Wachsende Nervosität vor dem Gipfel
19. Oktober 2011Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist überraschend nach Deutschland gereist, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Vertretern der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) über Lösungen in der Euro-Krise zu beraten. An dem "informellen Treffen", wie es der Pariser Elyséepalast bezeichnete, nahmen in Frankfurt am Main auch der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, sein Nachfolger Mario Draghi, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sowie IWF-Chefin Christine Lagarde teil. Die Finanzminister Deutschlands und Frankreichs, Wolfgang Schäuble (CDU) und François Baroin komplettieren am Mittwochabend (19.10.2011) die hochkarätige Runde.
Die Schuldenkrise zwingt zum Handeln
Während Sarkozys hochschwangere Frau im Krankenhaus auf die Niederkunft wartete, versuchte er mit seinem Blitzbesuch in Frankfurt offensichtlich den Schulterschluss mit Merkel zu demonstrieren. Die Meinungsunterschiede zwischen den Regierungen in Paris und Berlin waren zuletzt offen zutage getreten. Vergeblich hatten Merkel und Schäuble versucht, die hohen Erwartungen an den EU-Gipfel am kommenden Wochenende zu dämpfen. Stattdessen erhöhten vor allem Sarkozy und Barroso noch einmal den Druck. Während der französische Präsident am Mittwoch von "historischen Herausforderungen" sprach, forderte der EU-Kommissionspräsident eine "starke Antwort" auf die Schuldenkrise. "Wir befinden uns in einem einschneidenden Augenblick, entscheidend für die Zukunft des Euro und die Zukunft Europas", warnte Barroso.
Der Handlungsdruck vor dem Brüsseler Sitzungsmarathon ist enorm. Einerseits muss die EU endlich die gefährliche Schuldenkrise bändigen, die nun auf Italien und Spanien überzugreifen droht. Andererseits ist noch nicht einmal das vor drei Monaten vereinbarte zweite Griechenland-Rettungspaket in trockenen Tüchern.
Die Krise hat viele Facetten
Zudem ist Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ebenfalls in das Visier der Ratingagenturen geraten und droht als Schuldner seine Einsernote (AAA) auf längere Sicht zu verlieren. Damit käme auch der Euro-Rettungsfonds EFSF in Schwierigkeiten, denn er gründet sich auf den Garantien der Eurostaaten.
Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, wie ein finanztechnischer Hebel den Mitteln im Euro-Rettungsfonds (EFSF) eine größere Wirkung verleihen könnte. Schon ist die Rede davon, die verfügbaren 440 Milliarden Euro auf ein bis zwei Billionen Euro zu "hebeln". Ein Sprecher Schäubles dementierte jedoch, dass es darüber bereits eine Einigung gebe.
Und schließlich ist da noch die drohende Bankenkrise. Große Geldhäuser sollen zeitweilig mehr Kapital vorhalten, um sich gegen die Auswirkungen der Schuldenkrise zu wappnen. Zugleich beraten Deutschland und Frankreich aber auch über einen größeren Verzicht der Banken bei ihren Forderungen an Griechenland. In Brüssel ist die Rede von einem Schuldenschnitt von bis zu 50 Prozent, anstatt wie bisher von 21 Prozent. Paris befürchtet jedoch, die französischen Banken, die zahlreiche griechische Staatsanleihen halten, damit in Schieflage zu bringen.
Stundenlange Straßenschlachten in Athen
Das harte Sparprogramm, mit dem die Regierung in Athen einen Staatsbankrott abzuwenden versucht, bringt immer mehr Griechen in Rage. Mit einem 48-stündigen Generalstreik protestieren sie gegen weitere drastische Sparmaßnahmen für das hoch verschuldete Euro-Land. Bei den bislang größten Demonstrationen seit Beginn der Finanzkrise konnten die Gewerkschaften landesweit mehr als 125.000 Menschen mobilisieren. In der Hauptstadt schlugen die Proteste vor dem Parlament in Gewalt um, als Steine und Brandsätze flogen. Die Polizei ging mit Tränengas gegen die Randalierer vor. Der Qualm brennender Autoreifen verstellte den Blick auf die Akropolis. Ein Bankgebäude musste evakuiert werden, nachdem ein Molotow-Cocktail einen Brand ausgelöst hatte. Erst nach stundenlangen Straßenschlachten konnte der Platz im Zentrum Athens geräumt werden.
Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Martin Schrader