Vor 90 Jahren: Nazi-Propaganda mit dem Volksempfänger
18. August 2023Das Radio ist 1933, als Adolf Hitler in Deutschland an die Macht kommt, ungefähr das, was heute Internet und soziale Medien sind: Es ist DAS Medium. Allerdings sind die Empfangsgeräte noch teuer, sie kosten oft mehr als einen durchschnittlichen Monatslohn.
Die Nazis hatten früh erkannt, welche enormen Einflussmöglichkeiten auf die Bevölkerung der Rundfunk bietet, wenn er in ihrer Hand liegt. Und sie nutzen sie, sobald sie können, um die damals knapp 70 Millionen Deutschen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Propagandaminister Joseph Goebbels zwingt nur wenige Wochen nach Hitlers Machtantritt Firmen wie Telefunken, Loewe oder Blaupunkt, ohne Rücksicht auf deren Herstellungskosten ein einheitliches, billiges Gerät anzubieten, den sogenannten Volksempfänger. Das erste Modell trägt die Bezeichnung VE (Volksempfänger) 301 (für das Datum von Hitlers Machtergreifung am 30. Januar). Mit dem staatlich festgelegten Preis von 76 Reichsmark (heute knapp 400 Euro) ist das Gerät jetzt für die meisten Haushalte erschwinglich. 1938 kommt noch der "Deutsche Kleinempfänger" DKE 38 dazu, im Volksmund auch "Goebbelsschnauze" genannt.
Rundfunkgebühren für Goebbels' Ministerium
Auf der Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin am 18. August 1933 wird der Volksempfänger der Öffentlichkeit vorgestellt, und noch während der Ausstellung werden die ersten 100.000 Geräte verkauft.
Der Erfolg ist durchschlagend. Anfang 1932 gibt es vier Millionen Rundfunkteilnehmer, bis Mitte 1939 hat sich die Zahl mehr als verdreifacht. Ein schöner Nebeneffekt für das Regime: Damit steigt auch die Zahl der gebührenzahlenden Haushalte. Bis zum Höchststand 1943 zahlen rund 16 Millionen von ihnen die monatlichen zwei Reichsmark. Der Großteil der Rundfunkgebühren fließt wiederum in Goebbels‘ Ministerium, wodurch sich sein Etat fast von allein finanziert.
Nicht neutrale Information, sondern Propaganda
Die Beeinflussung der Bevölkerung kann natürlich nur gelingen, wenn der NS-Staat über das Rundfunkprogramm bestimmt. Und wie in jeder Diktatur tut er das, bis ins kleinste, vergleichbar mit einer staatlichen Kontrolle des Internets heute.
Die zunächst noch selbständigen Rundfunkanstalten werden unter dem Dach der Reichsrundfunkgesellschaft zusammengefasst und politisch gleichgeschaltet. Alle Intendanten bis auf einen werden durch Gefolgsleute ausgetauscht. Schon im März 1933 sagt Goebbels zu den jetzt linientreuen Intendanten: "Wir machen gar keinen Hehl daraus: Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen, und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen."
Es gibt nur zwei Programme, den Deutschlandsender und einen Bezirkssender. Sendungen beginnen mit "Heil Hitler". Der Diktator selbst kommt selbstverständlich besonders oft zu Wort. Mit Plakaten werben die Händler: "Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger." Alle großen Hitler-Reden werden in voller Länge übertragen.
Unterhaltung gegen schlechte Nachrichten
Besondere Bedeutung bekommt der Propaganda-Rundfunk mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939. Marschmusik ersetzt Tanzmusik, es werden ständig - und zunehmend geschönte - Lageberichte von der Front gesendet. Aber auch Unterhaltung kommt nicht zu kurz, um von gefallenen Soldaten, Bombardierungen der deutschen Städte und der Not der Zivilbevölkerung abzulenken. Besonders beliebt wird das Wunschkonzert für die Wehrmacht, bei dem Unterhaltungsstars für gute Laune sorgen sollen.
Als sich spätestens mit der verlorenen Schlacht von Stalingrad Anfang 1943 immer deutlicher eine Niederlage des Deutschen Reiches abzeichnet, soll der Rundfunk helfen, die Stimmung herumzureißen. Goebbels fragt in einer Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 seine Zuhörer rhetorisch: "Wollt Ihr den totalen Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns überhaupt erst vorstellen können?" - und bekommt jedesmal ein donnerndes Ja und begeisterten Applaus.
Schwere Strafen für das Hören ausländischer Sender
Doch die Wahrheit lässt sich kaum noch unterdrücken. Dem NS-Funk glauben die Deutschen immer weniger. Viele hören stattdessen ausländische "Feindsender" wie den Deutschsprachigen Dienst der BBC - was unter Androhung schwerer Strafen bis zur Todesstrafe streng verboten ist.
Im "Zeitzeugenportal" der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sagt Thilo Wobst, der als Schüler im Krieg verbotene Sender hörte: "Wir haben die Sendungen gehört, aber wir haben niemandem was gesagt. Meine Mutter hat gesagt: 'Entweder fliegt der Kasten raus oder du hältst die Klappe'."
Fake news bis zum Schluss
Der Rundfunk spielt schon ganz zu Beginn des Zweiten Weltkrieges eine entscheidende Rolle als Propagandainstrument: Über die Volksempfänger hören die Deutschen am 1. September 1939 von einem angeblichen polnischen Angriff auf den Sender Gleiwitz in Oberschlesien. Dabei ist der Angriff fingiert, die Meldung fake news. Adolf Hitler teilt am selben Tag seinen Zuhörern an den Radios mit: "Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen."
Und so, wie der Krieg mit einer im Rundfunk verbreiteten Lüge beginnt, so werden dort bis zum Schluss Unwahrheiten verbreitet. Am 1. Mai 1945 heißt es, dass Hitler in seinem Befehlsstand in der Reichskanzlei bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend für Deutschland gefallen sei. In Wahrheit hat der Diktator Selbstmord begangen.
Wenige Tage später ist der Krieg zu Ende – und damit auch die Nazi-Propaganda. Die amerikanische Militärregierung verbietet erst einmal deutsche Rundfunksendungen. Die Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich bauen in den Folgejahren neue Rundfunkstrukturen in Westdeutschland auf. Was ihnen ganz wichtig ist: Staatsfern soll der Rundfunk sein. Er soll sich nie mehr in den Dienst einer Regierung stellen lassen.