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Politik

Generation Youtube entdeckt ihre analoge Macht

Fabian von der Mark
22. März 2019

Deutschlands Netzgemeinde treibt die Politik vor sich her. Ihre Demonstrationen gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform machen auch die Debatten über Uploadfilter und Zensur im Netz politischer.

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Demonstration zum Artikel 13 vor der CDU Zentrale
Diese Demonstranten vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin werden wohl künftig nicht mehr CDU wählen Bild: DW/F. von der Mark

Ein nasskalter Märzabend in Berlin. Rund 2000 Demonstranten sind vor die Parteizentrale der Christdemokraten gekommen. Viele sind sehr jung und zum ersten Mal auf einer Demo. Ihr Slogan "Nie wieder CDU" geht seit Wochen als Hashtag durch die Sozialen Medien. Für die Regierungspartei ist der Protest ein Alarmzeichen mitten in einem wichtigen Wahljahr.

Die Demonstranten fürchten, dass die neue Regeln aus Brüssel ihren freien Zugang zu Inhalten im Internet beschränken würden. Seit Jahren arbeiten Beamte und Politiker daran, das alte Urheberrecht an die digitale Zeit anzupassen. Die Werke von Künstlern und Kreativen sollen auch im Internet besser geschützt werden.

Deutschlandweit gehen Gegner des neuen Urheberrechts auf die Straße – allein am 23.3. waren es Zenhtausende. Die Helden der deutschen Schulhöfe mobilisieren über Twitter und Youtube. Figuren wie "Rezo", der sonst im Netz singt, "HerrNewstime" mit seinem Nachrichtenkanal oder "Br4mm3n" der Computerspiele streamt. In der Politik spielen sie sonst keine Rolle, im Internet haben allein die drei rund fünf Millionen Anhänger.

Youtuber Dennis Brammen
Dennis Brammen ist Youtuber und hat den Aufruf #CallEU gestartetBild: Youtube/Dennis Brammen

Die Youtuber - ein schlafender Riese wacht auf

"Br4mm3n" heißt eigentlich Dennis Brammen und hat mit Freunden den Spiele-Kanal Pietsmiet gegründet. Der 31-jährige "Gamer" nennt sich zwar selbst Schreihals, der Aufruf gegen die EU-Urheberrechtsreform ist für Brammen trotzdem untypisch.  Am Tag der "Nie mehr CDU"-Demo twitterte er: "Hättest du mich vor vier Jahren mal gefragt, ob ich mich mal politisch engagiere, dann wäre meine Antwort nur gewesen. "What the fuck, geh weg!"

Brammen glaubt, die Politiker bräuchten "pressure", also Druck von außen, weil sie sich "der Tragweite des Themas" nicht bewusst seien. Er ruft deshalb Abgeordnete an und erklärt ihnen, dass sie gerade eine "Zensurmaschine" ins Internet einbauten. Auch seinen Followern rät er auf Youtube, Politiker anzurufen.

Jenna Behrends müsste Brammen nicht anrufen. Behrends ist zwar CDU-Politikerin, beim Urheberrecht steht sie aber auf der Seite der Demonstranten. Die 28-Jährige fürchtet, ihre Partei könne für eine ganze Generation "unwählbar" werden. Viele ältere Kollegen hätten die Wichtigkeit des Themas unterschätzt, glaubt Behrends. Die Netzgemeinde würde "riesige Diskussionen" führen, müsste aber erst auf die Straße gehen, um gehört zu werden. "Das fand ich sehr traurig", sagt Behrends.

In Deutschland wird vor allem über Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform gestritten. Der Artikel besagt, dass in der EU künftig Plattformen wie Youtube und Facebook dafür verantwortlich sind, dass Urheberrechte eingehalten werden. Bisher tragen die Nutzer, die etwas hochladen, diese Verantwortung. Würde die Richtlinie kommen, müsste Youtube dafür sorgen, dass Songs oder Videos, für die es keine Rechte hat, nicht mehr auf die Seite kommen.

Das große Reizwort Uploadfilter

Weil bei Youtube pro Minute rund 450 Stunden Videomaterial hochgeladen werden, kann eine lizenzrechtliche Prüfung nur technisch stattfinden; egal, ob man dann, wie Dennis Brammen, von einer "Zensurmaschine", von einer Software oder von einem "Uploadfilter" spricht. Zwar könnten Plattformen auch einfach die Rechte für alles kaufen, aber da nicht jeder verkaufen wird, braucht es wohl die Filter.

