Türkei sucht Journalisten Dündar mit Haftbefehl
5. Dezember 2018Ein Istanbuler Gericht stellte den neuen Haftbefehl gegen den früheren Chefredakteur der "Cumhuriyet" aus. Das meldet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die vom Istanbuler Generalstaatsanwalt angeordnete Maßnahme stehe im Zusammenhang mit Ermittlungen zu den großen regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013. Diese Kundgebungen hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan damals brutal niederschlagen lassen.
Seit einem Jahr in Haft ohne jede Anklage
Dem Bericht zufolge sieht der Staatsanwalt es als erwiesen an, dass Can Dündar Verbindungen zum prominenten Zivilgesellschaftsaktivisten Osman Kavala hatte, den die Regierung für einen Organisator der Gezi-Proteste hält. Der renommierte Geschäftsmann und Intellektuelle ist unter anderem Vorsitzender des Kulturinstituts Anadolu Kültür, das auch mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet. Trotz internationaler Proteste sitzt Kavala seit mehr als einem Jahr in türkischer Untersuchungshaft. Eine Anklageschrift gegen ihn gibt es nicht.
Wie Anadolu berichtete, soll Dündar mit Kavala zusammengearbeitet haben, um die Gezi-Proteste zu "organisieren" und "auszuweiten". Konkrete Beweise zeigten, dass Dündar "Chaos gestiftet" und Terroristen ermutigt habe. Der Staatsanwalt könne das belegen, weil es Einträge in sozialen Medien gebe und Telefongespräche mit Kavala. Dündar selbst streitet den Sachverhalt im Kern nicht ab. Er sei stolz darauf, mit den Gezi-Protesten in Verbindung gebracht zu werden.
Beileibe kein Einzelfall
Gegen Dündar läuft in der Türkei bereits ein Prozess wegen Terrorvorwürfen. Dabei geht es um "Cumhuriyet"-Artikel aus dem Jahr 2015, die Waffenlieferungen der türkischen Regierung an islamistische Rebellen in Syrien belegen sollen. Erdogan hatte bei seinem Besuch in Deutschland Ende September die Auslieferung von Dündar gefordert.
Ein weiterer türkischer Journalist sitzt in Rumänien in Auslieferungshaft. Kamil Demirkaya sei in Bukarest festgenommen worden, berichtet die rumänische Nachrichtenagentur Mediafax. Es gebe einen Auslieferungsantrag des türkischen Justizministeriums. Demirkaya arbeitete seit zwei Jahren für die Publikation "Zaman Romania", die kritisch in rumänischer Sprache über die Türkei berichtet.
Auch Deutsche Stiftung betroffen
Im Rahmen der neuen Ermittlungen zu den Gezi-Protesten geraten seit rund drei Wochen vor allem Aktivisten aus der Zivilgesellschaft ins Visier der Regierung. Die Kampagne traf aber auch eine deutsche politische Stiftung. Das islamistische Blatt "Yeni Akit" attackierte die der FDP nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung und warf ihr vor, "dunkle Mächte" zu unterstützen. Sie habe sich nun jener Organisationen angenommen, die bis vor kurzem noch vom "zionistischen Baron George Soros" finanziert worden seien. Darunter seien Schwulen- und Lesben-Organisationen, "ethnisch diskriminierende" Stiftungen oder als Liberale getarnte "Provokateure".
Die türkische Regierung hält neben Anadolu Kültür auch die Stiftung des Philanthropen George Soros, Open Society Foundation, und von ihm unterstütze NGOs für Organisatoren der Gezi-Proteste. Open Society hatte wegen der Angriffe auf ihre Arbeit und den jüdischen Gründer vor kurzem angekündigt, die Arbeit in der Türkei einzustellen.
Da kommt noch mehr Polarisierung
Der Leiter des Türkei-Büros der Naumann-Stiftung, Hans-Georg Fleck, bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass die Stiftung schon seit vielen Jahren mit den genannten Partnern zusammenarbeite. Fleck sah den Angriff von "Yeni Akit" gelassen. Bei der Zeitung handele es sich um ein extremistisches Blatt mit sehr kleiner Auflage. Außerdem sei die Türkei schon im Vorwahlkampf vor den Kommunalwahlen im März. "Da wird noch mehr Polarisierung kommen."
Aus ähnlichen Gründen war schon vor zwei Wochen eine weitere deutsche politische Stiftung ins Visier geraten. Zwei große regierungsnahe Zeitungen, "Daily Sabah" und "Star", hatten die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kritisiert.
Deutsche politische Stiftungen in der Türkei hatten während der jahrelangen schlechten Beziehungen zwischen Ankara und Berlin vermehrt unter Verunglimpfungen, Misstrauen und Arbeitsbehinderungen zu leiden. Im Zuge einer Wiederannäherung der Türkei an Deutschland seit Ende 2017 hatte sich die Lage nach Einschätzung einiger Stiftungschefs dann aber etwas entspannt.
haz/rb (dpa, afp)