Schlöndorff: Mehr Aktivist fürs Kino als für Bäume
2. September 2022Volker Schlöndorff brachte den deutschen Film mit der Literaturverfilmung "Die Blechtrommel" (1979) auf die Weltbühne und gewann mit ihm den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film. Sechs Jahrzehnte ist er jetzt im Business. Auf dem Filmfestival von Bad Saarow in Brandenburg stellt er seinen Dokumentarfilm "Der Waldmacher" vor, der von Tony Rinaudo handelt. Der australische Agrarwissenschaftler hat eine Wiederaufforstungstechnik entwickelt, um etwa Teile der Sahelzone zu begrünen. Doch das Projekt der "Great Green Wall" kommt, wie Schlöndorff in seinem Film zeigt, nur schleppend voran.
Die DW hat Volker Schlöndorff in Bad Saarow zum Gespräch getroffen.
Deutsche Welle: Herr Schlöndorff, Sie haben mit "Der Waldmacher" Ihren ersten großen Dokumentarfilm für die Kinoleinwand gedreht. Wie kam es dazu?
Volker Schlöndorff: Ich hatte eigentlich nicht vor, einen Dokumentarfilm zu drehen. Vor drei Jahren bin ich durch Zufall in einen Vortrag in Berlin geraten. Der australische Agronom Tony Rinaudo war gerade aus Stockholm zurückgekommen, wo er den alternativen Nobelpreis verliehen bekommen hatte. Er hat in einem Hinterzimmer eines italienischen Restaurants einen Vortrag gehalten über seine Methode, ganze Wälder wieder wachsen zu lassen. Seine Idee: Die Wurzeln von allen gefällten Bäumen bleiben unter der Erde lebendig, jahrzehntelang. Statt zu pflanzen, was natürlich in trockenen Gebieten fast aussichtslos ist, kann man aus den Wurzeln wieder die Sprösslinge hochziehen.
Und dann hat man, wenn man sie entsprechend pflegt, nach zwei, drei Jahren einen Baum. Das ist natürlich eine Patentlösung. Ganz wunderbar. Nicht nur einfach, damit Bäume da sind, sondern damit man wieder Landwirtschaft betreiben kann. Das hat Rinaudo bei seinem Vortrag erklärt - ich hatte ja keine Ahnung. Und dann bin ich eben zu ihm hin und habe ihn gefragt: Was könnte man machen, um das noch bekannter zu machen, zu popularisieren, um ihn zu unterstützen? Es lag natürlich auf der Hand: Man müsste einen Film darüber machen. Und so kam es zum Handschlag zwischen uns. Sechs Wochen später war ich mit ihm in Bamako, in Mali, und habe es nie bedauert - das waren mit Unterbrechungen drei sehr spannende Jahre.
"Der Waldmacher" handelt von Rinaudo und seinem Einsatz für das Klimaprojekt "Great Green Wall", mit dem die Ausbreitung der Sahara durch Wald gestoppt werden soll; es kommt aber nur sehr langsam vorankommt. In gewisser Weise kämpft Ihr Protagonist um das Überleben seines Projekts. Es geht ums Scheitern, Verzweiflung, Akzeptanz und ums Weitermachen. Themen, die man auch in anderen Filmen von Ihnen wiederfindet. Sind das Ihre Grundthemen?
Ich habe da noch nie dran gedacht, aber es ist eine gute Beobachtung, denn auch beim Dokumentarfilm komme ich ja in ein Dorf und sehe fünf, sechs verschiedene Leute agieren. Da suche ich mir ja auch welche aus. Und wahrscheinlich suche ich mir immer die aus, die sozusagen gegen alle Widrigkeiten versuchen etwas trotzdem zu machen. Also nicht die, die jammern oder auch nicht die, die sich feiern lassen, sondern die, die sich redlich bemühen, mit oder ohne Erfolg. Und das war in Afrika ganz stark zu sehen, dass das fast immer Frauen sind. Sie sind einfach die treibende Kraft in Afrika. Die Dynamik kommt von den Frauen und deshalb ist der Film, auch wenn man so will, eine Ansammlung von Frauen-Porträts.
Sie arbeiten jetzt schon sechs Jahrzehnte im Filmgeschäft. Welchen Wandel nehmen Sie heute wahr?
