Braml: "Wir sind erpressbar geworden"
12. Juli 2018Deutsche Welle: US-Präsident Trump hat sich nach einem mehrtägigen Zickzackkurs und vielen Verbalattacken auf dem NATO-Gipfel nun doch wieder versöhnlich gegeben und zugesichert, weiter zum Bündnis zu stehen. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Josef Braml: Man kann das Ganze jetzt wieder schönreden. Aber die Unterschiede bleiben fundamental. Wir Europäer leben noch in der Welt des liberalen Internationalismus, die amtierende US-Regierung wähnt sich in der Welt des knallharten Realismus. Das heißt aus ihrer Sicht: Staaten haben keine Freunde, sondern nur Interessen. Nach Trumps Nullsummendenken gibt es keine gemeinsamen Interessen, sondern er will gewinnen auf Kosten aller anderen. Dieses Nullsummendenken ist nicht geeignet für den Fortbestand von Allianzen. Allianzen brauchen auch Vertrauen - und Trump macht alles andere als Vertrauen zu erwecken. Im Gegenteil: Er will alle verunsichern, um beim Verhandeln die Oberhand zu behalten. Wir müssen uns auf ein Amerika einstellen, das seine Interessen rabiat durchsetzt und Lasten auf andere abwälzt - seien es Rivalen oder Verbündete.
Trump ist dabei, die regelbasierte Ordnung zu zerstören, weil sie aus seiner Sicht nur Amerikas Rivalen wie China und Europa hilft. Wenn aus Sicht der einzig wirklich wichtigen Macht in der NATO die Europäer Rivalen sind, dann ist die ganze NATO grundlegend in Frage gestellt.
Deutsche Welle: Zuvor hatte der US-Kongress einen bewussten Kontrapunkt gegen Trump gesetzt und eine überparteiliche Resolution veröffentlicht, in der sie ihre Unterstützung für die NATO zusicherten. Die Resolution war mit 97 Stimmen angenommen worden, nur zwei Senatoren stimmten dagegen. Wie bedeutsam war dieser Schritt aus Ihrer Sicht?
Das ist eine nicht bindende Resolution, die dementsprechend wenig Beachtung findet in den USA. Diese Resolution ist ein rhetorisches Feigenblatt, wohlfeiles Geschwätz ohne Auswirkungen. Sie wird Trump wenig beeindrucken. Es hätte Signalwirkung, wenn Trump wirklich eingeschränkt würde, auch in anderen Politikfeldern. Aber das machen die Abgeordneten und Senatoren nicht, weil sie politisch nicht die Courage haben, sich gegen einen Präsidenten zu stellen, der im eigenen Land viel populärer ist als wir es wahrhaben wollen.
Der Kongress hat sich bisher nicht wirklich hervorgetan, dem Präsidenten in die Hand zu greifen - selbst in Bereichen, in denen die Legislative eigentlich ein mächtiges Wort mitzureden hat, etwa in der Handelspolitik.
Wie kann es denn nun weitergehen mit den transatlantischen Beziehungen?
Ich sehe ein Verhaltensmuster Trumps mit großer Sorge: Wieder einmal hat Trump Fragen der nationalen Sicherheit mit Wirtschaftsfragen verknüpft. Trump begründet Zölle mit nationaler Sicherheit. Das ist ein geschickter Schachzug. Damit macht er nicht nur die Welthandelsorganisation obsolet, die damit nicht umgehen kann. Auch die innere Gewaltenkontrolle wird ausgehebelt. Denn wenn es um nationale Sicherheit geht, sitzt der Kongress am kürzeren Hebel.
Anstelle der Rule of Law wird künftig das Recht des Stärkeren gelten. Darauf sollten wir uns einstellen in einem Land, das sich kein eigenes einsatzfähiges Militär leistet: Wir sind jetzt erpressbar geworden. Das hat sich schon bei den Strafzöllen gezeigt. Da gab es den Einwand, dass Trump doch keine Alliierten mit Strafzöllen überfrachten dürfe. Worauf er erwiderte: Das wollen Alliierte sein? Sie sollten mehr für Rüstung ausgeben, natürlich für amerikanische Rüstungsgüter – und damit auch die Handelsbilanz in seinem Sinne verbessern. Trump handelt nach dem Motto: Wenn ihr der Pax Americana würdig sein wollt, dann habt ihr gefälligst auch in Wirtschaftsbereichen einen höheren Preis zu zahlen.
Doch wir können uns auf die Amerikaner nicht mehr verlassen. Die Europäer sollten endlich lernen, etwas souveräner zu denken, etwa indem sie innerhalb der NATO eine eigenständige europäische Sicherheitsstruktur etablieren, die entscheidungs- und handlungsfähig ist, auch wenn Trump mal nicht danach sein sollte, Europas Sicherheitsinteressen zu verteidigen.
Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“. Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog „usaexperte.com“.
Das Gespräch führte Stephanie Höppner.