Ukraine-Krieg: Russland nutzt verstärkt Kamikaze-Drohnen
3. Januar 2023Sie kommen meist nachts. Immer wieder hören die Bewohner ukrainischer Städte die Einschläge russischer Kamikaze-Drohnen. Dabei ist der Ausdruck eigentlich irreführend: Kamikaze-Angriffe waren während des Zweiten Weltkrieges Selbstmordangriffe junger japanischer Piloten, die sich mit ihren Flugzeugen auf alliierte Schiffe stürzten, um so möglichst großen Schaden anzurichten. Der Tod des Piloten war Teil des Konzepts. Doch Drohnen sind unbemannt. Man könnte von einer Einwegdrohne sprechen, weil die Drohne beim Angriff zerstört wird – im Gegensatz etwa zur türkischen Bayraktar-Drohne, die von ihren Bombardements und Aufklärungsflügen wieder zurückkehrt.
Die verwendete Kamikaze-Drohne in der Ukraine ist meist eine Kampfdrohne vom iranischen Typ Schahed-136 – obwohl sowohl Russland als auch der Iran den Kauf bis heute bestreiten. Die Schahed-136 ist rund 3,5 Meter lang und hat Deltaflügel mit einer Spannweite von etwa 2,5 Metern. Sie kann etwa 50 Kilogramm Sprengstoff tragen. Die Drohne wird von einem Schubpropeller am Heck mit Benzinmotor angetrieben. Sie ist entsprechend laut, die Geschwindigkeit mit knapp 200 km/h eher niedrig. Allerdings wird die Reichweite mit bis zu 2000 km angegeben. Selbst wenn das iranische Herstellerangaben sind und die Reichweite etwas geringer sein sollte, wäre das im Vergleich zu anderen Kamikazedrohnen extrem viel. Von Russland aus lässt sich mit der Schahed-136 jede ukrainische Stadt treffen.
Switchblade gegen Schahed
Die Schahed-136 ist allerdings sehr einfach konstruiert. Anders als zum Beispiel bei der amerikanischen Switchblade (Springmesser) wird bei der Schahed ein Ziel vorher eingegeben, das unbedingt feststehend sein muss, das steuert die Drohne dann selbsttätig an. Nach der Zieleingabe kann sie nicht mehr beeinflusst werden.
Kamikazedrohnen werden auch "loitering weapons" genannt, herumlungernde Waffen. Im Gegensatz zur Schahed schweben andere Systeme wie die Switchblade zunächst über einem Einsatzgebiet, bevor ein Operator am Boden ihnen per Datenlink ein Ziel zuweist, das auch beweglich sein kann. Die Drohne steuert darauf zu, wobei sie selbst zerstört wird.
Schwierige Abwägung: Lohnt der Abschuss?
Gegen moderne Flugabwehrsysteme hat die Schahed keine Chance. Auch für einen Einsatz an der Front ist die Drohne nach Meinung von Militärexperten kaum geeignet. Aber das scheint auch nicht das Ziel des russischen Militärs im Ukraine-Krieg zu sein. Die Taktik ihres Einsatzes ist offenbar eine andere: Sie soll zivile Ziele wie Versorgungseinrichtungen und Wohnhäuser treffen und in der Bevölkerung Schrecken verbreiten.
Weil die Drohne mit einem Stückpreis von rund 20.000 US-Dollar vergleichsweise billig und ihre Komponenten leicht zu beschaffen sind, stellt sich für die Verteidiger oft die schwierige Frage, ob es lohnt, modernste Flugabwehrgeschosse gegen sie einzusetzen, wenn jedes einzelne ein Vielfaches einer Kamikazedrohne kosten kann. Zumal Russland in der Ukraine oft ganze Schwärme von Schaheds einsetzt, von denen zwar einige abgeschossen werden, andere aber ihr Ziel erreichen. Zudem bindet die Abwehr der Drohnen ukrainisches Militär und Flugabwehr überall im Land, das dann an der Front fehlt. Auch das scheint russisches Kalkül zu sein.
Westliche Militärexperten mutmaßen auch, dass die Kamikaze-Drohnen als Ersatz für die ebenfalls wesentlich teureren Marschflugkörper verwendet werden, die in Russland offenbar langsam knapp werden.
Die einfachen, billigen Kamikaze-Drohnen spielen auf dem Schlachtfeld praktisch keine Rolle. Russland setzt aber offenbar nicht zuletzt auf ihre psychologische Wirkung: die Zivilbevölkerung zu zermürben.