Tötet das neue Urheberrecht die Memes?
26. März 2019Artikel 17, früher Artikel 13, der neuen EU-Richtlinie zum Urheberrecht wird von Medienexperten und Lobbyisten gleichermaßen kritisiert. Sie warnen vor Zensur ohne funktionierende Ausnahmen für Satire und kleine Unternehmen. Dadurch könnten auch legale Inhalte herausgefiltert werden und zu einer weiteren Monopolisierung des Internets führen.
"Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte anbieten, würden dadurch vollständig verändert werden", warnt Dr. Stephen Dreyer am Leibniz Institut für Medienforschung in Hamburg. Die Urheberrechtsreform wird zwar von großen Verlagen wie Axel Springer und Verwertungsgesellschaften wie der GEMA unterstützt. Medienrechtsexperten vom Science Media Center Germany in Köln warnen jedoch davor, dass die neue Richtlinie Meinungsfreiheit und Satire beeinflusse.
Julia Reda, Mitglied der Piratenpartei und des europäischen Parlaments, hat sich während der gesamten Legislaturperiode gegen diese Reform des Urheberrechts eingesetzt. Im Gespräch mit der DW sagt sie: "Der übergreifende Effekt dieses Vorschlags wäre, dass das Internet zu einer Art Fernsehen wird. Deutlich weniger Menschen und Plattformen wären in der Lage, Inhalte zu erstellen und zu teilen."
Artikel 17 soll nun das veraltete Urheberrecht der EU ablösen. Davon betroffen ist beinahe jedes Unternehmen, das nutzergenerierte Inhalte anbietet - und dazu gehören fast alle Internetseiten, auf denen Bilder hochgeladen werden können. Sie alle wären dann dafür verantwortlich, dass die hochgeladenen Inhalte kein Urheberrecht verletzen.
Das neue Gesetz sieht Upload-Filter zwar nicht explizit vor. Thomas Matzner, Professor für Medien, Algorithmen und Gesellschaft an der Universität Paderborn, zufolge sind solche Filter aber die einzig plausible Lösung für große Unternehmen. Nur so könnten diese sicherstellen, dass auf ihren Seiten urheberrechtsgeschützte Inhalte geblockt würden. Matzner warnt: "Das wird eine weitere Konzentration im Internet fördern. Viele kleine Initiativen und Start-ups werden darunter leiden, weil sie den Aufwand, den Artikel 17 mitbringt, nicht leisten können. Die vorgeschlagene Ausnahme für kleine Unternehmen gilt nur in den ersten drei Jahren."
Mehr zu den Protesten: Europaweite Demos gegen neues Urheberrecht
Es liegt am Algorithmus
Tobias Keber, Professor für Medienrecht an der Stuttgarter Hochschule der Medien, vergleicht Upload-Filter mit Facebooks Algorithmus zur Erkennung von Nacktheit. Dieser sei zwar ständig weiterentwickelt worden, habe aber immer noch Probleme, Nacktheit in künstlerischem Zusammenhang zu erkennen. Das Problem beschränke sich Keber zufolge aber nicht nur auf Fotos und Grafiken. "Das Urheberrecht beschäftigt sich mit einer Vielzahl verschiedener Fälle: Texte, Bilder, audio-visuelle Inhalte, Computerprogramme bis zu künstlerischem Tanz. Dass ein Algorithmus all diese verschiedenen Ausdrucksformen und Kontexte in Kritik, Satire und Zitaten korrekt erkennen kann, steht völlig außer Frage. So etwas können nur Menschen beurteilen, und das ist auch gut so."
Parlamentarierin Reda verweist auf ein Beispiel, das zeigt, dass Urheberrechtsfilter bereits jetzt übereifrig vorgehen. "Wir übertrugen live einen Protest gegen die neue Richtlinie aus Berlin vergangene Woche. Youtube erkannte in dem Video eine Verletzung des Urheberrechts aufgrund der Technomusik, die im Hintergrund lief. Dabei war das Video ein Beispiel für klassischen Videojournalismus. Diese Filter bedrohen also die freie Meinungsäußerung."
Was ist mit Memes?
Axel Voss, Mitglied des EU-Parlaments und Befürworter des Gesetzentwurfs, betont, dass Memes dank der sogenannten InfoSoc-Richtlinie von 2001 besonders geschützt seien. Forscher des Science Media Center argumentieren jedoch, dass Filter den Unterschied zwischen urheberrechtlich geschütztem Material und Satire wie Memes nicht erkennen können - und diese dann ebenso wie alle verbotenen Inhalte blockierten.
Dreyer warnt, dass die aktuellen Methoden des maschinellen Lernens die dafür notwendigen Variablen nur in äußerst begrenztem Umfang berücksichtigen könnten. Florian Gallwitz, Professor für Medieninformatik der technischen Hochschule Nürnberg, sagt: "Eine verlässliche, automatische Erkennung von Parodien und Zitaten ist aktuell nicht möglich. Kommen automatische Filter zum Einsatz, werden auch diese Inhalte unweigerlich blockiert."
