Nähe zur Truppe und Abstand zum Ressort
25. März 2014"Mutter der Kompanie", "Familienministerin in Uniform" und "Kümmer-Ministerin" titelten deutsche Medien nach der Ernennung Ursula von der Leyens zur Verteidigungsministerin. Ihre Berufung war die Überraschung im schwarz-roten Kabinett. Erstmals übernahm damit eine Frau das Bundesverteidigungsministerium. Die Aufmerksamkeit der Medien ist ihr seit ihrem Amtsantritt vor 100 Tagen sicher.
"Das ist eine Riesenaufgabe", sagte die CDU-Politikerin kurz nach ihrer Ernennung, "ich freue mich darauf, aber ich muss auch sagen, ich habe einen Mordsrespekt davor, was jetzt auf mich zukommt." Auch, weil sich das Verteidigungsministerium immer wieder als Stolperstein für Politiker mit Ambitionen erwiesen hatte.
An Ehrgeiz mangelt es von der Leyen nicht, auch nicht an Engagement und Disziplin. Die Ministerin übernachtet unter der Woche im Ministerium und startet ihren Arbeitstag früh. Zudem hat die 55-Jährige bereits jahrelang Erfahrung in der Ressortführung gesammelt: In Niedersachsen war sie Landesministerin. Am Kabinettstisch von Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt die gelernte Ärztin seit 2005. Sie begann als Familienministerin und wurde später Arbeitsministerin.
Attraktivitätsoffensive Familienfreundlichkeit
Ihr erster Vorstoß als Verteidigungsministerin zielte daher auf ein ihr vertrautes Thema: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie wolle dazu beitragen, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen.
Ein notwendiger Schritt angesichts des Wandels hin zu einer Berufsarmee. Seit dem Ende der Wehrpflicht im Juli 2011 füllen sich die Kasernen nicht mehr automatisch. Die Bundeswehr muss mit vielen anderen Arbeitgebern konkurrieren. Flexible Kinderbetreuung in den Kasernen, familienfreundliche Arbeitseinsätze und weniger Umzüge für Soldatenfamilien, lauten die Ansätze der Ministerin dazu. Auch eine Lockerung der Fitness-Standards für Bundeswehrsoldaten brachte sie zuletzt ins Gespräch. Die konkrete Umsetzung ihrer Vorhaben steht aber noch aus und auch die Frage der Finanzierung ist noch nicht geklärt.
Mit ihrer Attraktivitätsoffensive zielte von der Leyen aber auch darauf ab, den Unmut in der Truppe zu reduzieren. Der hatte sich nicht zuletzt wegen der Dauer-Reform bei vielen Soldaten angestaut. Seit der Wiedervereinigung befinden sich die Streitkräfte im permanenten Umbau. Kürzungen im personellen Bereich, Schließung von Standorten und hohe Einsatzbelastung sind die Folgen.
Von der Belastung der Soldaten machte sich von der Leyen bei mehreren Besuchen bei der Bundeswehr im Ausland ein Bild. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit stand ein Weihnachtsbesuch in Afghanistan auf der Agenda.
Mehr internationales Engagement
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz plädierte von der Leyen vor internationalem Publikum für eine aktivere Beteiligung Deutschlands bei Krisen. Nichts zu tun sei keine Option. Besonders im Fokus der Verteidigungsministerin liegt dabei Afrika. "Afrika ist unser direkter Nachbar. Und die Auswirkungen, ob in Afrika Mord, Vertreibung, Hunger und Destabilisierung herrschen, werden wir früher oder später in Europa fühlen." Auf dem europäischen Nachbarkontinent müsse sich Deutschland daher stärker engagieren - gegebenenfalls auch militärisch.
Doch Auslandseinsätze der Bundeswehr sind in Deutschland unpopulär. Sie beschränken sich deswegen in vielen Fällen auf die Ausbildung von ausländischen Sicherheitskräften und die logistische Unterstützung der deutschen Verbündeten. Die militärischen Möglichkeiten Deutschlands in diesen Bereichen sind allerdings begrenzt. Viele der für diese Einsätze wichtigen Spezialisten sind bereits jetzt überlastet.
Konkret hat sich daher bislang wenig getan: Einzig der Ausbau der bereits bestehenden Trainingsmission im malischen Koulikoro wurde beschlossen. Zudem sollen deutsche Truppen künftig auch in Somalia einheimische Sicherheitskräfte ausbilden. Über eine deutsche Beteiligung an einer EU-Mission im Krisenherd Zentralafrika wird nachgedacht, ebenso über die Hilfe bei der Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Neue Einsätze gibt es bislang aber nicht.
Neuordnung der Rüstungspolitik
Nachdem sie mit der Attraktivitätsoffensive und der Debatte über die deutschen Auslandseinsätze für Schlagzeilen gesorgt hatte, machte Ursula von der Leyen auch vor einem Problemfeld in ihrem eigenen Ressort nicht halt: dem Rüstungsbereich.
Die Ministerin will vermeiden, dass sie über ein Rüstungsprojekt stolpert. Ihren Vorgänger de Maizière hatte der Skandal um die Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" fast um sein Amt gebracht. Auch andere Rüstungsprojekte sorgten wegen verspäteter Lieferungen, deutlich höheren Kosten und technischen Problemen für Aufsehen.
Mehr Transparenz wolle man im Bereich der Rüstungsprojekte schaffen, sagte von der Leyen im ARD-Interview. Das Schlagwort sei modernes Rüstungscontrolling: "Das heißt, da wird permanent geguckt, wie ist der Stand der Dinge, wo müssen wir nachsteuern, wo gibt es Probleme." Helfen sollen dabei in den nächsten Monaten externe Unternehmensberater, die die wichtigsten Beschaffungsvorhaben auf den Prüfstand stellen und von der Leyen regelmäßig über die Entwicklung informieren.
Neue Strukturen allein seien aber nicht ausreichend, nötig sei auch ein "personeller Neustart", erklärte die Ministerin und handelte. Rüstungsstaatssekretär Stephane Beemelmans wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Auch der Abteilungsleiter Ausrüstung und Informationstechnik, Detlef Selhausen, musste seinen Posten räumen.
Stolpersteine auf dem Weg nach oben
Bisher hat Ursula von der Leyen einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Allerdings warten noch große Herausforderungen auf sie. Neben den Dauerthemen Bundeswehrreform und Rüstungsvorhaben steht mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Ende 2014 eine logistische Herkulesaufgabe an. Auch über die Frage, ob Deutschland in Zukunft Kampfdrohnen anschaffen soll, ist bislang nicht entschieden. Sollte von der Leyen alle Aufgaben meistern, kommt für sie ein weiterer Schritt nach oben in Betracht: Sie ist immer wieder als mögliche Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch.