Todesstrafe wirkungslos gegen Drogenhandel
6. April 2016Ein Dorf ganz ohne Männer. Alle männlichen Einwohner wurden hingerichtet, wegen Drogenhandels. Das enthüllte im Februar die für Frauen und Familie zuständige Vizepräsidentin Shahindokht Molaverdi. Sie stellte dabei die Angemessenheit der Todesurteile in Frage und fragte, wer sich künftig um die Witwen und Waisen kümmern werde. Im Iran gibt es keine staatliche Unterstützung für sie.
Das Dorf ohne Männer liegt in Belutschistan, einer wirtschaftlich benachteiligten Provinz im Südosten des Iran, an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan. Drogenhandel und -schmuggel sind hier weit verbreitet. Die Region leidet unter anhaltender Dürre. Oft bildet das Drogengeschäft die einzige Einnahmequelle. Und an Drogen herrscht kein Mangel: Das Nachbarland Afghanistan produziert mehr als 90 Prozent des weltweiten Opiums, Grundstoff auch für Heroin. Der Bundesnachrichtendienst hält die Route über den Iran und die Türkei für den maßgeblichen Schmuggelkorridor für Heroin aus Afghanistan nach West- und Zentraleuropa.
Tote auf beiden Seiten
Belutschistan ist die erste Station auf dieser Route. Hier ist die erste Front des Irans im Kampf gegen den Drogenhandel. Dabei gibt es Opfer auch auf Seiten der Behörden: Laut offiziellen Angaben sind seit 1979 mehr als 3700 Angehörige der iranischen Streitkräfte im Kampf gegen den Drogenhandel gefallen.
Wie das Dorf ohne Männer belegt, zählt umgekehrt aber auch für die iranischen Gerichte ein Menschenleben nicht sehr viel: 2015 wurden insgesamt 966 Menschen hingerichtet. Rund zwei Drittel - genau 638 - wegen Drogendelikten. Das sind mehr als in jedem der letzten 25 Jahre. Mit der Todesstrafe muss im Iran rechnen, wer mit mindestens fünf Kilogramm Opium aufgegriffen wird, mit 30 Gramm Heroin oder auch Metamphetamin. Weltweit verhängen 32 Staaten wegen Drogenhandels die Todesstrafe. Tatsächlich vollstreckt wird sie neben dem Iran vor allem in Saudi-Arabien, China, Indonesien, Thailand und Singapur.
Trotz der drakonischen Strafen: Drogenhandel ist nach wie vor ein florierendes Geschäft im Iran. Laut dem "Stab für Drogenbekämpfung der Islamischen Republik" fangen 100 Menschen täglich den Drogenkonsum an. 70 Prozent von ihnen werden nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziales süchtig. Insgesamt wird die Zahl der Drogensüchtigen im 78 Millionen Einwohner zählenden Iran auf rund drei Millionen geschätzt. Das - und eben die Rolle Irans als Transitland - spiegelt sich auch in der Menge der beschlagnahmten Drogen. 2012 wurden drei Viertel des weltweit beschlagnahmten Opiums im Iran konfisziert und ein Viertel des weltweit beschlagnahmten Heroins und Morphiums.
Stark im Kommen: Methamphetamin
Opium hat in der iranischen Kultur eine lange Geschichte und ist auch heute noch die beliebteste Droge. Neu ist, dass die Aufputschdroge Methamphetamin, allgemein als "Crystal Meth" bekannt, massenhaft Abnehmer findet. Inzwischen ist "Crystal Meth" die zweitbeliebteste Droge.
Kambiz Soltaninejad, Leiter der iranischen Gesellschaft für Toxikologie teilte Anfang Januar mit, der Konsum von Methamphetamin habe seit 2009 kontinuierlich zugenommen. Inzwischen wird iranisches Methamphetamin nach ganz Asien exportiert. Allein in Malaysia sind zurzeit 75 Iraner zum Tode verurteilt, weil sie Drogen in das Land schmuggeln wollten. Ein UN-Bericht zeigt, dass Iran im Jahr 2012 der weltweit viertgrößte Importeur von Pseudoephedrin war. Pseudoephedrin ist eine der wichtigsten Vorläufersubstanzen für die Herstellung von Methamphetamin. Chrystal Meth sei problemlos verfügbar, erklärt der Teheraner Soziologe Hasan Rafie. "Wenn man Chrystal Meth probiert hat und in der Szene ist, kann man Meth einfach per Telefon bestellen. In zehn Minuten bekommt man es dann nach Hause geliefert", erläutert der Experte für Drogenmissbrauch im Gespräch mit DW.
Rafie vertritt die Meinung, die Behörden seien noch viel zu nachsichtig mit Drogenhändlern. Trotz der zahlreichen Hinrichtungen würden viele Todesurteile nicht vollstreckt.
Parlament will Todesstrafe für Dealer abschaffen
Menschenrechtsaktivisten allerdings warnen seit Jahren, die massenhaften Hinrichtungen könnten Irans Drogenprobleme nicht lösen. Abdolkarim Lahiji, Vizepräsident der "Internationalen Vereinigung für Menschenrechte” beurteilt die Hinrichtungswelle im Kampf gegen Drogen als sinnlos und ineffektiv. "Anfang 2015 haben wir den iranischen Behörden über 100 Vorschläge für den Kampf gegen die Drogen präsentiert. Ein Teil davon war die Forderung, die Todesstrafe für Drogenkriminalität aufzuheben“, so Lahiji im Interview mit der DW. Lahiji hat auch das internationale Ansehen des Iran im Blick, wenn er argumentiert: "Wegen der hohen Zahl der Hinrichtung wird Iran immer wieder scharf kritisiert. Wenn man die Todesstrafe für Drogenkriminelle abschaffen würde, würde man sofort die Zahl der Hinrichtungen um 70 Prozent senken.“
Beistand erhält der Menschenrechtler von ungewöhnlicher Seite: Selbst der Stab für Drogenbekämpfung der Islamischen Republik, das sogenannte "Antidrogenkomitee des Schlichtungsrats“, hält die Todesstrafe für falsch. Das Gremium unterstützt einen Gesetzentwurf im Parlament, der die Abschaffung der Todesstrafe wegen Drogenkriminalität vorsieht. 70 Abgeordnete haben ihn schon unterzeichnet.