Vereinte Nationen bewerten Cannabis neu
3. Dezember 2020Die Drogenkonvention von 1961 ist so etwas wie das Navigationsgerät für Staaten durch den Dschungel der verbotenen Substanzen. Ein Leitfaden, an dem sich Länder bei ihrer Drogenpolitik orientieren. Cannabis steht dort nun seit rund 60 Jahren auf einer Stufe mit Stoffen wir Heroin, Kokain und Fentanyl.
Cannabis ist in der Konvention von 1961 zweimal aufgelistet: Zum einen in Klasse 1 - die alle verfügbaren Drogen umfasst. Zusätzlich aber auch in Klasse 4. Dort befinden sich vor allem diejenigen Drogen, die keinerlei zusätzlichen Nutzen haben. Nach der jüngsten Abstimmung in der UN-Suchtstoffkommission steht Cannabis dort nun nicht mehr. Damit folgen die UN einer zwei Jahre alten Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO.
"Die Entscheidung der Vereinten Nationen könnte die langjährige Dämonisierung von Cannabis teilweise heilen", sagt Stephan Kramer. Der 35-Jährige ist Geschäftsführer des Anfang 2019 gegründeten Cannabis-Unternehmens Heyday und Autor eines Buches über die "Zukunft und Vergangenheit der Diskussion um Cannabis".
Kramers Geschäftsmodell: Er importiert, lagert und vertreibt Cannabis-Blüten für den medizinischen Nutzen. Damit ist er schon lange nicht mehr allein. Eine ganze Reihe von Unternehmen und Startups wollen in das Geschäft mit Medizinalhanf. "Cannabis war bisher klassifiziert als Pflanze ohne jeglichen medizinischem Nutzen. Die Neubewertung öffnet nun neue Türen", sagt Kramer im DW-Gespräch.
Bald weniger Hürden für die Cannabisindustrie?
"Es ist gut, dass die Vereinten Nationen der WHO-Empfehlungen gefolgt sind", kommentiert Jürgen Neumeyer vom Branchenverband Cannabiswirtschaft im DW-Interview. Schon einmal wollte die UN-Suchtstoffkommission abstimmen, doch das eigentliche Votum Anfang des Jahres wurde vertagt. "Nach diesem internationalen Impuls erwarten wir weltweit Erleichterungen im Umgang mit Medizinalcannabis. Dies begrüßen wir sehr, da Importeure, Anbauer und Distributoren in Zukunft mit weniger bürokratischen Hürden rechnen können", so Neumeyer.
Der Unternehmer Kramer kennt die strengen Vorschriften beim Thema Cannabis. So ist zum Beispiel die Lagerung von medizinischem Cannabis in Deutschland nur in einem Hochsicherheitslager möglich. Sein Unternehmen hat so eines bereits gebaut: Tonnenweise Stahlbeton und ein begehbarer Tresorraum waren dafür nötig. "Das ist logistisch und finanziell anspruchsvoll", so Kramer.
Umsonst gebaut hat Kramer den Tresor aber wohl nicht. So geht der Cannabis-Analyst Alfredo Pascual von "Marijuana Business Daily", einem führenden Cannabis-Branchenmagazin aus den USA, nicht von wesentlicher Abschwächung der strengen Vorschriften aus. "Cannabis steht weiter in Klasse 1 der Konvention. Alles was dort aufgelistet ist, unterliegt strengsten Vorgaben", so Pascual im DW-Gespräch. Das in Deutschland für Cannabis zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte möchte auf DW-Anfrage die Auswirkungen der Entscheidung nicht kommentieren. Deutschland hat bei der Abstimmung für die Neubewertung gestimmt.
Urteil mit großer Signalwirkung
Tatsächlich wird schon lange an der UN-Drogenkonvention von 1961 vorbeigelebt. So haben Kanada und Uruguay bereits durch die Legalisierung des Freizeitkonsums dagegen verstoßen. Trotz einiger Länder mit sehr progressiver Handhabung sei die Ablehnung in vielen Ländern der Welt noch sehr groß, glaubt Pascual. "Die Entscheidung war ein Kompromiss. Cannabis ganz von der Liste zu streichen, hätte keine Mehrheit gefunden."
Am Ende war auch die Entscheidung in den UN sehr knapp. So lag die Mehrheit für die Neubewertung bei 27 Stimmen mit 25 Gegenstimmen und einer Enthaltung. Bei anderen Punkten - beispielsweise im Umgang mit Cannabis-haltigen CBD-Produkten - stimmten die UN-Vertreter gegen weitere Liberalisierungschritte.
Die Neubewertung sende ein starkes Signal. "Cannabis ist nicht so gefährlich, wie bisher behauptet. Die Zeiten haben sich geändert. Wir wissen nun besser, was Cannabis ist und dass es eben auch einen medizinischen Nutzen hat." Das könnte langfristig nun auch Länder beeinflussen, die bisher in ihrer Drogenpolitik zurückhaltend waren, "zum Beispiel in Afrika und Asien", so Branchenkenner Pascual.
Startschuss für die Pharmaindustrie?
Ein Gewinner der Entscheidung könnte die Forschung sein. "Dadurch, dass nun deutlicher ist, dass Cannabis eben auch medizinische Wirkung hat, wird man versuchen, das mit Studien zu untermauern", glaubt Unternehmer und Buchautor Kramer. Er geht davon aus, dass nun auch Pharmaunternehmen mehr in die Cannabis-Forschung investieren könnten. "Die Anerkennung auf UN-Ebene macht jetzt den Weg frei für Unternehmen, die bisher eher zurückhaltend bei dem Thema waren."
Tatsächlich hat sich bisher kein Pharmakonzern direkt an einem Cannabis-Unternehmen beteiligt. Aktiv war bisher vor allem die Getränke- und Tabakindustrie. "Durch diese Neubewertung von Cannabis könnte sich das ändern", glaubt Kramer. Auch Analyst Alfredo Pascual sieht nun mehr Anreize für Forschung zum medizinischen Nutzen. "Das könnte tatsächlich auch zu mehr Interesse von der großen Pharmakonzerne führen."
Am Ende könnte das der gesamten Industrie zu Gute kommen, denn Cannabis-Studien sind komplex und teuer. So ist der medizinische Nutzen der Blüten bisher auch nur durch Einzelfallstudien nachgewiesen - aber nicht durch groß sogenannte kontrollierte Studien.
Dass Pharmaunternehmen aber in die Forschung der Blüten investieren, davon geht Unternehmer Kramer nicht aus. Denn diese sind nicht patentierbar. Der Geschäftsführer von Heyday rechnet eher damit, dass schon bald neue Fertigarzneimittel auf der Basis von Cannabis auf den Markt kommen könnten. Doch auch das könnte der Branche helfen - denn Cannabis ist noch immer in der Schmuddelecke. Mit jedem seriösen Produkt ändert sich das.