Wie geschlossen ist der Sport-Boykott?
15. Juli 2022Als russische und belarussische Aktive im März von den Winter-Paralympics in Peking ausgeschlossen wurden, organisierte Russland für sie kurzerhand in Chanty Mansijsk in Sibirien eine Alternativ-Veranstaltung. An den Wettkämpfen nahmen auch Sportlerinnen und Sportler aus Armenien, Kasachstan und Tadschikistan teil. Es wirkte wie eine Trotzreaktion von Präsident Wladimir Putin, der sich einst so gerne im Glanz russischer Erfolge bei internationalen Wettkämpfen sonnte. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon fast fünf Monate an. Und die Zahl der sportlichen Wettbewerbe, an denen Aktive aus Russland und Belarus nicht teilnehmen durften war viel zu groß, als dass Putin und Co. für jeden ausgefallenen Wettkampf eine Alternative hätten auf die Beine stellen können.
Auf welcher Grundlage steht der Sport-Bann gegen Russland und Belarus?
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) empfahl am 28. Februar, vier Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, "internationalen Sportverbänden und Organisatoren von Sportereignissen, russische Athleten und Offizielle nicht zu internationalen Wettbewerben einzuladen und an ihnen teilnehmen zu lassen". Verbände, denen dies nicht möglich sei, sollten Athletinnen und Athleten aus Russland oder Belarus nur unter neutralem Status starten lassen, nicht für ihr Land.
IOC-Präsident Thomas Bach betonte anschließend immer wieder, dass es sich hier nicht um Sanktionen handele, sondern um Schutzmaßnahmen für die "Integrität der Wettkämpfe" und die Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus. Deren Sicherheit könne nicht garantiert werden, "da in so vielen Ländern nach der Invasion tiefe anti-russische und anti-belarussische Gefühle herrschen", sagte Bach etwa im Mai bei einem Online-Meeting des IOC. Mit dieser Position wahrt das IOC nach eigener Einschätzung die politische Neutralität, die in der Olympischen Charta festgeschrieben ist.
Bereits am 25. Februar, am Tag nach Beginn des russischen Angriffskriegs, hatte das IOC "dringend empfohlen", alle in Russland oder Belarus aktuell geplanten Sportveranstaltungen an andere Orte zu verlegen oder ganz zu abzusagen.
Haben sich alle Verbände an die IOC-Empfehlung gehalten?
Die meisten Sportverbände folgten in vollem Umfang den Empfehlungen des IOC. So wurden die Fußball-Nationalteams beider Staaten aus den Qualifikationen für die Weltmeisterschaften der Männer 2022 in Katar sowie der Frauen 2023 in Australien und Neuseeland verbannt. Beide Länder werden diese beiden Großereignisse also verpassen. Die UEFA schloss nicht nur die Nationalteams, sondern auch alle russischen und belarussischen Vereine vorerst von internationalen europäischen Wettbewerben aus. Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne wies russische Beschwerden gegen den Ausschluss ab.
Die Eishockey-Weltmeisterschaft der Männer im Mai in Finnland fand ohne Teams aus Russland und Belarus statt - ebenso die Schwimm-WM im Juni in Budapest und die Leichtathletik-WM im Juli in Eugene im US-Bundesstaat Oregon.
Alle in Russland oder Belarus geplanten internationalen Sport-Wettkämpfe wurden abgesagt oder aber verlegt. So stieg das Champions-League-Finale der Fußballer im Mai in Paris und nicht in St. Petersburg. Die Schwimm-Kurzbahn-WM im Dezember wurde vom russischen Kazan nach Melbourne in Australien verlegt.
Gibt es Sportarten, in denen Aktive aus Russland und Belarus noch international starten dürfen?
Im Radsport und Tennis sind Russland und Belarus nur ausgeschlossen, wenn es sich um Teams handelt. Einzelsportler und -sportlerinnen dürfen weiter teilnehmen, werden aber als "neutrale" Teilnehmer eingestuft. So startete der Kapitän des deutschen Radprofi-Teams Bora-hansgrohe, der Russe Alexander Wlassow, bei der diesjährigen Tour de France.
Bei den French Open der Tennisprofis im Mai in Paris schaffte es die Russin Darja Kassatkina bis ins Halbfinale. In Wimbledon schlossen die Veranstalter dagegen Aktive aus Russland und Belarus aus - auf Druck der englischen Regierung, gegen den Willen der Tennis-Weltverbände ATP und WTA. Am letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres, den US Open Ende August in New York, dürfen Profis der beiden Länder wieder teilnehmen, unter ihnen Titelverteidiger Daniil Medwedew aus Russland. Man wolle nicht "individuelle Aktive für die Handlungen und Entscheidungen ihrer Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen", ließen die Veranstalter wissen.
Auch in der Formel 1 hätten Fahrer aus Russland und Belarus als "neutrale" Piloten theoretisch starten dürfen. Der Vertrag des einzigen Russen im Fahrerfeld, Nikita Mazepin, im vergangenen Jahr Teamkollege von Mick Schumacher bei Haas, wurde jedoch kurz vor dem Saisonstart im März vom Rennstall gekündigt. Die Formel-1-Eigner strichen den ursprünglich für September geplanten Grand Prix in Sotschi aus dem Programm. Außerdem kündigten sie den Vertrag mit Russland für 2023 bis 2025, der jährliche Rennen in St. Petersburg vorsah.
Im Judo sind Aktive aus Russland und Belarus weiter bei internationalen Wettkämpfen zugelassen. Allerdings starten sie unter der Flagge des Weltverbands IJF. Die Judokas dürften "nicht für Dinge bestraft werden, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen", argumentierte der Verband.
So traten russische Judokas auch beim Grand-Slam-Wettkampf im Juni in Ulan Bator in der Mongolei an, der zur Olympia-Qualifikation für die Spiele 2024 in Paris zählte. Die Ukraine boykottierte aus Protest den Wettkampf.
Wie lange wird der Sport-Bann noch andauern?
Die Sportverbände halten sich offen, wie lange sie die Isolation Russlands und Belarus' aufrechterhalten wollen. "Bis auf Weiteres" oder "Auf absehbare Zeit" lauten die gängigen Formulierungen, wenn es um den Ausschluss der Aktiven aus beiden Ländern von internationalen Wettkämpfen geht. Viele Entscheidungen der Verbände, etwa im Fußball, wirken bereits ins Jahr 2023 hinein.
Das britische IOC-Mitglied, Sir Craig Reedie, hält es auch für unwahrscheinlich, dass Sportlerinnen und Sportler aus Russland oder Belarus an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris teilnehmen werden. "Ich vermute, dass die allgemeine Meinung ist, dass sie sich nicht qualifizieren sollten", sagte Reedie gegenüber britischen Medien.