Eishockey-WM ohne Russland
12. Mai 2022Bei den vergangenen beiden Olympischen Winterspielen waren sie noch dabei: Zwar gewann Russlands Eishockey-Nationalmannschaft, die "Sbornaja", vor vier Jahren in Pyeongchang unter dem sperrigen Namen "Olympische Athleten aus Russland" Gold und in diesem Februar unter dem Label "Russisches Olympisches Komitee (ROC)" in Peking Silber, doch war völlig klar, wen die Spieler tatsächlich repräsentierten. Wegen der Sanktionen aufgrund des russischen Staatsdoping-Skandals war den Sportlern aus Russland damals das Tragen der russischen Flagge verboten, auch ihre Hymne durfte nicht gespielt werden. Diesmal sind die Sanktionen, die auf den russischen Einmarsch in die Ukraine folgten, tiefgreifender.
Der Internationale Eishockeyverband (IIHF) hat Russland und Weißrussland von allen Wettbewerben ausgeschlossen. "Wir waren unglaublich schockiert über die Bilder, die aus der Ukraine kamen", sagte IIHF-Präsident Luc Tardif in einer Erklärung, in der er den Schritt im Februar ankündigte. "Ich stand in engem Kontakt mit dem ukrainischen Eishockeyverband, und wir hoffen für alle Ukrainer, dass dieser Konflikt auf friedliche Weise und ohne weitere Gewalt gelöst werden kann", fügte Tardif hinzu.
Einzig vernünftige Entscheidung
Der Schritt der IIHF sei die "einzig vernünftige Entscheidung" gewesen, sagt Szymon Szemberg, Geschäftsführer der Alliance of European Hockey Clubs (ECH). "Russland bei der WM dabei zu haben - mit seinem Angriffskrieg, Völkermord und Kriegsverbrechen sowie den engen Verbindungen zwischen dem russischen Eishockey-Verband, der KHL, Putin und dem Kreml - wäre undenkbar gewesen", sagte Szemberg der DW.
Eishockey-Historiker Andrew Podnieks, der mehr als 100 Bücher zu diesem Thema geschrieben hat, stimmt dem zu: "Politik und Sport gehen NICHT Hand in Hand", sagt Podnieks gegenüber der DW. "Die IIHF kann der Ukraine nicht helfen, den Krieg zu gewinnen. Daher tut sie das Einzige, was sie tun kann, um die Ukraine zu unterstützen und ihre Abscheu vor der Invasion zu zeigen. Die Moral des Sports ist viel wichtiger als die Teilnahme der einen oder anderen Mannschaft an einer Veranstaltung."
Keine WM in Putins Heimatstadt
Im Vergleich zum Vorgehen der IIHF bei der letztjährigen Weltmeisterschaft kam der Schritt blitzschnell. Damals brauchte der Verband Wochen, um Weißrussland das Turnier zu entziehen, nachdem Präsident Alexander Lukaschenko Demonstrationen gegen seine umstrittene Wiederwahl im August 2020 blutig hatte niederschlagen lassen.
Neben dem WM-Bann hat die IIHF Russland für 2023 die Ausrichtung der WM der Männer entzogen, die in Wladimir Putins Heimatstadt St. Petersburg hätte stattfinden sollen. Auch die Junioren-WM wird 2023 nicht wie ursprünglich geplant in Russland stattfinden.
Auswirkungen auf die KHL
Daneben gab es Maßnahmen, die weniger beachtet wurden: Nur wenige Stunden nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine gab der finnische Klub Jokerit Helsinki, der seit 2014 in der russischen Kontinentalen Hockey-Liga (KHL) spielte, seinen Rückzug aus den Playoffs um den Gagarin Cup bekannt und zog sich später ganz aus der KHL zurück.
Dinamo Riga, seit 2008 Mitglied der KHL, zog weniger Tage nach. "In einer solchen militärischen und humanitären Krise sehen wir keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der Kontinentalen Hockey-Liga", erklärte der lettische Verein in einer Erklärung.
Inzwischen haben sowohl der schwedische als auch der finnische Eishockey-Verband angekündigt, dass alle ihre Profis, die in der nächsten Saison in der KHL spielen, aus den Nationalmannschaften ausgeschlossen werden.
"Wie eine Fußball-WM ohne Deutschland oder Brasilien"
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten werden die Eishockeyfans nun eine Weltmeisterschaft erleben, bei der eine der stärksten Mannschaften fehlen wird. "Das hat erhebliche sportliche Auswirkungen, das liegt auf der Hand, denn Russland ist eine der führenden Hockeynationen", sagt Szemberg. "Ein langjähriger Medaillenkandidat wird nicht antreten. Das ist wie eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne Deutschland oder Brasilien."
Seit die Sowjetunion 1954 zum ersten Mal an der Weltmeisterschaft teilnahm (und sie auch gewann), hat die sowjetische und später russische Mannschaft insgesamt 27 Goldmedaillen geholt - genauso viele wie die Kanadier, die nun in Finnland alleiniger Rekordweltmeister werden könnten.
Eishockey-Welt wird überleben
Da ein Ende des Krieges in der Ukraine nicht abzusehen ist, könnte es sein, dass sich die Fans auch in den kommenden Jahren an die Abwesenheit Russlands bei der Eishockey-WM gewöhnen müssen.
Szymon Szemberg, der früher IIHF-Kommunikationsdirektor war, macht sich trotzdem keine Sorgen, dass die Weltmeisterschaften darunter sportlich leiden: "Kanada hat von 1970 bis 1976 auf eine Teilnahme an der Eishockey-WM verzichtet - und die Eishockey-Welt hat dennoch überlebt."
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.