Die wichtigsten Bücher von Herman Melville
31. Juli 2019
"Typee" (1846) Melvilles Debüt ist ein Roman, der auf eigenen Erlebnissen beruht. Melville hatte Jahre zuvor auf einem Walfangschiff angeheuert und war von dort wegen der unzumutbaren Zustände an Bord mit einem anderen Matrosen geflüchtet, um auf einer Insel im Pazifischen Ozean Zuflucht zu suchen. Von den Einwohnern wurde er gefangen genommen, wieder gelang ihm die Flucht. Das alles brachte Melville später zu Papier: eine naturalistische Abenteuergeschichte, bei der die Leserschaft damals eifrig über den Wahrheitsgehalt der Story diskutierte.
"Typee" wurde als "Roman" veröffentlicht, und das ist er auch: Melville schmückte aus, erfand einiges hinzu. Gerade das macht den Reiz des Buches aus. Die Leser erinnerte das beim Erscheinen an Robert Louis Stevensons "Robinson Crusoe". "Typee" wurde ein großer Erfolg beim Lesepublikum. Lange Jahre lag der Roman nur in verstümmelten Versionen und Übersetzungen vor. Das hat sich inzwischen geändert.
"Mardi - und eine Reise dorthin" (1849) Drei Jahre später legte Melville noch einmal nach: "Mardi" ist die viel umfangreichere literarische Version des gleichen Stoffes, bei der der amerikanische Autor seiner Phantasie noch mehr freien Lauf ließ. "'Mardi' ist noch nicht 'Moby Dick'. Aber es ist, den Höheflug probend, die mitreißende und bewegende Reise dorthin", schrieb die vor kurzem gestorbene deutsche Schriftstellerin Brigitte Kronauer über Melvilles drittes Buch.
Und der Autor selbst kommentierte: "Nachdem ich in jüngster Zeit zwei Reiseerzählungen aus dem Pazifik veröffentlicht hatte, die mancherorts ungläubig aufgenommen wurden, kam mir der Gedanke, tatsächlich ein Südseeabenteuer als Fantasieerzählung zu schreiben."
"Moby Dick" (1851) Natürlich darf auch Melvilles Hauptwerk, sein bis heute bekanntester Roman, in dieser Liste nicht fehlen. Eine Geschichte über Walfang, aber auch eine Erkundung menschlicher Seelenabgründe. Ein Roman, aber auch ein Sachbuch. Eine Abenteuergeschichte, aber auch eine Essay-Sammlung. "Moby Dick" ist vieles: "Ich befürchte", so schrieb der Autor selbst, "dass mein Werk als monströse Fabel betrachtet werden könnte, oder, noch schlimmer und abscheulicher, als eine scheußliche und unerträgliche Allegorie." Melville hat das nicht verhindern können, "Moby Dick" wurde vielfach interpretiert.
Und ebenso oft übersetzt. Es gab in Deutschland vor Jahren gar mal einen heftigen Streit um die "beste" Übertragung ins Deutsche. Der Melville-Experte Alexander Pechmann erinnert an ein Experiment, das ein Literaturwissenschaftler vor einiger Zeit durchführen ließ: Er beauftragte 50 Übersetzerinnen und Übersetzer, den ersten Absatz des Romans ins Deutsche zu übertragen. Das Ergebnis: 50 verschiedene Versionen! "Jede Übersetzung hat ihre Berechtigung", so Pechmann. In anderen Ländern, Italien zum Beispiel, existieren sogar noch mehr "Moby Dick"-Übersetzungen.
"Bartleby, der Schreiber" (1853) Auch diese schmale Erzählung, die zwei Jahre nach dem Schwergewicht "Moby Dick" erschien, wurde mehrfach übersetzt. Gilt "Moby Dick" nicht nur wegen seiner ausufernden Länge als Hauptwerk Melvilles, so darf "Bartleby" für sich beanspruchen, das vielleicht kühnste Werk des amerikanischen Autors zu sein. Sein "Held" Bartleby, ein kleiner Schreiber in einem großen Büro an der Wall Street, ist eine Figur der Moderne. Melville nahm vorweg, was erst viele Jahre später Einzug hielt in der Literaturgeschichte.
Mit der Formel "I would prefer not to" verabschiedet sich Bartleby von der Welt. Eine Verweigerung als Lebensphilosophie. Bis zum bitteren Ende. Möglicherweise war die Erzählung auch eine Reaktion auf den Misserfolg von "Moby Dick". Eines steht zumindest fest: Die Aufsätze und Bücher, die über "Bartleby" geschrieben wurden, sind um vieles umfangreicher als die schmale Erzählung selbst.
So wie Melvilles andere Romane meist im Schatten des übermächtigen "Moby Dick" stehen, so haben es viele Erzählungen des Autors schwer, aus dem Schatten "Bartlebys" herauszutreten. Doch Melville hat ein paar weitere glänzende Kurzgeschichten geschrieben, die auch heute noch unbedingt lesenswert sind: "Die Encantadas oder Verwunschene Inseln" oder "Benito Cereno" gehören zu den bekannteren.
