Ukraine stuft Russland als Besatzungsmacht ein
18. Januar 2018Es ist das bisher schärfste Gesetz, das in der Ukraine in fast vier Jahren seit der Krim-Annexion und des Kriegsausbruchs im Kohlerevier Donbass verabschiedet wurde. Das Parlament stimmte am Donnerstag (18. Januar) in der zweiten und letzten Lesung für das vom Präsidenten Petro Poroschenko im Oktober 2017 eingebrachte Dokument, das das Verhältnis zu den Separatistengebieten um Donezk und Luhansk neu definiert. Dabei wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf zuletzt gründlich überarbeitet und nochmals verschärft. In den letzten Tagen war das Parlament damit beschäftigt, über mehr als 670 Änderungsvorschläge einzeln abzustimmen. Die meisten wurden abgelehnt.
Ähnliche Messlatte wie bei der Krim
Im Kern stuft die Ukraine Russland als Aggressor ein und überträgt an Moskau als Besatzungsmacht die Verantwortung für das Territorium und die dort lebenden rund drei Millionen Menschen. Darüber hinaus wird der wegen seiner Verharmlosung viel kritisierte Begriff "Antiterroroperation" (ATO) aufgegeben. Das neue Gesetz spricht von "Zurückschlagen und Abwehr der bewaffneten russischen Aggression" und sieht den Einsatz von Armee vor. Die Leitung sollen die Streitkräfte übernehmen und nicht wie bisher der Geheimdienst SBU. Als oberstes Ziel wird eine Befreiung der Gebiete angestrebt. Wie genau das geschehen soll, wird nicht detailliert beschrieben.
Mit dem neuen Gesetz legt die Ukraine nun bei Donbass eine ähnliche Messlatte an wie bei der annektierten Krim, deren "temporäre Besatzung" durch Russland das Parlament bereits im Frühling 2014 in einem Gesetz festgeschrieben hatte. Anders als die Krim betrachtet Moskau die Separatistengebiete im Donbass weiterhin als Teil der Ukraine und bestreitet den Einsatz russischer regulärer Armee-Einheiten.
Um Kritikern entgegen zu kommen, wurden im Gesetz an mehreren Stellen Hinweise auf die Krim eingebaut. So will Kiew nochmals klarstellen, dass es beide Gebiete weiterhin als sein Territorium betrachte.
Kein Bekenntnis zu Minsker Vereinbarungen
Ein weiteres Zugeständnis an die Oppositionsparteien war die Streichung des Bekenntnisses zu den Minsker Friedensvereinbarungen vom Februar 2015, die unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs zustande kamen. Ein solches Bekenntnis gab es in dem ursprünglichen Gesetzentwurf. Kritiker wollten aber vermeiden, dass diese Vereinbarungen durch das Gesetz aufgewertet werden.
Das weitere Schicksal der Vereinbarungen scheint im Moment unklar. Offiziell hält Kiew weiterhin daran fest, doch das neue Gesetz dürfte den ohnehin stockenden Friedensprozess zusätzlich erschweren. Moskau wirft nun Kiew vor, Minsk begraben zu wollen. Die Ukraine wolle die Minsker Vereinbarungen nicht umsetzten, sagte am Donnerstag Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates, der Länderkammer im russischen Parlament. Ähnlich äußerten sich Vertreter der Separatisten in Donezk.
Bisher ist keiner der 13 Punkte der Minsker Vereinbarungen vollständig umgesetzt worden. Ein Gefangenenaustausch Ende 2017 bleibt offenbar eine Ausnahme.
Die Ukraine stand zuletzt zunehmend unter dem Druck seiner westlichen Partner, vor allem die politischen Schritte wie etwa ein eigenes Wahlgesetz für die Separatistengebiete zu verabschieden. Doch Kiew weigerte sich mit dem Verweis auf den andauernden Stellungskrieg, dessen Opferzahl die Marke von 10.000 Menschenleben überschritten hatte. Beobachter glauben, dass mit dem neuen Gesetz die aktuelle Lage eher zementiert wird.
Sorge um wachsende Macht des Präsidenten
Das nun verabschiedete Gesetz sorgte bis zuletzt für eine Kontroverse, unter anderem wegen der erweiterten Machtbefugnisse des Präsidenten. So wird der Staatschef allein über den Beginn und das Ende der "Sicherheitsmaßnahmen" in den betroffenen Gebieten entscheiden dürfen, ohne das Parlament einbeziehen zu müssen. Manche bezweifeln, ob das mit der ukrainischen Verfassung vereinbar sei, die das Land als eine parlamentarische Demokratie definiert.