Tynan: Zentralasien ignoriert Gefahr durch IS
23. Januar 2015Der Kriegszug der radikal islamische Gruppe IS hat auch für die zentralasiatischen Länder Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan Folgen: Der jüngste Bericht der International Crisis Group (ICG) zeigt, dass der IS im überwiegend muslimisch geprägten Zentralasien ein regionales Netzwerk aufbaut. Tausende Zentralasiaten hätten außerdem ihre Heimatländer bereits in Richtung Syrien verlassen, um für den Islamischen Staat zu kämpfen, so der Bericht "Syria Calling: Radicalization in Central Asia".
DW: Frau Tynan, woher kommen die Unterstützer für den Islamischen Staat?
Deirdre Tynan: Die Regierungen der zentralasiatischen Staaten gehen aktuell von einigen hundert IS-Anhängern aus. Die westlichen Behörden schätzen die Zahl auf 2000. Es könnten aber auch bis zu 4000 Menschen sein.
Berichten zufolge soll die zahlenmäßig größte Anhängergruppe Usbeken sein. Das Turkvolk lebt im Ferghanatal (Eine dicht bewohnte Senke, die sich auf die Staatsgebiete von Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan erstreckt, Anm. d. Red.) und in der Stadt Osch im Süden von Kirgisistan. Schätzungsweise haben rund 1000 Männer und Frauen die Region verlassen. Sie kämpfen in Syrien für den IS und unterstützen die Organisation.
Die Anzahl der Rückkehrer aus Syrien beläuft sich auf weit über 2500 - nicht auf 500, wie die usbekische Regierung in Tashkent jüngst bekannt gab.
Wie würden Sie den typischen IS-Unterstützer aus der Region beschreiben?
Man kann kein Profil für einen typischen Unterstützer erstellen. Die Regierungen dort ignorieren einfach, dass IS ein breites Spektrum anspricht: 17-jährige Friseure, erfolgreiche Geschäftsleute, von Ehemännern verlassene Frauen oder auch Familien, die glauben, dass ihre Kinder in einem Kalifat bessere Chancen haben würden, genauso wie junge Männer, Schulabbrecher und Studenten.
Alle sind fasziniert von dem Glauben, dass der Islamische Staat eine bessere Alternative bieten könnte als das Leben in der nachsowjetischen Zeit. Für den IS ist es einfacher, Nachwuchs in Zentralasien zu rekrutieren als in Afghanistan und Pakistan.
Was sind außerdem die Gründe, die Heimat zu verlassen und den IS zu unterstützen?
Sie werden zum Teil dadurch angetrieben, dass sie gesellschaftlich ausgegrenzt sind und nur mangelnde Aussichten auf Wohlstand haben. Wirtschaftliche Anreize spielen allerdings keine so große Rolle für diejenigen, die sich in die vom IS kontrollierten Gebiete begeben. Einige suchen das persönliche Abenteuer, andere wollen schlicht zu den Waffen greifen.
Die Radikalisierung der Frauen ist eine Reaktion darauf, dass sie nicht am gesellschaftlichen, religiösen, wirtschaftlichen und politischen Leben in den zentralasiatischen Ländern teilnehmen können.
Doch der IS appelliert nicht nur an kampfbereite Menschen, sondern auch an diejenigen, die sich nach einem frommen, religiösen Leben sehnen. Die IS-Sympathisanten in Zentralasien sind vor allem von einer extremistischen religiösen Ideologie getrieben. Das Wachstum solcher radikaler Tendenzen wird noch verstärkt durch mangelhafte religiöse Bildung und Klagen über die Politik der säkularen Regierungen. Obwohl sozio-ökonomische Faktoren mit hinein spielen, ist also der Hauptgrund dafür, dass sich viele Zentralasiaten von IS angezogen fühlen, das ideologische Bekenntnis zum Dschihad, dem Heiligen Krieg zur Verteidigung des Islams.
Wie werden die Menschen rekrutiert?
Die Rekrutierung findet in den Moscheen und Gebetsräumen statt. Das Internet und die sozialen Medien spielen zwar eine Rolle, aber keine entscheidende.
Andere werden zu Hause rekrutiert und im Ausland radikalisiert, sehr oft als Gastarbeiter. Die Menschen werden zunächst in Zentralasien, Russland und der Türkei angeworben und besuchen dann die Koranschulen in Ägypten, Saudi Arabien oder Bangladesch.
Mundpropaganda ist das mächtigste Instrument. Wenn ein Familienmitglied in eine vom IS kontrollierte Region ausreist, folgen meist mehrere andere. Soziale Medien stellen die Verbindung zwischen den Extremisten in Syrien und den Interessenten in Zentralasien her. Die Zellen in Zentralasien sind klein, geheimnisvoll und oft eine Erweiterung der Gebetsgruppen.
Wie reagieren die zentralasiatischen Regierungen darauf?
Tadschikistan und Kasachstan haben bereits Gesetze verabschiedet, die die Kampfeinsätze der Extremisten im Ausland unter Strafe stellen. Diese Gesetze sind jeweils seit Juli 2014 bzw. seit Januar 2015 in Kraft.
Usbekistan hat seit Januar 2014 die Terrorausbildung jeglicher Art verboten; eine örtliche Beschränkung ist darin nicht genannt. Allerdings wurde das Gesetz gemeinhin so interpretiert, dass es auf Kämpfer abzielt, die auf ausländischem Boden ausgebildet werden.
Im September 2014 stimmte das Parlament in Kirgisistan der Änderung des Strafgesetzbuchs zu. Die Teilnahme an Konflikten, Militäroperationen oder Terrorausbildung im Ausland wird mit acht bis 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Allerdings fehlt noch die letzte Unterschrift, bevor das Gesetz in Kraft treten kann.
Überdies hilfreich wären Programme für Rückkehrer. Aber den zentralasiatischen Regierungen fehlen die Ressourcen und offensichtlich auch der politische Wille, solche Programme aufzustellen. Zwar sind sie sich der Gefahr bewusst, dass die Rückkehrer ihre Herrschaft gefährden können, aber die Wurzel für die Probleme wollen sie nicht anpacken.
Vorbeugende Maßnahmen und Rückkehrerprogramme stehen noch nicht hoch auf der Agenda. Junge Menschen haben keine Chance, am politischen und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben - das führt zur Radikalisierung. Und schlecht ausgebildete Imame kämpfen vergeblich, der Verherrlichung des Dschihad im "Islamischen Staat" Konkurrenz zu machen.
Deirdre Tynan ist Projektdirektorin für Zentralasien bei der International Crisis Group.