Von Drogen und Menschen
16. April 2016Drogen gibt es wohl so lange, wie Menschen auf diesem Planeten unterwegs sind. Die Kulturgeschichte legt an unzähligen Stellen eindrucksvoll Zeugnis davon ab: Met und Bier, Hanf und Opium, Peyote und Meskalin oder Myrrhe und Weihrauch – um nur einige zu nennen – faszinieren die Menschen, seit diese über das Denken nachdenken. Ob als heiliges Medium religiöser Erweckung, als Mittel einer karnevalesken Umwertung aller Werte oder als Erzeuger kollektiv-ekstatischer Sinnstiftung: Stoffe, die mehr tun als Hunger stillen und Durst vertreiben, sind fest verbaut im kulturellen Erbe.
Hier und dort wurden auch früher schon Versuche unternommen, den Umgang mit "geistbewegenden" Stoffen zu verbieten. Nicht nur Saufgelage mit Alkohol versuchte man einzuschränken. Im 17. Jahrhundert etwa war der Genuss des heute allgegenwärtigen Kaffees in der Türkei bei schwerer Strafe verboten, ebenso wie in vielen Teilen Deutschlands.
Der Erfolg war stets bescheiden. Erst mit der Industrialisierung und jenem geistesgeschichtlichen Phänomen, das gern als "nüchterne Moderne" umschrieben wird, wurden Drogen zu einem politischen Thema ersten Ranges. Die Gründe dafür sind vielfältig: Das Ideal nüchterner Selbstbestimmung, verschärfte Anforderungen an die (Selbst-)Disziplin im Rahmen industrieller Arbeitsrhythmik oder der Versuch einer biopolitischen Verbesserung des Lebens. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schließlich wurde die Frage, wer welche Stoffe zu welchem Zweck und in welchem Umfang konsumiert, vermehrt Gegenstand von Gesetzen und Verordnungen: Erst Hanf, dann Opium und schließlich eine Fülle von Stoffen, deren Wirkung als psychotrop oder psychoaktiv gedeutet werden, füllten die Anhänge der Betäubungsmittelgesetze.
Mit Panzerschokolade zu Höchstleistungen
Parallel zum Versuch, Drogen aus dem Verkehr zu ziehen, machte sich eine Hysterie um verschiedene Substanzen breit, die in einen verbalen Überbietungswettkampf ausartete. Dabei sind interessante Konjunkturen zu erkennen: In den 1920er und 1930er Jahren wurde besonders Hanf verteufelt. Der US-Film "Reefer Madness" von 1936 ist ein schauriges Lehrstück dieser ideologischen Kriegsführung.
In den 1960er und 1970er Jahren wiederum war es vor allem das Opiumderivat Heroin, das vermeintlich sofort Sucht verursachte und die Konsumenten in Windeseile in Monster verwandelte. Hanf wiederum gilt heute als Kavaliersdroge. Dafür löst der altbekannte Stoff Methamphetamin unter der Bezeichnung "Chrystal Meth" heftige Erregungen aus. In der NS-Zeit war der noch als Pervitin oder Panzerschokolade in Umlauf und trieb Wehrmachtsoldaten pharmakologisch zu fragwürdigen Höchstleistungen.
Die Schlagzeilen ähneln sich seit vielen Jahrzehnten: Hier eine Killer-, dort eine Todesdroge. Immer wieder wurde die Prognose kolportiert, die Gesellschaft werde in absehbarer Zeit einem kollektiven Drogentod entgegen taumeln, wenn nicht jetzt hart durchgegriffen würde.
Die Projektion so vieler Übel auf Drogen gipfelte in dem 1972 von US-Präsident Richard Nixon ausgerufenen "Krieg gegen die Drogen". Zwar legen jüngst veröffentlichte Aussagen des Nixon-Mitarbeiters John Ehrlichman nahe, dass es sich dabei zumindest in Teilen um eine Strategie handelte, um die Antikriegsbewegung zu desavouieren. Doch die Kanonenschüsse jener Jahre hallen bis heute nach. Der Drogenkrieg wird fortgeführt, er verschlingt Milliarden und verstopft die Gefängnisse. Erfolg? Fehlanzeige: Vielfalt und Produktionsvolumen der Drogen haben stetig zugenommen.
Offenbar steckt in der Idee einer drogenfreien Welt ein grundsätzlicher Denkfehler. Frei von Drogen jedenfalls war diese Welt nie – und wird sie wohl auch nie sein. Das hat einerseits damit zu tun, dass sich die Grenzen zwischen Konsumgut, Medikament, Droge oder Gift nur schwer bestimmen lassen. Andererseits – und auch darauf weisen Drogenforscher seit vielen Jahren hin – greift der Gegensatz von "guter" Nüchternheit und "schlechter" Berauschung zu kurz.
Gute Drogen, schlechte Drogen?
Es wäre also an der Zeit, einen weiten Bogen um überlieferte Pauschalisierungen zu machen. "Die Drogen bilden […] einen Teil unserer Kultur", schreibt der französische Historiker und Philosoph Michel Foucault bereits 1982. "Genauso wie es gute und schlechte Musik gibt, gibt es gute und schlechte Drogen. Und daher können wir, genauso wenig wie wir sagen können, wir seien ‚gegen‘ Musik, nicht sagen, wir seien ‚gegen‘ Drogen."
Statt also weiterhin Phrasen im Stil von "Keine Macht den Drogen" zu bespielen, wäre es ratsam, die unauflösliche Bindung von Kultur und Droge zu akzeptieren und präziser darauf zu schauen, an welcher Stelle unterschiedliche Drogen tatsächlich Probleme schaffen. Statt einer endlos wiederholten Liturgie eines Dafür oder Dagegen wäre es Zeit, andere Fragen zu stellen.
Eine dieser möglichen Fragen könnte einer Umkehr der bisherigen Perspektive folgen: Während üblicherweise nach dem Einfluss von Drogen auf die Gesellschaft gefahndet wird ("Was macht Crystal Meth mit den Leuten?"), wäre es doch spannend zu fragen, warum gerade diese Droge im Spätkapitalismus nennenswert Abnehmer findet. Häufig wird so getan, als kämen die Stoffe wie zufällig auf uns.
Dabei sind Drogen und ihre Konsumformen wie ein Seismograph gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine Gesellschaft, die sich beinahe restlos einem ökonomischen Imperativ unterworfen hat und alles dem Diktat der Wertschöpfung unterstellt, greift nicht zufällig auf schnelle, leistungssteigernde Drogen zurück; auf Drogen, die es für ein paar Jahre ermöglichen, eine hohe Schlagzahl zu halten. Die flächendeckende Verbotspolitik jedenfalls, die in vielen Ländern langsam bröckelt, hilft an keiner Stelle. Sie schafft riesige kriminelle Milieus, ohne Drogenkonsum tatsächlich unterbinden zu können. Diese Freiheit nehmen sich die Menschen einfach, schon immer.
Robert Feustel promovierte 2012 mit einer Arbeit zur Kulturgeschichte des Rauschs. Er arbeitet als Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig.