Die Goldene Palme: 10 Filme für die Ewigkeit
19. Mai 2018Es ist der bedeutendste Filmpreis der Welt: die Goldene Palme von Cannes. Im Gegensatz zum Oscar, der sich fast ausschließlich auf Filme der englischsprachigen Welt konzentriert und immer auch kommerzielle Aspekte bei der Preisvergabe im Blickpunkt hat, ist die Palme ein Weltpreis des Kinos und der Filmkunst. Wer in Cannes gewinnt, der hat sich einen Eintrag in die Geschichtsbücher des Kinos verdient. Die Palme steht für große Filmkunst, für Innovation und Weltkino schlechthin.
Cannes liegt in der Rangliste der Filmfestivals vorn
Im seit Jahren ausgefochtenen Konkurrenzkampf der drei großen Festivals Cannes, Venedig und Berlin hat die Stadt an der Côte d'Azur seit langem die Nase vorn. Die jeweiligen Sieger-Filme bilden das ab. Auch wenn die italienische Lagunenstadt das älteste Filmfestival der Welt anzubieten hat und auf eine längere Tradition vorweisen kann - in den Wettbewerb von Cannes eingeladen zu werden, war und ist das Größte für die Filmemacher aus aller Welt. Auch Berlin hat da stets das Nachsehen.
Viele Gewinner des Goldenen Bären kennen heute nur noch Fachleute, auch bei manchen Siegern des Goldenen Löwen von Venedig kommt man ins Grübeln. Die Liste der Goldenen-Palme-Gewinner dagegen glänzt strahlend hell, fast alle dort ausgezeichneten Filme gelten noch heute als künstlerisch wertvoll und wichtig für die Filmhistorie. In manchen Jahrzehnten reihte sich ein überragendes Meisterwerk an das nächste. "Ausfälle" im Sinne von Fehlentscheidungen der Jury gab es nur wenige in Cannes.
Nur zwei Frauen unter den Palmen-Gewinnern
Ein Festival bildet im Idealfall das ab, was das Weltkino zu bieten hat, also neue ästhetische Strömungen und Innovationen, aufblühende Kino-Nationen und große, singuläre Gestalten auf dem Regie-Sessel. Das heißt nicht, dass es nicht auch in Cannes Defizite gibt. Warum zum Beispiel hat es bisher mit Jane Campion ("Das Piano" 1993) und der fast vollkommen vergessenen Dänin Bodil Ipsen ("Rote Wiesen", 1946) nur zwei Siegerinnen gegeben?
Und: Manche große Regisseure haben in Cannes nie eine Palme errungen. Aber das kennt man ja auch vom Literaturnobelpreis, manchmal ist die Dichte an herausragenden Künstlern so groß, dass einige leer ausgehen. François Truffaut, Jean-Luc Godard oder Ingmar Bergman, um nur drei Namen zu nennen, haben nie eine Goldene Palme gewonnen. Letzterer immerhin wurde 1997 mit der "Palme der Palmen" als bester Regisseur aller Zeiten geehrt.
Viele große Regisseure wurden in Cannes ausgzeichnet
Als es nach dem Krieg losging, gab's noch keine Palme, die wurde erst 1955 institutionalisiert, der Amerikaner Delbert Mann bekam sie für sein Drama "Marty", im Rückblick sicher nicht der beste Einstieg für den wertvollsten Preis in Cannes. Auch davor aber hat das Festival einen Hauptpreis vergeben, den sogenannten "Grand Prix" und das dann gleich mehrfach.
Auch in dieser ersten Ära sind große Regisseure bedacht worden, David Lean und Robert Rossellini, Billy Wilder und Jacques Becker, Orson Welles und Vittorio de Sica. Der Schwede Alf Sjöberg bekam gleich zweimal die höchste Ehrung, ein Kunststück, das später noch acht weiteren Filmemachern glückte. Zweimal wurde auch ein Dokumentarfilm ausgezeichnet, Louis Malles und Jean-Yves Cousteaus "Die schweigende Welt" 1956 und Michael Moores "Fahrenheit 9/11" 2004.
Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte des Festivals zeigt, dass die jeweiligen Jurys oft eine gute Nase hatten für filmische Entwicklungen. Direkt nach dem Krieg machte der italienische Neorealismus auf sich aufmerksam, Rossellinis "Rom, offene Stadt" wurde 1946 ausgewählt. Drei Jahre später bekam der Brite Carol Reed für seinen heute als Klassiker geltenden "Der dritte Mann" den Preis. 1954 rückte auch das japanische Kino ins Blickfeld, "Das Höllentor" von Teinosuke Kinugasa wurde ausgezeichnet; erst sehr viel später, in den 80er und 90er Jahren, wurden erneut Japaner bedacht, Akira Kurosawa und Shōhei Imamura.
Italiener dominierten die 1960er Jahre
In der Dekade darauf konnten sich die großen Italiener Federico Fellini, Luchino Visconti und Michelangelo Antonioni Goldene Palmen abholen, auch der Spanier Luis Buñuel trug sich in die Siegerlisten ein. Der Aufbruch des britischen Kinos spiegelte sich in den Sieger-Filmen der Regisseure Richard Lester und Lindsay Anderson wider. Erstaunlicherweise versagte Cannes ausgerechnet in Sachen "Nouvelle Vague" völlig. Da war die möglicherweise "vornehme" Zurückhaltung des französischen Festivals für einheimische Regisseure Fehl am Platz.
Die 70er Jahre standen unter anderem im Lichte des "New Hollywood"; Robert Altman, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Jerry Schatzberg wurden geehrt. In den 80ern war die Auszeichnung einer Goldenen Palme für den türkischen Regisseur Şerif Gören die richtige Entscheidung. Gören fungierte damals als Regie-Platzhalter, eigentlich hätte Yilmaz Güney den Film "Yol - der Weg" inszenieren sollen. Der kurdisch-türkische Regisseur saß allerdings aufgrund politischer Verfolgung im Gefängnis. Auch politische Zeichen der Zeit verstand Cannes hin und wieder abzubilden.
Cannes schaute auf den filmischen und politischen Aufbruch Osteuropas
Das osteuropäische Kino wurde ebenfalls bedacht, 1981 erhielt Andrzej Wajda für seinen "Mann aus Eisen" die Palme, sichtbares und frühes Zeichen für den Niedergang des Sozialismus in Polen und den anderen Staaten des Warschauer Pakts.
Zum Ende des Jahrzehnts überraschte die Jury die Welt mit der Goldenen Palme für ein Debüt: Doch die Entscheidung, den jungen US-Amerikaner Steven Soderbergh für seinen Film "Sex, Lügen und Video" auszuzeichnen, war goldrichtig.
Auch in den Jahren danach irrte die Jury nur selten, großartige und wegweisende Filme wurden mit dem Hauptpreis des Festivals beehrt, "Pulp Fiction" läutete 1994 die Weltkarriere des Quentin Tarantino ein, das iranische Kino fand in Abbas Kiarostami einen würdigen Preisträger ("Der Geschmack der Kirsche", 1997), Lars von Trier, der sich später mit dem Festival an der Croisette überwarf, stand für das dänische Dogma-Kino ("Dancer in the Dark", 2000).
Deutschsprachige Regisseure wurden fünfmal ausgezeichnet
Die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erfanden einen neuen Realismus im europäischen Kino und wurden gleich zweimal mit der Goldenen Palme geehrt. Auch Michael Haneke gewann zweimal, in den Jahren 2009 und 2012, und setzte die Liste deutschsprachiger Gewinner fort. Zuvor hatten der Schweizer Leopold Lindtberg (1946) sowie Volker Schlöndorff (1979) und Wim Wenders (1984) gewonnen.
Im vergangenen Jahr erhielt der Schwede Ruben Östlund für seine originelle Kunstszene-Satire "The Square" die Goldene Palme des Festivals. Man darf also gespannt sein, wer die große Tradition bei der 71. Ausgabe 2018 in Cannes (8.5.-19.5.2018) fortsetzen wird. Die Entscheidung trifft diesmal die Jury um die Präsidentin Cate Blanchett.