Dennis Brammen ist selbst für mehr Urheberrecht, fürchtet aber, dass nach den EU-Plänen alle Inhalte "nach Gutdünken" gefiltert würden. Brammen fragt sich auch, wie eine Software erkennen will, was Satire oder ein Zitat ist - denn die wären nach Artikel 13 erlaubt. Der Kölner Youtuber will verhindern, dass eine Maschine über Fälle entscheidet, "die sonst bis vors Gericht gehen würden".

Musiker Alexander Dommisch
Alexander Dommisch spielt in Berliner Bands, hat ein Plattenlabel und vertritt Komponisten in der GEMABild: DW

Den besorgten digitalen Kreativen, stehen analoge Kreative wie der Gitarrist Alexander Dommisch gegenüber. Es ist dem Berliner Musiker wichtig, dass er mitverdient, wenn andere mit seinen Songs im Netz Geld machen. Deshalb ist er für die Reform. Die Argumente der Youtuber findet er polemisch. Kleine Plattformen seien nicht betroffen, und große würden ohnehin schon filtern: "Sonst wäre Youtube voll von Pornographie und Netflix-Filmen", sagt der Gitarrist.

Knicken die Politiker vor der Europawahl ein?

Dommisch hat Angst, dass die Politik auf den letzten Metern vor der Netzgemeinde einknickt. In der aufgeheizten Stimmung sei es "einfacher, auf diesen Zug aufzuspringen". Er und die anderen Anhänger der Reform hätten Probleme durchzudringen. "Die Urheber sind im Verhältnis zu der Masse an Menschen, die im Internet ihre Meinung schreiben, leider zu wenig und auch zu leise", so Dommesch.

Ob mit Blick auf die Wähler von Morgen oder aus Überzeugung: Deutschlands Opposition ist inzwischen gegen Artikel 13 und die Regierungsparteien schlingern. Im Koalitionsvertrag hatte sich Merkels Regierung gegen Uploadfilter ausgesprochen, in Brüssel dann aber dafür gestimmt.

Seitdem rückt die große Koalition vorsichtig von der Reform ab – wohl auch auf Druck aus dem Netz. Auf die "Nie Wieder CDU"- Demo hat die CDU mit einem eilig gezimmerten Papier gegen Uploadfilter in Deutschland reagiert. Der Netzgemeinde war das nicht genug. Sie fordern ein Nein der Konservativen auf europäischer Ebene. Das wollen jetzt plötzlich auch die deutschen Sozialdemokraten.

BERLIN Protest gegen Uploadfilter und EU-Urheberrechtsreform
Artikel 13-Gegner fürchten, Videos einer Demo blieben wegen der Hintergrundmusik im Uploadfilter hängen.Bild: picture alliance/dpa/C. Soeder

Für die Gegner der Reform könnte es gerade nicht besser laufen. Die Gegner, das sind Youtuber, Netzpolitiker und Internetaktivisten wie der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, oder Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Gegner sind aber auch die großen US-Konzerne Facebook und Google, das Youtube besitzt.

Youtube macht den Nutzern Angst

Youtube-Chefin Susan Wojcicki versucht, "Creators", also Youtuber, für ihre internationale Kampagne "Rettet das Internet" zu rekrutieren. Das neue Urheberrecht stelle "eine klare Bedrohung für euren Lebensunterhalt und eure Möglichkeit dar, euch weltweit Gehör zu verschaffen" dar, erklärte sie in einem Brief.

Für Reformbefürworter wie Fred Breinersdorfer ist Wojcickis Warnung vor Zensur "ein mieser Trick". Der Autor glaubt, die großen Plattformen würden aus rein wirtschaftlichem Interesse "die Kids aufhetzen" und Angst verbreiten.

Dennis Brammen widerspricht dem Vorwurf, sie würden "als Armee von Facebook, Google und Co. auf die Straße gehen". Ganz im Gegenteil würden sie für kleine Firmen kämpfen, die keine Lizenzverhandlungen führen könnten und stattdessen teure Uploadfilter von den Branchenriesen Google und Facebook kaufen müssten. Diese Position hört man inzwischen auch von Regierungsvertretern.

Ob sie es für möglich gehalten haben oder nicht: Brammen und die anderen Gegner von Artikel 13 haben die Debatte mit Macht ins Zentrum der Berliner Politik gebracht. Jetzt hoffen sie auf ein Nein des europäischen Parlaments nächste Woche. Es wäre eine Machtdemonstration der Generation Youtube.