Die deutsche Grasindustrie blüht
10. März 2018"Konservativ gerechnet gehen wir davon aus, dass wir dieses Jahr 150 Kilo im Monat verkaufen, aber wir erwarten eher mehr", sagt Pierre Debs. Der gebürtige US-Amerikaner ist Geschäftsführer von Spektrum Cannabis. Das Unternehmen aus St. Leon Roth bei Heidelberg hat im letzten Quartal des abgelaufenen Jahres knapp eine Million Euro mit dem Verkauf von medizinischem Cannabis umgesetzt.
Pierre Debs Firma ist schon länger auf dem deutschen Markt aktiv. Als einer der Ersten in Deutschland hat er Cannabisblüten importiert und an Apotheken verkauft - zuerst kam die Ware aus den Niederlanden, dann aus Kanada.
Der März 2017 war für sein Unternehmen ein Glücksfall. Durften zuvor nur knapp 1000 ausgewählte Patienten mit einer Sondergenehmigung Cannabis auf Rezept beziehen, steht es den Ärzten seitdem frei, ob sie einem Patienten Cannabis-Präparate verschreiben. Unter bestimmten Voraussetzungen zahlt sogar die Krankenkasse. "Auf diesen Tag haben wir alle gewartet. Das war die Marktöffnung", blickt der 52-Jährige Debs zurück. Seitdem verzeichne sein Unternehmen einen kontinuierlichen Anstieg der Nachfrage. "Fast jede Lieferung aus Kanada ist quasi ausverkauft, bevor sie zu uns kommt."
Cannabis-Industrie blickt nach Deutschland
Im September berichtete die DW über Engpässe auf dem Markt. Die seien mittlerweile behoben, sagt Debs. Ein Jahr nach Öffnung des medizinischen Cannabis-Markts teilen sich nun eine Handvoll Unternehmen das Geschäft untereinander auf. Darunter ist auch Cannamedical aus Köln. Die Firma hat mit seinen 20 Mitarbeitern gerade den 16. Stock im höchsten Kölner Bürogebäude bezogen. Vom noch leeren Konferenzraum blickt man auf die ganze Stadt. "Der Markt entwickelt sich extrem schnell und wir sind froh dabei zu sein", sagt Niklas Kouparanis, verantwortlich für den Verkauf. Über Umsatz und Gewinn schweigt man. Man habe schon einige Übernahmeangebote gehabt: "Wir haben uns aber bewusst dagegen entschieden und wollen unabhängig bleiben", sagt Kouparanis.
Anders bei Spektrum Cannabis: Schon seit 2016 ist der börsennotierte kanadische Graskonzern Cannopy Growth Eigentümer des Unternehmens. Nicht die einzige Übernahme in dem noch jungen Markt. Auch der kanadische Grasproduzent Aurora kaufte Mitte 2017 das Berliner Cannabis Start-Up Pedanios für knapp 16 Millionen Euro. Die beiden kanadischen Unternehmen gelten als die größten der Branche. "Deutschland ist eines der ersten europäischen Länder, das medizinisches Cannabis auf Bundesebene legalisiert hat", so Debs. Und dann sei da noch die Bevölkerung von mehr als 80 Millionen Einwohnern: "Das ist ein riesiger Markt - im Moment der größte weltweit mit einer bundesweiten Legalisierung." Die ganze Branche schaue momentan darauf, wie Deutschland den Markt organisiere. Das große Geld mit medizinischem Cannabis wird aktuell allerdings noch in Kanada und den USA verdient. 2017 wurden in den US-Bundesstaaten, in denen Cannabis als Medizin verkauft werden darf, knapp acht Milliarden US-Dollar damit umgesetzt (siehe Grafik).
Der Anbau in Deutschland tritt auf der Stelle
In Deutschland wittern Unternehmen nicht nur als Importeure ein großes Geschäft. Im nächsten Jahr soll zum ersten Mal hier produziertes Gras geerntet werden. Rund 6,6 Tonnen Blüten sind bei der deutschen Cannabisagentur für die kommenden drei Jahre ausgeschrieben.
Eigentlich sollte Ende 2017 bereits feststehen, welche Unternehmen in Deutschland anbauen dürfen. Allerdings klagen mehrere Personen gegen die Bedingungen der Ausschreibung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte auf Anfrage der DW, dass zwei Anhörungen bezüglich des Verfahrens auf Ende März angesetzt sind. Sollten die Kläger Recht bekommen, könnte die Ausschreibung sogar noch gänzlich kippen. Bei der Cannabisagentur möchte man sich aus "vergaberechtlichen Gründen" zum Stand der Ausschreibung nicht äußern.
"Eine erste Ernte 2019 ist jetzt schon unwahrscheinlich", sagt Georg Wurth vom deutschen Hanfverband, einer Lobbyorganisation der Cannabisbranche. "Es kann sich noch ewig verzögern und wir werden weiter auf Importe angewiesen sein." Das bringe Probleme mit sich: "Die Nachfrage hier steigt so stark, dass die Importeure nicht hinterher kommen", so Wurth.
Die Goldgräberstimmung geht weiter
Tatsächlich ist die Zahl der Patienten stark gestiegen. Während die Bundesregierung in der Gesetzesnovelle noch mit circa 700 Cannabispatienten im Jahr rechnete, sind laut einer Umfrage der "Rheinischen Post" bei den drei größten Krankenkassen bereits zehn Monate nach Gesetzeseinführung knapp 13.000 Anträge eingegangen.
Auch deshalb glaubt in der Branche kaum jemand, dass die Ausschreibungsmenge der Cannabisagentur den Bedarf in Deutschland decken kann. "Der Verbrauch liegt doch jetzt schon deutlich darüber", schätzt Pierre Debs. Ob sich sein Unternehmen auch für eine Anbaulizenz beworben hat, möchte er nicht kommentieren. In Konkurrenz zu den potenziellen Anbauern stehe man aber nicht: "Der Import wird in den kommenden vier bis fünf Jahren sicherlich die Hauptquelle bleiben", ist Debs überzeugt.
Auch bei Cannamedical ist man zuversichtlich. Der Blick nach Kanada und in die USA zeige das Potenzial. Dort ist medizinisches Cannabis in einigen Bundesstaaten schon deutlich länger legal. Wenn man sich an den dortigen Marktdaten orientiere, "reden wir von einer Patientenzahl zwischen 800.000 und 1,6 Millionen", so Niklas Kouparanis.
Und nicht nur das: Auch aus der Politik werden die Forderungen nach einer kompletten Legalisierung auch für den Freizeitkonsum lauter. Zuletzt hatte sogar der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter das Cannabis-Verbot als nicht zielführend bezeichnet. Zwar sprechen die in Deutschland aktiven Unternehmen nur von der Versorgung kranker Patienten. Mit Blick auf das Marktpotential wäre aber eine komplette Legalisierung für die bereits in Deutschland aktiven Unternehmen das ganz große Geschenk. Dann wären sie allen anderen erst mal einen Schritt voraus.