Can Dündar: Stimme der anderen Türkei
28. September 2018In der Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist er nicht mehr erwünscht. Can Dündar ist türkischer Journalist, Dokumentarfilmer und Buchautor. Und er lebt seit knapp zwei Jahren in Deutschland, wo er für die Wochenzeitung "Die Zeit" die Kolumne "Meine Türkei" schreibt. Nicht freiwillig kam er, sondern weil ihn die politischen Verhältnisse in der Türkei zur Flucht gezwungen haben. Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 sind Journalisten in der Türkei nicht mehr sicher. Rund 130 Medienorganisationen wurden seither geschlossen, gut 170 Journalisten sitzen in Haft. Auch gegen Can Dündar laufen mehrere Gerichtsverfahren. Bei einer Rückkehr in seine Heimat droht ihm Haft im Gefängnis.
Dündar arbeitete als Journalist für verschiedene türkische Zeitungen, darunter die Boulevardzeitung "Hürriyet", das Politikmagazin "Nokta" und "Tempo" – ebenso wie später für die großen Tageszeitungen "Sabah" und "Milliyet", wo er viele Jahre als Kolumnist tätig war. Daneben moderierte und produzierte er TV-Sendungen für den Staatssender TRT und private Kanäle wie CNN Türk und NTV. Im August 2013 verlor Can Dündar seinen Job bei "Milliyet" wegen regierungskritischer Artikel über die landesweite Protestwelle anlässlich der Polizeigewalt gegen Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park.
Er wechselte daraufhin zur links-kemalistischen, überregionalen Tageszeitung "Cumhuriyet", wo er im Februar 2015 zum Chefredakteur aufstieg. In dieser Zeit schrieb er in einem Cumhuriyet-Artikel, dass der türkische Geheimdienst Waffen an syrische Islamisten geliefert habe. Dündar ist davon überzeugt, dass Präsident Erdogan ihm diese Recherche bis heute übelnimmt. In der Rückschau sagte Dündar in Deutschland: "Mit meiner Geschichte über die Waffenlieferungen habe ich eines von Erdogans größten Verbrechen aufgedeckt, ich denke, er will, dass ich dafür einen Preis bezahle." Erdogan stellte persönlich gegen Dündar Strafanzeige wegen des Berichts. Der 1961 in Ankara geborene Dündar hat Journalismus und Politikwissenschaften in Ankara studiert, ging später nach London für weitere Studien. Bereits damals hatte er sich auf das Innenleben der türkischen Geheimdienste spezialisiert.
Im vergangenen Winter veröffentlichte Dündar in Deutschland das Buch "Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil". Darin erzählt er in dreißig Kapiteln von den beruflichen wie persönlichen Wendungen, die sein Leben seit dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 genommen hat. Denn die auf die Ereignisse jener Nacht folgenden Verhaftungen von Lehrern, Staatsanwälten und Journalisten, das Gefühl, einer Hexenjagd auf kritische Intellektuelle beizuwohnen, bewogen Dündar dazu, von einem Spanienurlaub nicht in die Türkei zurückzukehren. Stattdessen bestieg er am 1. September 2016 in Barcelona ein Flugzeug nach Berlin, wo er seither im Stadtteil Kreuzberg lebt. Dündar ist seit 1988 mit der Journalistin Dilek Dündar verheiratet. Das Paar hat einen Sohn, der zum Studium nach London ging. Dündars Frau wurde im September 2016 durch Passentzug an der Ausreise nach Berlin gehindert.
Eigentlich wollte Dündar weiter in der Türkei für die dort unterdrückte Pressefreiheit kämpfen. Der gescheiterte Putschversuch, für den Staatspräsident Erdogan die Gülen-Bewegung verantwortlich macht, hat diese Pläne radikal geändert. Dündar gab seinen Chefredakteursposten bei "Cumhuriyet" zurück. In Abwesenheit begann gegen ihn ein Prozess wegen angeblicher Terrorunterstützung in der Türkei. Ende Oktober 2016 wurden mehrere Mitarbeiter der ältesten säkularen Zeitung des Landes festgenommen, darunter Dündars Nachfolger Murat Sabuncu.
Can Dündar avancierte durch seinen beharrlichen Widerstand gegen Erdogans autoritären Kurs zur Symbolfigur der unterdrückten türkischen Presse. Seit 2015 häuften sich die internationalen Auszeichnungen für ihn und die Zeitung, die 2016 den Alternativen Nobelpreis ("Right Livelihood Award") erhielt. Im Januar 2017 gründete Can Dündar gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv das Online-Magazin "Özgürüz", was auf deutsch und auf türkisch erscheint und den Menschen in der Türkei Zugang zu ungefilterten Nachrichten und kritischer Berichterstattung bieten soll. Die Website wird allerdings in der Türkei von der Behörde für Informationstechnologie gesperrt. Am 29. September 2017 wurde bekannt, dass die türkische Justiz bei Interpol vorstellig wurde, um nach dem in Deutschland lebenden türkischen Journalisten fahnden zu lassen.