Heute geht alles. Es gibt viel mehr Filme als früher. Ich will nicht sagen zu viele, aber es gibt unüberschaubar viele. Und das ist ein Problem. Vor allem für die Zuschauer, die gar nicht mehr wissen, wie sie sich orientieren sollen. Aber der eigentliche Wandel ist gar nicht die Technologie, sondern dass durch sie diese Explosion an Filmen möglich gemacht wurde. Und das führt dazu, dass man eigentlich kaum mehr zwei Leute findet, die den gleichen Film gesehen haben. Früher haben alle dieselben zwölf oder 15 Filme im Jahr gesehen und dann konnte man auch darüber reden und man konnte sich austauschen. Das war eine Sache, die auch für die Filmemacher selbst ganz wichtig war. Heute ist es schwierig und deshalb sind Festivals, besonders kleinere, wie hier in Bad Saarow, ganz wichtig. Hier wird über die Filme gesprochen. Auch Diskussionsabende in jedem Kino einmal in der Woche sind wichtig für die Zukunft des Kinos.
Die alten Zuschauer werden nicht mehr zurückkommen. Das weiß man inzwischen statistisch. Die haben Angst vor Corona. Und außerdem haben sie gelernt, wie man mit dem Internet umgeht. Man muss jetzt eine ganz neue Generation heranziehen, die sich für das Kino begeistert. In diesem Herbst und Winter spielt sich das Schicksal des Kinos ab, ob das Kino überhaupt überlebt. Filme wird es immer geben, aber eben dann on-Demand als Streaming oder im Fernsehen. Aber Kino ist ebenso wichtig. Und darum bin ich mehr ein Aktivist für das Kino als für Bäume. Natürlicherweise.Ihre Filme waren häufig hochintellektuell, es gab oft ganze Szenen in anderen Sprachen und sie setzten sich mit komplizierten gesellschaftskritischen Themen auseinander. Ist das Filmemachen heute noch intellektuell?
Ich glaube heute, mehr denn je, braucht man ein politisches Bewusstsein, um einen Film zu machen. Wie will ich denn die Wirklichkeit abbilden? Entweder im Dokumentarfilm oder indem ich inszeniere. Man muss eine Vorstellung davon haben: Was ist die Wirklichkeit? Was sind das für Kräfte, die da gegeneinander spielen? Das nennt man politisches Bewusstsein. Das zu analysieren und sich darüber klar zu sein, das ist einfach die Voraussetzung. Gerade zukünftige Filme und Dokumentarfilme ersetzen meiner Meinung nach im Grunde die politische Bildung - oder müssten es. Denn die wenigsten erfahren noch die unmittelbare Wirklichkeit. Die meisten ja nur auf dem Umweg über die Medien oder über Streaming oder übers Handy. In dieser digitalen Wüste möchte ich nicht leben. Man muss die Sachen zum Anfassen haben und dafür kann eine richtige Filmarbeit auch helfen.
Sie haben nie eine Filmhochschule besucht, weil Sie gleich angefangen haben im Filmgeschäft zu arbeiten. Was würden Sie heute jungen Filmemacherinnen und Filmemachern raten?
Ach, das ist eine ganz schwierige Frage. Filmhochschule oder Praxis? Wenn man irgendwie die Chance hat, gleich in die Praxis zu gehen, würde ich das immer empfehlen. Nicht nur, weil ich das gemacht habe, sondern weil ich sehe, wie die Zeit vergeht - drei, vier, fünf Jahre auf einer Schule rumsitzen. Ich sage das, obwohl ich ja auch unterrichte. Aber ich ermutige jeden, der die Möglichkeit und den Mut hat, rauszugehen, sich das selbst beizubringen. Das Wichtigste zum Filmemachen außer die Praxis ist die Kenntnis der Filme, die es früher gegeben hat: Die ganze Filmgeschichte vom Stummfilm bis heute. Das wird aber leider auf den Filmhochschulen auch wenig gelehrt. Das kann man sich aber jederzeit aneignen. Die Klassiker sind alle umsonst auf YouTube zu sehen. Man muss sich selbst einen Lehrplan zusammenstellen aus YouTube einerseits und praktischer Arbeit andererseits.
Was ganz wichtig ist und wo die Filmhochschulen ihren Beitrag leisten, ist, dass man versteht, dass Film auch eine Sprache ist, eine audiovisuelle Sprache, die übrigens nicht auf den Filmhochschulen, sondern in der Volksschule schon gelehrt werden sollte. Denn das sind die Jungs und die Mädchen, die alle schon als Kids ununterbrochen Film schauen und gar nicht merken, wie sie manipuliert werden, weil sie die Filmsprache gar nicht kennen. Durch Schnitttechniken, Großaufnahmen, Nachbearbeitung, Musik, und so weiter werden sie eigentlich entmündigt und es wird ihnen etwas aufs Auge gedrückt durch die Filmemacher, auch durch mich. Aber sie sollten wissen, das ist eine Sprache, die auch ihre Syntax hat, ihre eigenen Vokabeln. Und das ist für jeden wichtig zu wissen, nicht nur für zukünftige Regisseure.
Das Gespräch führte Kevin Tschierse.