Vorwahl in Iowa: Der Zirkus ist in der Stadt
3. Februar 2020Julia Benson ist Pete Buttigieg-Unterstützerin mit Leib und Seele. Am Samstagabend sitzt die 43-Jährige mit einer gelben "PETE"-Mütze auf dem Kopf in der Küche ihrer Schwägerin und ruft ein resolutes "Geh zum Caucus!" in ihr Handy. "Das war mein Cousin", sagt sie nach dem kurzen, aber lauten Telefongespräch. "Ich glaube, er würde normalerweise nicht hingehen, aber hoffentlich hab' ich ihn jetzt überzeugt." Das Telefonat drehte sich, wie alles in Iowa dieser Tage, um den Caucus, die besondere Art von Vorwahl, bei der die Menschen in dem Bundesstaat im Mittleren Westen für ihre bevorzugten Präsidentschaftskandidaten abstimmen.
Weil Iowa traditionell der erste Bundesstaat ist, in dem abgestimmt wird, kommt der Wahl dort besondere Aufmerksamkeit zu. Die Hauptstadt Des Moines steht im Zentrum des Caucus-Wahnsinns - und reizt die politische Sonderrolle voll aus. Schon am Flughafen stehen Caucus-Schilder, die mit roten und blauen Ballons die Ankömmlinge willkommen heißen. In der Innenstadt geht es weiter mit Bannern, auf denen "Welcome, candidates" oder "Welcome, media" steht. So offensiv freundlich wird man als Journalistin selten begrüßt. Oben drauf gibt es im Medien-Zentrum "Patriotic Popcorn" in den Nationalfarben, mit Kirsch-, Vanille- und Blaubeergeschmack. Und wer es herber mag, kann ein "Caucus Pale Ale" in einer Bar um die Ecke trinken. Das Bier wird mit einer besonderen Hopfenmischung gebraut und hat, wie die Barkeeperin erklärt, eine "ganz eigene Süße". Das trifft auch auf die Caucus-Methode zu, die ein bisschen wie aus der Zeit gefallen anmutet.
Anstatt in einer Wahlkabine ihr Kreuzchen zu machen, treffen sich registrierte Demokraten und Republikaner am Montagabend in Wahlbezirken im ganzen Staat zu ihrem Caucus. Jeder stellt sich in die Ecke des Raumes, die seinem Lieblingskandidaten zugeteilt ist. Freiwillige wie Benson versuchen, die Unentschiedenen in ihre Ecken zu holen.
Wenn sich alle Teilnehmenden im Raum verteilt haben, wird gezählt. Kandidaten, die unter 15 Prozent der Wähler an diesem Abend auf sich vereinen, sind raus - ihre Unterstützer ordnen sich dann anderen Kandidaten zu. Auch hier kommen nochmal die Freiwilligen ins Spiel: Nicht genügend Menschen in der Tom-Steyer-Ecke? Dann komm doch in unsere Pete-Buttigieg-Gruppe! Lehrerinnen, Väter und Ingenieure versuchen, ihre Nachbarn davon zu überzeugen, dass "ihr" Kandidat der beste Präsident wäre. Demokratie in Aktion.
Freiwillige aus dem ganzen Land
Schon im Vorfeld des Caucus wird ordentlich Überzeugungsarbeit geleistet. Jeder Kandidat, der etwas auf sich hält, sieht zu, dass er spätestens ab Januar möglichst viele Hände in Iowa schüttelt. "Wir wollen von den Kandidaten persönlich hören, aber wir wollen auch, dass sie uns zuhören", sagt Ruth Thompson, die Organisatorin des demokratischen Caucus in ihrem Wahlbezirk.
Sie und ein Freund, der für das Spektakel extra aus Chicago angereist ist, sitzen am Sonntagmorgen im Smokey Row Coffee Shop. Das gemütliche Café ist auch sonst beliebt, aber am Tag vor dem Caucus ist die Kaffee-Schlange besonders lang. Während Thompson von ihrem Caucus spricht, geht Bill Weld von Tisch zu Tisch. Er ist einer von zwei Republikanern, die in Iowa gegen Donald Trump kandidieren. Seine eigenen Erwartungen seien "bescheiden", aber er sei gespannt, wie es bei den Demokraten ausgeht.
Diesen Ausgang wollen die vielen Freiwilligen beeinflussen, die in den Tagen vor dem Caucus Des Moines unsicher machen. Paul Rubin, 71, ist extra aus San Francisco angereist, um von Tür zu Tür zu gehen und die Menschen von Bernie Sanders zu überzeugen. Am Freitag ist er insgesamt sieben Meilen durch den Schnee gestapft, am Samstag sechs. Max Trinidad ist am Donnerstag aus Texas gelandet und preist seitdem Elizabeth Warren an. Der Tisch im Smokey Row, an dem er und sein Co-Freiwilliger sich niedergelassen haben, gleicht einer Kommandostation, nachdem der zweite Mann einen großen Stapel Flyer aus der Warren-Wahlzentrale abgeholt hat. Und am Eingang sitzt Dante Powell, ein echtes Des Moines Original, und freut sich mit seinen Kumpels über jedes Lob, dass er für sein Cappie mit der Aufschrift "MATH" bekommt - eine Anspielung auf den demokratischen Kandidaten Andrew Yang, der gerne darüber scherzt, dass er als Asiate ausnehmend gut in Mathematik sei.
Powell engagiert sich ebenfalls in der Organisation seines Caucus, sagt aber auch, er kann die Kritik verstehen, dass Iowa die Sonderstellung als erster Vorwahlstaat nicht verdiene: Iowas Bevölkerung ist überwiegend weiß, das reflektiere die Vielfalt der USA ganz und gar nicht. "Verdammt richtig! Und das sagen wir als einzige Schwarze in Iowa." Die Gruppe junger Männer bricht in lautes Gelächter aus.
Caucus-Zirkus "wirklich nervig"
Ein paar Tische weiter sitzen Deb und Denise. Den beiden Freundinnen um die 50 ist überhaupt nicht zum Lachen. Denise beschwert sich über die vielen SMS, die sie von den Wahlkampfteams verschiedener Kandidaten bekommt. Keinem von ihnen hat sie selbst ihre Nummer gegeben, aber die sei ja durch die Wählerregistrierung frei zugänglich. Deb hatte am Samstag die Nase voll. "Ich habe gestern zwei Leute an der Tür gehabt und drei Anrufe bekommen", erzählt sie. "Es ist wirklich nervig."
Benson, die Buttigieg-Freiwillige, traf am Wochenende eine Frau, in deren Vorgarten sie ein "Pete 2020" Schild stellen wollte. Dann bemerkte sie, dass schon ein Warren-Schild den Rasen zierte. "Ich hab' gefragt, ob ich meins daneben stellen darf, aber sie hat gesagt, ich soll das Warren-Schild gleich ganz wegnehmen", erzählt sie. "Zwei Warren-Freiwillige seien gekommen, als sie krank war und hätten sie so lange bequatscht, bis sie denen erlaubt hat, das Schild aufzustellen!"
Wähler überzeugen ist unerlässlich für die Kampagnen der Kandidaten, Wähler nerven könnte tödlich sein - eine Gradwanderung. Die Wahlkampfmanager von Pete Buttigieg haben ihre Freiwilligen dementsprechend eingeschworen. Das berichtet Greg, ein Unterstützer aus South Bend, Indiana, wo Buttigieg bis zu seiner Präsidentschaftskandidatur Bürgermeister war. Nach Buttigiegs letzten großen Rede vor dem Caucus steht Greg Sonntagnachmittag in der Sonne zwischen den Zuhörern, die ganz beglückt aus der Lincoln High School strömen. "Petes Angestellte haben uns gesagt, wir sollen die Menschen während des Super Bowls in Ruhe lassen", so der Ingenieur.
Kurze Reden vor dem Super Bowl
Der Super Bowl, das Finale der American Football Profiliga, ist in den USA so etwas wie ein hoher Feiertag. Während des Spiels darf nicht gestört werden, auch nicht, wenn am nächsten Tag Caucus ist. Aber vor dem Spiel und in der Halbzeitpause geben die Kandidaten nochmal alles. Amy Klobuchars Team hat eine eigene Super Bowl Party organisiert, bei der die Senatorin auftritt. Andere Politiker lassen sich in Sports Bars sehen. Und Elizabeth Warren tritt in einem schmucklosen Konferenzraum auf der Party einer progressiven Interessengemeinschaft auf.
Eines haben alle gemeinsam: Sie fassen sich kurz. Warren spricht nur knapp fünf Minuten. "Ihr Menschen hier in Iowa stellt harte Fragen, danke dafür", sagt sie. "Ihr habt mich zu einer besseren Kandidatin gemacht, und ihr werdet mich zu einer besseren Präsidentin machen." Sie übergibt dem Organisator der Feier einen Sechser Bier und ist genau pünktlich zum Anpfiff fertig. Perfektes Timing.