Cannes 2018: keine Selfies, kein Netflix
8. Mai 2018Als Festivalpräsident Thierry Frémaux vor Kurzem die Auswahl für den Wettbewerb um die Goldene Palme bekannt gab, war die Überraschung groß. Relativ wenig bekannte Namen, wenig aus Hollywood, dafür viel asiatisches, zwei Regisseure, die unter Hausarrest stehen und nur drei Regisseurinnen. Schlägt Cannes eine neue Richtung ein?
21 Filme bewerben sich um die Goldene Palme
Der Blick auf die 21 Filme des Wettbewerbs, der vom 8. bis 19. Mai läuft, legt diesen Verdacht nahe. Das Programm hätte auch zur Berlinale gepasst, der man gemeinhin nachsagt, sie sei das politischste der großen Festivals. Über Politik dürfte in den nächsten Tagen in Cannes eifrig diskutiert werden, wenn die Filme des Iraners Jafar Panahi und des Russen Kirill Serebrennikow gezeigt werden. Beide Regisseure stehen in ihren Heimatländern unter scharfer Beobachtung, beide dürfen eigentlich nicht frei arbeiten. Wie sie ihre Filme trotzdem realisieren konnten und vor allem, warum diese nun in Cannes vor Publikum laufen können, sind spannende Fragen.
Die Presse grollt im Übrigen. Als eine von zahlreichen Neuerungen hatte Festivalchef Frémaux im Vorfeld verfügt, dass Pressevorstellungen von nun an nur noch parallel zu den Galavorführungen am Nachmittag und Abend laufen dürfen. Im Zeitalter der "sozialen Medien" hätten sich schlechte Nachrichten über die neuen Filme nach den Pressevorführungen in Windeseile verbreitet - zum Schaden der Beiträge. Das will das Festival unterbinden. Eine Weltpremiere soll nun tatsächlich eine Weltpremiere sein - auf die Minute!
Selfie-Verbot und Netflix-Streit
Auch das Selfie-Verbot am Roten Teppich hatte für einige Aufregung gesorgt. Das Chaos am Teppich wurde den Veranstaltern in den letzten Jahren zu viel. Ob sich alle daran halten werden, bleibt abzuwarten. Eine dritte, allerdings mehr erzwungene Neuerung ist dagegen gewichtiger. Künftig zeigt Cannes keine Netflix-Produktionen mehr. Der amerikanische Anbieter, der in letzter Zeit auch viel Geld für Spielfilm-Eigenproduktionen mit bekannten Regisseuren auf den Weg gebracht hat, schlug ein Kompromiss-Angebot von Frémaux in den Wind.
Im Kern geht es in der Auseinandersetzung um den Sinn und die Form des Kinos. Netflix will Eigenproduktionen zwar auf großer Leinwand in Cannes zeigen, danach aber nur noch exklusiv für Abonnenten. Das Festival beharrt darauf, dass die Filme aber im Kino gezeigt werden müssen - in voller Größe. Man konnte sich nicht einigen, Netflix wird also 2018 nicht dabei sein an der Croisette. Andere US-Anbieter wie Amazon sind da weniger eigensinnig und lassen Filme, die in Cannes Premiere haben, auch für einen anschließenden Kino-Einsatz zu.
2018: Viele Filme aus Ostasien und dem Nahen Osten
Auffällig, neben der schmalen Wettbewerbs-Präsenz Hollywoods, ist in diesem Jahr die starke Beteiligung von asiatischen Regisseuren. Zweimal Japan, einmal China, einmal Süd-Korea, dazu zwei Produktionen iranischer Regisseure und Filme aus dem Libanon und Ägypten - Cannes scheint einen Kino-Schwerpunkt Asien setzen zu wollen.
Man setze in diesem Jahr auf "eine neue Generation von Regisseuren", hatte Frémaux im Vorfeld angekündigt. Aber vielleicht fand das Auswahlgremium die Filme aus den asiatischen Ländern auch nur überzeugender als viele eingereichte Werke aus den klassischen Kino-Nationen Westeuropas und den Vereinigten Staaten.
Dafür ist Frankreich mit fünf Filmen traditionell stark vertreten, Deutschland (fast ebenso traditionell) gar nicht. Dass deutsches Produktionsgeld in vielen in Cannes vorgestellten Co-Produktionen steckt, ist auch nichts Neues. Auch der neue Film von Lars von Trier, der allerdings außerhalb des Wettbewerbs läuft, ist eine deutsche Co-Produktion. Das Rennen um die Goldene Palme dürfte insgesamt hochinteressant werden - auch Kino-Nationen wie die Türkei und Polen sind dabei, gleich zwei Filme aus Russland.
Cannes im Lichte des Weinstein-Skandals
Cate Blanchett als diesjährige Jury-Vorsitzende darf sich in den kommenden Tagen dagegen nur drei Beiträge von Frauen im Wettbewerb anschauen, auch das wurde im Vorfeld kritisiert. Frémaux reagierte darauf mit dem originellen Satz: "Es wird bei der Auswahl niemals eine positive Diskriminierung von Frauen geben." Dafür sitzt Blanchett diesmal immerhin einer Jury vor, in der Frauen die Mehrheit bilden.
Das Thema "Frauen im Filmgeschäft" dürfte aber auch darüber hinaus diskutiert werden. Der Weinstein-Skandal und die "#MeToo"-Bewegung bleiben im Fokus, zahlreiche Veranstaltungen dazu finden in den kommenden Tagen an der Croisette statt.
Und sonst? Zum ersten Mal überhaupt nimmt Saudi-Arabien mit einem Kurzfilmprogramm am Festival an der Côte d'Azur teil - Zeichen der vorsichtigen kulturellen Öffnung des Landes. Erstmals werden auch die Palästinenser mit einem eigenen Pavillon präsent sein. Filme palästinensischer Herkunft wurden in Cannes schon öfters gezeigt, nun will man offenbar noch mehr Präsenz zeigen.
Aufregung gab es auch um den ersten Film aus Kenia, der beim Festival zu sehen sein wird. "Rafiki", der in einer Nebenreihe läuft, wurde in Kenia selbst verboten. Es geht in dem Streifen der Regisseurin Wanuri Kahiu um die Liebe zwischen zwei Frauen in der Hauptstadt Nairobi. Das Verbot hatte schon zu Protesten von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen geführt.
Legendäres Filmprojekt von Terry Gilliam
Und schließlich wird das Festival in Cannes auch anders enden als in den vergangenen Jahren. Erst nach der Abschlusszeremonie, bei der die Palmen verliehen werden, wird in diesem Jahr der Abschlussfilm gezeigt. Das soll dieser letzten Premiere eine erhöhte Aufmerksamkeit verleihen. Gezeigt werden soll am Samstagabend (19.5.) ein lang angekündigtes und fast schon legendäres Projekt: Terry Gilliams "The Man Who Killed Don Quixote".
Der amerikanisch-britische Kult-Regisseur hatte vor 18 Jahren mit den Dreharbeiten begonnen. Immer wieder mussten diese allerdings unterbrochen werden, es gab Streit mit den Produzenten (u.a. einer deutschen Versicherungsgesellschaft), Erkrankungen von Hauptdarstellern, den Wechsel von mehreren Schauspielern. Nun ist der Film fertig und wird in Cannes gezeigt. Ein letzter Versuch eines am Film beteiligten Produzenten, vor Gericht ein Verbot der Vorführung in Cannes zu erwirken, wurde jetzt abgewiesen: "The Man Who Killed Don Quixote" wird am kommenden Samstag (19.5.) defintiv die 71. Ausgabe des Festivals beenden.