Wahlen in Frankreich: Rechtsnationale in Führung
1. Juli 2024Der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) ist aus der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich als stärkste Kraft hervorgegangen. Die Partei von Marine Le Pen und ihre Verbündeten kamen laut amtlichem Endergebnis auf 33, 1 Prozent der Stimmen. Die genaue Sitzverteilung in der Nationalversammlung wird jedoch erst nach der Stichwahl am kommenden Sonntag feststehen.
Der große Gewinner der Wahl könnte dann Jordan Bardella sein. Der mit 28 Jahren jugendlich wirkende RN-Vorsitzende des RN nutzte seine erste Rede nach der Wahl, um sich als seriöser Staatsmann zu präsentieren, der mehr ist als das Aushängeschild der Rechtsnationalen. Obwohl er bei den Wahlen zur Nationalversammlung gar nicht antritt, beansprucht er das Amt des Premierministers für den Fall, dass der RN im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit erringt. Er werde dann der "Premierminister aller Franzosen" sein, sagte er in Paris.
Damit scheint die extreme Rechte der Macht näher denn je. Sollte der RN die absolute Mehrheit im Parlament erringen, dürfte Frankreich zum vierten Mal eine sogenannte Kohabitation bekommen, bei der Präsident und Premierminister unterschiedlichen Lagern angehören. Bardella wäre dann Premierminister unter dem langjährigen zentristischen Präsidenten Emmanuel Macron. Ob die extreme Rechte die absolute Mehrheit der Sitze erhält, ist allerdings noch völlig offen.
Starkes Ergebnis für neues Linksbündnis
An zweiter Stelle liegt mit 27,99 Prozent das kurz vor der Wahl ausgerufene Linksbündnis Neue Volksfront (NFP). Ihr gehören nicht nur gemäßigte Sozialisten und Grüne, sondern auch Kommunisten und die Linkspopulisten von "La France Insoumise" um derem Wortführer Jean-Luc Mélenchon.
Macrons Zentristen landeten auf dem dritten Platz. Sein EU-freundliches Bündnis "Ensemble" erhielt 20,76 Prozent der Stimmen. Macrons Ziel, nach der Wahlschlappe bei den Europawahlen für seine Politik ein neues Mandat aus der Bevölkerung zu erhalten, hat der Präsident damit verfehlt. Er geht nun geschwächt in die noch verbleibenden drei Jahre seiner Amtszeit im Élysée.
Hohe Wahlbeteiligung, große Schwankungen
Prognosen für den zweiten Wahlgang sind aufgrund des komplizierten Wahlsystems kaum möglich. In die Stichwahl kommen in den 577 Wahlkreisen alle Kandidaten, die mehr als 12,5 Prozent der Stimmen erhalten haben. Bekommt ein Politiker mehr als 50 Prozent der Stimmen (und 25 Prozent aller Wahlberechtigten), ist er bereits im ersten Wahlgang gewählt.
Die hohe Wahlbeteiligung hat zur Folge, dass es nach dem ersten Wahlgang besonders viele Dreierkonstellationen, so genannte "triangulaire", gibt. Triangulaire bedeutet, dass drei statt zwei Kandidaten in die Stichwahl kommen.
Um eine absolute Mehrheit des RN zu verhindern, wollen Volksfront und Teile der Präsidentenpartei ihre drittplatzierten Kandidaten aus dem Rennen ziehen und den politischen Gegner unterstützen. Präsident Macron forderte ein "breites, eindeutig demokratisches und republikanisches Bündnis" für die zweite Runde. Welche Kandidaten dieser Empfehlung folgen, wird am Dienstagabend feststehen.
Anfeindungen auf allen Seiten
Für Sophie Pornschlegel, Analystin bei der europäischen Denkfabrik Jacques Delors, hängt viel vom Linksblock der NFP und der konservativen Partei Les Républicains (LR) ab. Der umstrittene Parteichef Eric Ciotti hat seine einst mächtige Partei, die am Sonntag mit zehn Prozent der Stimmen auf dem vierten Platz landete, zu einer Zusammenarbeit mit dem RN gedrängt. Auch RN-Parteichef Bardella wandte sich in seiner Rede an die Republikaner.
Allerdings, so Pornschlegel, seien die Republikaner in der Frage, ob sie mit dem RN zusammenarbeiten sollten, stark gespalten. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass es einigen Wählern der Mitte schwer fallen werde, für Kandidaten aus der Partei des Linkspopulisten Mélenchon zu stimmen.
Wird französisches Parlament "fast unregierbar"?
Sollte kein politischer Block die absolute Mehrheit erringen, so Sophie Pornschlegel, könnte Macron womöglich eine "Expertenregierung" ernennen - oder sogar vorgezogene Präsidentschaftswahlen ins Auge fassen. "In solchen Szenarien ist es unmöglich zu regieren", sagt Pornschlegel.
"Mit diesen Zahlen wird es für die extreme Rechte schwierig sein, am nächsten Sonntag eine Mehrheit zu gewinnen", so Mujtaba Rahman, Analyst der Eurasia Group auf der Social-Media-Plattform X, ehemals Twitter. "Aber Frankreichs neue [National-]Versammlung wird wahrscheinlich ein rauer und fast unregierbarer Ort sein."
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.