Türkei: Intellektueller Kavala weiter in Haft
18. Juli 2019Nach mehr als anderthalb Jahren Untersuchungshaft muss der türkische Intellektuelle Osman Kavala weiter im Gefängnis bleiben. Das entschied das Gericht am Hochsicherheitsgefängnis Silivri nahe Istanbul. Eine Begründung gab es zunächst nicht. Nächste Verhandlungstermine sind der 8. und 9. Oktober. Kavala und 15 weiteren Aktivisten und Menschenrechtlern wird in dem sogenannten Gezi-Prozess unter anderem ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen.
Kavala wird zudem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu haben. Gegen sechs Angeklagte wird der Prozess in Abwesenheit geführt, nachdem diese ins Ausland geflohen waren. Unter ihnen sind der Schauspieler Memet Ali Alabora und der Journalist Can Duündar.
Zahlreiche internationale Beobachter waren zur Prozessbeobachtung anwesend, darunter ein deutscher Diplomat. Kavala wurde unter Applaus seiner Unterstützer in den Gerichtssaal geführt, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Er drehte sich zu den Zuschauerrängen um und winkte. In seiner Verteidigungsrede sagte er, es gebe keine Beweise gegen ihn. "Ich fordere meine Freilassung."
Es droht lebenslange Haft
Die Proteste hatten sich im Sommer 2013 an der Bebauung des Gezi-Parks im Istanbuler Zentrum entzündet. Sie weiteten sich aus zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Regierung ließ die Proteste brutal niederschlagen. Kavala, der mit seiner Stiftung Anadolu Kültür unter anderem mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet, sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft.
Beim Prozessauftakt Ende Juni war der Aktivist Yigit Aksakoglu nach mehr als sieben Monaten Inhaftierung entlassen worden. Kavala musste im Gefängnis bleiben. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft unter erschwerten Bedingungen für alle 16 Beschuldigten.
Der Prozess trifft international auf scharfe Kritik. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, warf dem Gericht vor, mit dem Prozess "bürgerschaftliches Engagement zum ausländischen Komplott umzudeuten". Deutschland stehe solidarisch an der Seite der türkischen Zivilgesellschaft, erklärte Kofler und forderte die Freilassung Kavalas.
lh/sti (dpa, afp)