Cannabis-Legalisierung mit Hindernissen
30. Juli 2019"Hello Cannabis" wirbt von außen mit einem schlichten "Hello" unter einem Smiley. Knapp eine Autostunde von Toronto entfernt wird hier in Hamilton legal Cannabis verkauft: vorgerollte Joints, Blüten, aber auch Öle und Pillen meist auf CBD-Basis - einem nicht-psychoaktiven Bestandteil von Cannabis.
Anders als in sogenannten Coffee-Shops in den Niederlanden wird in kanadischen Cannabis-Läden nur eingekauft und nicht konsumiert. 400 bis 700 Menschen aller Altersstufen besuchten laut Manager Oliver Coppolino täglich den Laden. "Das Personal läuft hier mit Tablets herum und erklärt den Kunden das Angebot", sagt er.
Sein Geschäft ist eines von mittlerweile insgesamt 50 im gesamten Bundesstaat Ontario. Damit kommt ein Laden auf 300.000 Einwohner - eine Goldgrube. "Die Nachfrage nach Cannabis-Produkten ist riesig. Wir haben ein Problem mit dem Nachschub. Die meisten Top-Produkte sind immer sehr schnell wieder ausverkauft", so Coppolino.
Kanada wird zur Grasnation Nr. 1
Schon seit dem Jahr 2001 ist der Gebrauch von Cannabis für medizinische Zwecke erlaubt. Seit Oktober des vergangenen Jahres ist Kanada das erste Industrieland, in dem auch der private Konsum von Cannabis legal ist. Der Besitz ist auf 30 Gramm pro Person beschränkt. Schon zuvor war Kanada eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Marihuana weltweit. Der Schwarzmarkt wird auf umgerechnet vier Milliarden Euro geschätzt.
"In der Branche gibt eine Goldrausch-Mentalität. Die ganze Börse ist verrückt nach Cannabis", erklärt Mark Rendell. Der Wirtschaftsjournalist beobachtet seit anderthalb Jahren die Cannabis-Branche für die zweitgrößte kanadische Tageszeitung The Globe and the Mail. "Es passiert nicht oft, dass wir in irgendeiner Branche Vorreiter sind. Aber wegen der Legalisierung ist es bei uns nun deutlich einfacher als in anderen Ländern, Cannabis durch Banken und an der Börse finanzieren zu lassen", sagt Mark Rendell.
Bereits vor der Legalisierung sind zahlreiche Unternehmen an die Börse gegangen und haben dadurch viel Geld eingesammelt. Das war lange Zeit ein riskantes Unterfangen, denn bis zum Juni 2018 war die Legalisierung nur ein Versprechen von Premierminister Justin Trudeau an die Wähler. Am Ende war es ein Kompromiss vieler politischer Kräfte. Das macht sich auch in der Gesetzgebung bemerkbar. So entscheidet die Zentralregierung in der Hauptstadt Ottawa über die Produktionslizenzen für Unternehmen - die Provinzregierungen legen hingegen fest, in welcher Form Cannabis verkauft werden darf. Dabei sind manche Provinzen erfolgreicher als andere.
Knapp 20 Prozent des Schwarzmarktes legalisiert
In Ontario hätten die Behörden sehr lange mit der Vergabe von Lizenzen für die Cannabis-Shops gewartet, erklärt der Journalist Rendell. Aber auch bei den Lizenzen für die Produktion sei man hinterher. Hinzu komme, dass die Unternehmen mit Lizenzen nicht lieferten, was sie versprochen hätten. "Sie bauen in gigantischen Gewächshäusern an, aber Cannabis ist nie zuvor so angebaut worden, deshalb gibt es viele Risiken." Dazu gehörten vor allem Ernteausfälle und Qualitätsprobleme", erklärt Rendell.
Nach den jüngsten Daten der kanadischen Statistikbehörde sind gerade einmal 20 Prozent des Schwarzmarktes legalisiert. Mehrere Hundert Unternehmen befinden sich aktuell in der Warteschlange für eine Anbau-Lizenz.
Wie der Anbau im großen Stil aussieht, zeigt sich in Leamington - eine Flugstunde südlich von Toronto. Etwa auf dem Breitengrad von Barcelona wuchsen lange nur Tomaten und Gurken - und nun auch Cannabis. Anders als der klassische Anbau mit künstlichem Licht sparen Gewächshäuser Energie. "Noch nutzen wir Maschinen aus der Nahrungsmittelindustrie", sagt Brett Marchand.
Der Kanadier hat zuerst in der Armee gearbeitet, dann für die Fleischindustrie. Nun baut er für den Cannabisproduzenten Aphria das nach eigenen Angaben modernste Gewächshaus Kanadas. "Das ist eine komplett neue Industrie, da dabei zu sein - so eine Chance bekommt man nur einmal im Leben", sagt Marchand und geht mit strammen Schritten durch das neue Gewächshaus des Unternehmens.
Viel Hype, wenig Substanz?
In der ersten von drei Hallen läuft gerade die Testphase. Hier stehen Cannabispflanzen, so weit das Auge reicht. Roboterarme stecken kleine Setzlinge in Töpfe. Auf automatisierten Laufbändern werden die Pflanzen bewegt. "Der Markt wächst die ganze Zeit. Wir sind da noch lange nicht am Ende", sagt Marchand. "Jedes Mal, wenn wir mehr produzieren, öffnen neue Läden." Umgerechnet 65 Millionen Euro seien in einen voll automatisierten Produktionsprozess geflossen. Neben den Energiekosten möchte man hier auch beim Personal Ausgaben reduzieren.
An der Börse wird der Konzern schon mit mehr als eine Milliarde Euro bewertet - beim Umsatz hinkt Aphria da mit 25 Millionen Euro mehr als hinterher. Dennoch glauben viele Anleger an den Cannabis-Boom. Angeheizt wurde die Branche auch durch mehrere milliardenschwere Investitionen und Beteiligungen der Getränke- und Tabakindustrie. Das der Cannabisindustrie nahestehende Analysehaus Arcview Group geht bis 2024 von einem Umsatz von umgerechnet vier Milliarden Euro mit Cannabis in Kanada aus.
Mit Blick auf die kanadische Legalisierung ist der Journalist Mark Rendell von den Produzenten enttäuscht. "Viele haben den Himmel auf Erden versprochen." Um Geld bei den Anlegern einzutreiben, hätten viele eine Pressemitteilung nach der anderen veröffentlicht. "Dann war der Schock gewaltig, als klar wurde, wie sehr sie unter den Erwartungen geblieben sind." Er geht davon aus, dass es noch bis zu drei Jahre dauern könnte, bis sich Angebot und Nachfrage in Kanada aufeinander eingespielt haben.
Für die international ausgerichteten Cannabis-Konzerne wird entscheidend sein, ob die Legalisierung in Kanada ein Erfolgsprojekt wird. Gelingt es, den Schwarzmarkt zurückzudrängen? Gelingt es, dass die Konsumentenzahlen nicht steigen und auch nicht mehr Jugendliche Cannabis konsumieren? Wenn ja, dann könnte das die Rechnung der Konzerne aufgehen und die kanadische Legalisierung Schule machen. Für Antworten auf diese Frage ist die Datenlage aber ein knappes Jahr nach Legalisierung noch zu dünn.