Regisseur Volker Schlöndorff wird 80
31. März 2019Vielleicht hätte das deutsche Kino in den 1980er und 90er Jahren mehr von seiner Sorte gebraucht und weniger verkopfte Intellektuelle oder vermeintliche Komödien-Spezialisten auf dem Regiestuhl: handwerklich versierte Regisseure, die auch etwas zu sagen hatten - wie eben Schlöndorff einer war. Dann wäre der deutsche Film womöglich ab Mitte der 1980er Jahre nicht so in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt, als lange durchschnittliche Komödien und Filmexperimente die Szene beherrschten. Erst im neuen Jahrtausend sollte das ein Ende finden, als eine junge, nachwachsende Regie-Generation um Regisseure wie Tom Tykwer die Bühne betrat.
Der Oscar als Karrierehöhepunkt
Volker Schlöndorff, der am 31.03.2019 seinen 80. Geburtstag feiert, war immer beides: ein handwerklich sehr versierter Regisseur, der aber auch inhaltlich etwas zu sagen hatte. Ein hochintelligenter Profi auf dem Regiesessel. Als Schlöndorff 1980 für seine Literaturverfilmung "Die Blechtrommel" in Los Angeles den Oscar bekam, ahnte wohl noch niemand, dass der Höhenflug des deutschen Films ein paar Jahre später schon wieder zu Ende sein sollte. Und das hatte eben auch etwas damit zu tun, weil Schlöndorff Mitte der 1980er Jahre seine Heimat verließ und in Hollywood sein Glück suchte.
Der Tod Rainer Werner Fassbinders 1982 war damals der symbolische Auftakt für den einsetzenden Niedergang des deutschen Kinos. Wie andere auch nutzte Schlöndorff den frischen Ruhm nach seinem Oscar-Triumph für den Sprung über den Ozean. Mit seinem US-Gastspiel in den 1980er Jahren verabschiedete sich der gebürtige Wiesbadener für viele Jahre erst einmal vom deutschen Kino.
Schlöndorff verfilmte berühmte literarische Vorlagen
Auch in Hollywood blieb er seinen Wurzeln treu, der Literaturverfilmung. Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" (1985) mit Dustin Hoffman war einer der prominent besetzten Filme, die Schlöndorff drüben drehte, die "Geschichte einer Dienerin" nach Margaret Atwood ein anderer (1989/90).
Doch zurück zu Schlöndorffs Anfängen: Mit einer Literaturverfilmung hatte sich der junge Regisseur 1966/67 direkt in die erste Liga des "Neuen Deutschen Films" katapultiert. Robert Musils "Der junge Törless" war gewiss kein leichter Stoff fürs Kino, doch Schlöndorff meisterte die schwierige Vorlage damals mit Bravour, fand zu seinem Stil, der - in seinen besten Momenten - aus einer tiefen Durchdringung der literarischen Vorlage bestand, handwerklich perfekte Filmarbeit und dabei auch noch eine Menge unterhaltsame Momente bot.
Sogar Günter Grass lobte die Verfilmung seines Romans
Fortan galt Schlöndorff als "Literaturspezialist". Der Sohn eines Arztes war immer schon ein begeisterter Leser. Jeden Abend gehe er mit einem Buch ins Bett, die Literatur sei für ihn mindestens ebenso wichtig wie das Kino, hat er einmal gesagt. Beides verstand er hervorragend miteinander zu verknüpfen. "Die Blechtrommel" (1979) mit dem genialen Besetzungscoup der Hauptrolle (der junge David Bennent) gefiel sogar dem strengen Günter Grass - und das wollte schon etwas heißen.
Auch "Homo Faber" (1991) nach dem Roman von Max Frisch, der erste Film nach seiner Rückkehr aus Hollywood, war ein eindrucksvoller Beweis für Schlöndorffs Umgang mit einem literarischen Stoff, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) nach Heinrich Böll ein weiterer aus der Frühphase seines Schaffens.
Doch Schlöndorff konnte auch anderes, beherrschte keinesfalls nur das Literaturmetier. Das ist mit den Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten. Vielleicht auch, weil Schlöndorff im Kreis der wichtigen und bekannten Regisseure seiner Generation keine so hervorstechend ausgeprägte künstlerische Eigenart hatte.