"Der Blitzableitermann" hat Melville ein heute weniger bekanntes kürzeres Prosastück genannt, das im Jahre 1891 erstmals veröffentlicht wurde. In ihm erfährt der Leser von einer seltsamen Begegnung. Während eines heftigen Gewitters erhält der Ich-Erzähler Besuch von einem sonderbaren Gast mit einem wunderlichen "Wanderstab". Der Gast entpuppt sich als Vertreter von Blitzableitern, der Wanderstab ist eine "vier Fuß lange Kupferstange, die der Länge nach durch zwei mit Kupferbändern beringte Kugeln aus grünlichem Glas mit einem glatten Holzstab verbunden war." Hilft das tatsächlich gegen Unwetter? Oder ist der Gewittermann nur ein Scharlatan oder gar ein höheres Wesen? Wie immer bei Melville gibt es verschiedene Antworten.
"John Marr und andere Matrosen" (1888) Diese Sammlung aus Gedichten und kleineren Prosastücken wurde drei Jahre vor Melvilles Tod veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine vom Autor sorgsam konzipierte und zusammengestellte Ausgabe von meist lyrischen Texten. Möglich war das nur, weil damals eine kleinere, erste Melville-Renaissance einsetzte. Der Autor des "Moby Dick" war in den 1880er Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts praktisch schon weitgehend vergessen.
"John Marr und andere Matrosen" erschien anonym und mit einer Auflage von nur 25 (!) Exemplaren. Der Band ist der See, dem Meer, der Seefahrt und den verschiedenen Meeresbewohnern gewidmet. Heute, nach mindestens zwei Melville-Renaissancen, schätzt man auch den Lyriker Melville: "Selbst wenn Melville keine Prosa geschrieben hätte, würde ihm die Qualität, Vielseitigkeit und eindrucksvolle Energie seiner Gedichte einen vordersten Rang in der amerikanischen Literatur sichern", schrieb der Herausgeber der amerikanischen Ausgabe von "John Marr" vor ein paar Jahren.
"Billy Budd" (posthum 1924) Diese Erzählung kam sogar erst viele Jahren nach dem Tod Herman Melvilles heraus. Sie wurde 1924 entdeckt und veröffentlicht. Danach feierte sie einen Siegeszug, nicht nur auf dem Buchmarkt. Peter Ustinov inszenierte 1961 einen eindrucksvollen Film mit Terence Stamp (Billy Bud), Robert Ryan und ihm selbst in der Rolle eines Kapitäns. Benjamin Britten hatte aus dem Stoff zuvor bereits eine Oper gemacht.
"Billy Budd" ist eine sehr komprimiert erzählte Seefahrer-Novelle mit vielen erzählerischen Einschüben auf kleinem Raum. Im Kern geht es um die moralische Frage, ob der junge Matrose, der im Effekt einen Vorgesetzten tödlich verletzt hat, deshalb zum Tode verurteilt werden soll. Die Melville-Interpreten streiten sich bis heute über die Deutung des Buches. Und das ist ja nicht das schlechteste - wenn über Literatur auch über 100 Jahre nach ihrer Niederschrift gestritten wird.
Die Essays Herman Melville ist heute berühmt für "Moby Dick", die literarische Welt bewundert ihn für "Bartleby" oder "Billy Budd". Doch im 200. Jahr seiner Geburt kann man ihn auch als Verfasser von Essays wiederentdecken. Und so wie die Romane und Novellen immer essayistische Einsprengel aufweisen, so lesen sich die Essays Melvilles manchmal wie kleine Erzählungen. Der Amerikaner macht sich Gedanken über Schriftstellerkollegen (James Fenimor Cooper, der u.a. die "Lederstrumpf"-Romane schrieb), über Aspekte der Buchherstellung (Bucheinbände) und natürlich immer wieder über das Meer und den Walfang.
"Seit unvordenklichen Zeiten wurden viele schöne Geschichten und Lieder über das Meer erzählt und gesungen. Und es gab Tage, da hielt man Matrosen für waschechte Wassermänner; und der Ozean selbst war die Bühne des Phantastischen und Wunderbaren", leitet er zum Beispiel "Skizze einer Walfangreise" ein, um dann zu beklagen, dass in jüngster Zeit "so viele schlichte, nüchterne Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Leben auf See enthüllt" worden seien, so "dass die Salzwasserpoesie gegenwärtig deutlich abgeflaut ist." Melville hat dagegen erfolgreich angeschrieben - und der "Salzwasserpoesie" zu einer nie für möglich gehaltenen Tiefe verholfen. Im Jahr seines 200. Geburtstages ist dies unumstritten.
Zum Weiterlesen: Die wichtigsten Bücher von Herman Melville liegen heute in allen Weltsprachen vor. In Deutschland wurden zum 200. Geburtstag einige seiner Bücher neu übersetzt. "Typee" und "John Marr" sind beim Verlag "Mare" erhältlich, "Mardi" ist bei "Manesse" erschienen. Die Erzählung "Bartleby" ist bei "Insel" in einer illustrierten Ausgabe (Sabine Wilharm) neu aufgelegt worden. Der "Diogenes"-Verlag hat "Moby Dick", "Billy Budd" und die Erzählungen auch als Taschenbuch wiederveröffentlicht. Eine Auswahl der Essays ist unter dem Titel "Die große Kunst die Wahrheit zu sagen" bei "Jung und Jung" erschienen. Bei vielen dieser Titel hat der Melville-Experte Alexander Pechmann das Nachwort verfasst.