird nicht stoppen, bis er gestoppt wird. Die Welt muss gegen ihn aufstehen". Nur die NATO als westliches Verteidigungsbündnis wäre dazu imstande, genauer gesagt: die USA. Aber welche Optionen sehen die Außenminister in der gegenwärtigen Situation?

Politisch größte Besorgnis

Diese dramatische Einschätzung in der Presse wird von NATO-Diplomaten hinter den Kulissen geteilt. Es wird von einer ernsten Stimmung und großer Besorgnis gesprochen, dass Putin weitere Anlässe zur Eskalation suchen werde. Deshalb auch besucht US-Außenminister Anthony Blinken bei seiner Rundreise sowohl die Republik Moldau als auch die baltischen Staaten, um zumindest politisch ein Zeichen zu setzen.

Überhaupt wird das Treffen in Brüssel eher als diplomatische Übung betrachtet, um der Ukraine weiterhin die Solidarität des Westens zu versichern. Denn konkret haben die Minister nichts zu beschließen, nach der Entsendung der NATO-Speerspitze und der Mobilisierung der schnellen Eingreiftruppe zur Verstärkung an den östlichen Außengrenzen hat sie ihre Möglichkeiten zunächst ausgeschöpft.

US-Außenminister Antony Blinken
US-Außenminister Anthony Blinken hat derzeit wenig Trost für seinen ukrainischen Amtskollegen Dmytro KulebaBild: Carolyn Kaster/AP Photo/picture alliance

Die Erklärungen aus dem Elysée-Palast nach dem Telefonat von Waldimir Putin mit dem französischen Präsidenten Macron am Donnerstag geben allerdings keinerlei Anlass zur Hoffnung. "Es wird noch schlimmer werden", ließ er erklären, Putin wolle die ganze Ukraine einnehmen und von seinen Zielen, sie zu entmilitarisieren und zu einem "neutralen" Staat zu machen, nicht ablassen. 

Was allerdings die mutmaßliche atomare Bedrohung durch Russland angeht, sieht die NATO im Nachhinein ihre unterkühlte Reaktion als richtig an. Nachdem Russland seine Atomwaffen vor wenigen Tagen in erhöhte Bereitschaft versetzt hatte, wolle man sich nicht in die Spirale einer Abschreckungsrhetorik hineinbegeben, heißt es. 

Rufe nach einer Flugverbotszone

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte die immer wieder von der ukrainischen Regierung und internationalen Beobachtern erhobene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone bereits deutlich abgelehnt. Dies würde bedeuten, dass NATO-Flugzeuge den Himmel über der Ukraine sichern und gegen russische Kampfjets eingreifen müssten. Der frühere NATO-Kommandeur Sir Adrian Bradshaw warnte in der BBC: "Das ist nicht wie im Irakkrieg, sondern wir stehen einem Feind mit einer sehr fähigen Luftabwehr gegenüber. Das würde zu einem Kampf zwischen NATO-Truppen und russischen Kräften führen (…). Das bedeutet Krieg, 30 Länder gegen Russland. Es wäre, deutlich gesagt, der Dritte Weltkrieg".

Litauen Stinger-Flugabwehrsysteme und Körperschutzwesten in ein militärisches Frachtflugzeug
Litauen hat Stinger-Raketen und Schutzwesten an die Ukraine geliefert Bild: Lithuanian Ministry of National Defense/AP/picture alliance

Und der britische Verteidigungsminister Ben Wallace fügte hinzu, eine solche Flugverbotszone würde auch der ukrainischen Armee eine "der wenigen Waffen nehmen, die sie zur Verteidigung gegen die Überlegenheit der russischen Bodenoffensive hat".

Weitere Waffenlieferungen

Alle weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine sind Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten, betonen NATO-Diplomaten immer wieder. Denn ihr Mantra ist, nicht die NATO sei im Krieg mit Russland, sondern Putin führe Krieg in der Ukraine. Fraglich ist aber, wie viel Gerät die NATO-Länder überhaupt noch in ihren Arsenalen haben, um weitere Raketen und panzerbrechende Waffen zu liefern, die von ukrainischen Truppen eingesetzt werden könnten. Die Idee von EU-Chefdiplomat Josef Borrell jedenfalls, alte russische MIG-Jets aus den Beständen einiger Osteuropäer zu liefern, endete als Farce.

Zunächst winkte Bulgarien ab, weil die vorhandenen MIG's die einzigen Kampfjets seien, über die man verfüge. Zudem seien sie in schlechtem Zustand. Außerdem sitzen in Sofia pro-russische Sozialisten mit in der Regierung, die sich dagegen sträuben. In Warschau sagte Präsident Duda im Beisein von NATO-Generalsekretär Stoltenberg ebenfalls Nein: Die Lieferung von MIG-Kampfjets könnte als Einmischung in den Ukraine-Konflikt ausgelegt werden. Trotz ihrer grenzenlosen Wut gegen Moskau bleibt die polnische Regierung vorsichtig. 

Schweden | PK Pekka Haavisto und Ann Linde
Schwedens Außenminsterin Ann Linde und ihr finnischer Kollege Pekka Haavisto reden über Sicherheit Bild: Anders Wiklund/AP Photo/picture alliance

Die jüngste Waffenlieferung aus einem NATO-Mitgliedsland kommt übrigens aus Deutschland. Berlin will 2700 schultergestützte Flugabwehrraketen aus DDR-Beständen in an die Ukraine liefern, die allerdings ziemlich veraltet sind. Ansonsten gibt es nur einzelne Meldungen, von den Niederlanden über Tschechien, Schweden bis Frankreich darüber, dass sie der ukrainischen Armee auch Waffen liefern können. Die USA wiederum haben keine Details veröffentlicht, wie viele und welche Waffen sie in die Ukraine geschickt haben. 

Diskussion über neue Mitglieder?

Angesichts des Krieges in der Ukraine hat sich die öffentliche Meinung und die politische Diskussion über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft in den traditionell neutralen Ländern Schweden und Finnland diametral gedreht. Vor einigen Jahren noch undenkbar, spricht sich jetzt eine Mehrheit der Finnen für einen Beitritt zur NATO aus. Das heißt aber nicht, dass diese Diskussion im Bündnis schon offen geführt wird.

Der im Umgang mit den russischen Nachbarn erfahrene finnische Präsident Sauli Niinistö merkte dazu an: "Es ist besonders wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Wirkungen der Vergangenheit sowie möglicher künftiger Veränderungen auf unsere Sicherheit sorgfältig zu bewerten. Nicht um zu zögern, sondern mit Sorgfalt zu handeln". Soll heißen, das Thema ist derzeit zu heiß, um es anzufassen.