Die Verfasser der Gesetzesvorlage sagen, dass diese nur kommerzielle Unternehmen treffen würde. Reda widerspricht dem und verweist darauf, dass im Falle einer Abmahnung Unternehmen und Nutzer zahlen müssten. So ein Fall könne etwa dann auftreten, wenn beispielsweise ein Fan einer Band ein unlizenziertes Lied in einer öffentlichen Facebook-Gruppe hochlädt.
Ungewollte Konsequenzen
Reda zufolge ist mit der Urheberrechtsreform auch jedes private Unternehmen, das nutzergenerierte Inhalte wie Bild- oder Audiodateien bereitstellt, für eventuelle Urheberrechtsverletzungen haftbar. Tinder oder Trip Advisor zum Beispiel könnten dazu gezwungen sein, Lizenzen für einfach alles, was in der Welt existiert, zu erwerben. Dies würde ihre Kosten massiv in die Höhe treiben.
Das erklärte Ziel der Reform ist es, illegale Verstöße zu verhindern und so Verlegern und Künstlern zu höheren Einnahmen zu verhelfen. Aber Reda warnt, dass der Schuss nach hinten losgehen könne. Die Internetseite Patreon etwa, die zahlenden Kunden Zugriff auf die Inhalte der dort vertretenen Künstler gewährt, müsste zusätzliche Kosten einplanen und könnte den Künstlern folglich weniger zahlen.
Marcus Liwicki, Professor am Lehrstuhl für Maschinelles Lernen der Lulea Universität in Schweden, warnt: "Das neue Gesetz ist grundsätzlich schwer umzusetzen. Es ist schlicht unfair, die Verantwortung für die Überwachung den Plattformen zuzuschieben. Gebrauchtwarenmärkte müssten zukünftig alle Waren überprüfen, ob es sich um Originale oder um Raubkopien handelt. Telefonanbieter müssten alle Konferenzanrufe kontrollieren, ob sie nicht urheberrechtlich geschützte Inhalte enthalten, sobald der Anruf mehr als X Teilnehmer erreicht."
Voss ist da anderer Meinung. Im Gespräch mit der DW sagt er: "Wir konzentrieren uns nur auf Plattformen, die wie Youtube das Urheberrecht verletzen - und nicht auf Dating-, Handels- oder Social-Media-Plattformen. Nur 1,5 Prozent der Internetplattformen werden betroffen sein."
Mehr dazu: Wie ein YouTube-Video über das Ende von YouTube Panik auslöste
Und was, wenn es andere Plattformen trifft, die nutzergenerierte Inhalte anbieten? "Wir alle müssen unsere gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Bei einer so großen Plattform wie Youtube muss man auf technische Lösungen zurückgreifen. Jeder hat diese Verpflichtung. Youtube hat ein Geschäftsmodell auf dem Besitz anderer aufgebaut, auf urheberrechtlich geschützten Inhalten. Wenn es der Plan dieser Plattform ist, Menschen Zugang zu geschützten Inhalten zu geben, dann müssen wir darüber nachdenken, ob so ein Geschäftsmodell existieren sollte. Das neue Gesetz verbessert die Lage für die europäischen Urheber."
Voss gibt aber auch zu, dass die aktuelle Version der Gesetzesvorlage nur sehr wenige explizite Ausnahmen vorsieht, etwa für Internetseiten, die nicht älter als drei Jahre sind.
Schaden für Nachrichtenseiten und Blogs?
Einen weiteren umstrittenen Punkt enthält Artikel 11. Dieser bezieht sich auf Nachrichten-Sammelseiten wie etwa Google News und könnte weitaus ernstere Nebenwirkungen haben. Artikel 11 setzt das Urheberecht auch auf Textinhalte wie Titelzeilen und Vorspänne um. Die Grundlage dafür ist ein deutsches Gesetz, dass selbst Voss als "nicht die beste Idee" bezeichnet.
Dieses Gesetzt zielt darauf ab, die Rechte von Journalisten und Nachrichtenseiten zu schützen. Als Spanien aber ein vergleichbares Gesetz verabschiedete, schaltete Google seine News-Seite dort komplett ab. In der Folge fanden deutlich weniger Nutzer zu den dortigen Nachrichtenseiten, brachten diesen weniger Klicks und damit auch weniger Umsatz.
Medienforscher Kerber warnt: "Das Gesetz hat nicht schon nicht funktioniert in Spanien, wo Google News einfach abgeschaltet wurde, und in Deutschland, wo Nachrichtenseiten aus Sorge, nicht mehr gelistet zu werden, Google freie Lizenzen gaben."