Er schwebte nie in solch geistigen Höhen wie Alexander Kluge, trat wesentlich erdverbundener auf als der (früher) immer so abwesend wirkende Wim Wenders und leistete sich auch keine bizarren Eskapaden mit seinen Schauspielern wie Werner Herzog im Amazonas-Dschungel.
Vor gut zehn Jahren legte er seine Autobiografie vor
Schlöndorff trat in der Öffentlichkeit immer freundlich auf, zeigte sich eloquent und aufgeschlossen, auch interessiert an der Arbeit der Kollegen im Speziellen und der Kinoszene in Deutschland im Allgemeinen. Dabei hätte auch Schlöndorff auch über einige Abgründe zu berichten gehabt. Seine 2008 vorgelegte, höchst lesenswerte Autobiografie "Licht, Schatten und Bewegung" zeugt davon. Beschrieben wird dort unter anderem, wie seine Mutter 1944 bei einem Brand in der Küche des Hauses unter schrecklichen Umständen ums Leben kam. Der Sohn war damals fünf Jahre alt.
Höchst interessant noch heute nachzulesen sind in der Autobiografie auch die Passagen, in denen der spätere Regisseur auf seine Lehrjahre beim Film zurückblickt. Das machte Schlöndorff ziemlich einmalig im deutschen Nachkriegskino: Schlöndorff hatte sich seine Kenntnisse bei den Franzosen geholt, im Mutterlandland des Kinos. Als Schüler und Student hatte er in den 1950er Jahren viele Jahre in Frankreich verbracht.
Das Filmhandwerk lernte er von der Pike auf als Assistent bei Regiegrößen wie Jean-Pierre Melville, Alain Resnais und vor allem bei Louis Malle. Letzterer wurde zu seinem innig geliebten Lehrmeister und Freund. Später ist Schlöndorff immer mal wieder zum französischen Kino zurückgekehrt, so zum Beispiel mit der - allerdings weniger geglückten - Proust-Verfilmung "Eine Liebe von Swann" (1984).
Engagiert im "heißen Herbst" in Deutschland
In seiner Heimat hat sich Schlöndorff zwischendurch oft als engagierter und auch politischer Regisseur gezeigt. Neben dem Böll-Film "Katharina Blum" war er an den Gemeinschaftsprojekten "Deutschland im Herbst" (1978) und "Krieg und Frieden" (1982) beteiligt, die nach den Jahren des RAF-Terrors in Westdeutschland versuchten, eine gesellschaftliche Analyse in die Kinos zu bringen.
Mit einigen seiner jüngsten Filme ist Schlöndorff dann wiederholt in das Land zurückgekehrt, in dem er seine filmische Ausbildung erhielt: nach Frankreich. In den Filmen "Das Meer am Morgen" (2011) und "Diplomatie" (2014) beleuchtete er Aspekte der deutschen Besatzung im Frankreich während der Herrschaft der Nationalsozialisten.
Schlöndorffs Filme beziehen Stellung
Überhaupt ist Schlöndorff in den letzten Jahren in seinen Filmen noch einmal eminent politisch geworden. Terrorismus in Deutschland, Streikbewegung in Polen oder die Haltung der katholischen Kirche vor 1945 - dieser Regisseur ist mit seiner Themenwahl alles andere als altersweise. Formal sind seine Arbeiten einfacher geworden, hatten meist ein niedrigeres Budget als zu "Blechtrommel"-Zeiten, ganz zu schweigen von Hollywood.
Manche Filme entstanden auch "nur" noch für das Fernsehen. Vielleicht hat Schlöndorff auch während seines Engagements als Chef des Babelsberger Film-Studios (1992 - 1997) noch einmal ein Gespür dafür bekommen, wie viel Geld am Set oft ausgegeben wird.
Meister des deutschen Nachkriegskinos: Volker Schlöndorff
Das deutsche Kino kann sich heute glücklich schätzen, über Jahrzehnte einen Regisseur von einem solchen Rang zu haben. Nicht nur, weil er dem heimischen Film mit Goldener Palme und Oscar große Anerkennung im Ausland verschaffte. Vor allem auch deshalb, weil er ein großer Künstler war, der über einen langen Zeitraum immer wieder wichtige und sehenswerte Filme ablieferte und sich dabei bemühte, das Leben und die Wirklichkeit nicht aus den Augen zu verlieren - und weil er als Mensch immer integer auftrat.