Tschad: entschlossen gegen Boko Haram
16. Juni 2015Dutzende Polizisten verstärken die Sicherheit auf den Straßen der tschadischen Hauptstadt N'Djamena. Nach dem Doppelanschlag vom Montag soll kein Zweifel bestehen, wer das Sagen hat. Die Bevölkerung solle ruhig bleiben, verkündet die Regierung, die Situation sei unter Kontrolle. Die Bombenanschläge vor dem Polizeihauptquartier und der Polizeischule hatten mindestens 23 Menschen getötet und Dutzende verletzt. Auch wenn sich bisher niemand zu den Taten bekannt hat, stehen die Schuldigen für die Regierung schon fest: Die islamistische Miliz Boko Haram, die ihre Hochburg in Nordostnigeria hat, wolle sich dafür rächen, dass der Tschad seit Monaten eine regionale Offensive gegen sie anführt.
"Diese Attacken, die darauf abzielten, die Bevölkerung in Angst zu versetzen, werden die Entschlossenheit des Tschad im Kampf gegen den Terrorismus nicht schmälern", verkündete die Regierung. Bereits vor gut einem Jahr schickte das Land Soldaten nach Nigeria, Niger und Kamerun folgten nach. Vergangene Woche beschlossen Nigeria und dessen Nachbarländer über eine gemeinsame Einsatztruppe von knapp 9000 Soldaten. Geplantes Hauptquartier: N'Djamena. "Die Angriffe werden den Tschad in seiner Strategie bekräftigen", sagt der kamerunische Zeitungsverleger Guibai Gatama der Deutschen Welle. Bis vor Kurzem habe der Tschad sich in Sicherheit gewogen. Die Anschläge hätten nun die Verletzbarkeit des Landes gezeigt. "Der Tschad weiß nun, dass das Problem ihn betrifft und dass er Teil der Lösung sein muss", so Gatama.
Seit Jahren terrorisiert Boko Haram Nigeria. Erklärtes Ziel ist es, islamisches Recht im ganzen Land durchzusetzen. Zuletzt ging es auch um Gebietsgewinne. Bis Anfang des Jahres hatte die Miliz große Teile des Grenzgebiets zu Niger und Tschad eingenommen. Die internationalen Truppen konnten den Vormarsch schließlich stoppen. "Die Sekte musste viele Schläge von der tschadischen Armee hinnehmen. Es war nur zu erwarten, dass sie irgendwann zurückschlagen würde", sagt Verleger Gatama.
Angriff auf einen Sicherheitsstaat?
Es war das erste Mal, dass der Tschad selbst Ziel eines Anschlags wurde. Das hänge auch mit dem militärischen Führungsstil von Präsident Idriss Déby zusammen, sagt Sebastian Elischer vom GIGA-Institut für Afrikaforschung in Hamburg. "Der Tschad wurde in den letzten 25 Jahren autokratisch regiert. Die Sicherheit ist also per Definition schon sehr hoch." Elischer hält es für wahrscheinlich, dass Déby nun die Gelegenheit nutzen werde, um hart durchzugreifen - nicht nur gegen Terroristen, sondern "auch gegen vermeintliche Terroristen".
Am Tag nach dem Anschlag gab es dafür schon viele Anzeichen. Polizeihauptquartier und Präsidentenpalast wurden großflächig abgesperrt. In der Nähe von Märkten, Kirchen und Moscheen führte die Polizei Fahrzeugkontrollen durch. Autos mit getönten Scheiben wurden von den Straßen verbannt. Doch die Regierung sieht es nicht gerne, wenn man ihre Sicherheitspolitik hinterfragt. Von der DW auf die Bedenken angesprochen, der Tschad könne nun Bürgerrechte einschränken, reagiert Kommunikationsminister Hassan Sylla Bakari empfindlich. "Ihnen geht es nur darum, Chaos in unseren afrikanischen Staaten zu stiften", sagt er dem DW-Reporter am Telefon. Der Staat reagiere angemessen auf die Bedrohung. "Diese Sekte führt einen Krieg", so Bakari über Boko Haram, "aber es ist kein normaler Krieg. Es ist ein Krieg von Feiglingen."
Freie Hand im Kampf gegen den Terror?
Dass es sich bei den Attentätern wirklich um Boko-Haram-Kämpfer handelte, hält Sebastian Elischer für plausibel, aber nicht für ausgemacht. Es könne sich genauso auch um Sympathisanten innerhalb des Tschad handeln oder für Mitglieder einer Rebellengruppe, die 2008 vergeblich versuchte, gegen Déby zu putschen. Er sei aber "nicht verwundert, dass der Tschad die Schuld gleich auf Boko Haram schiebt. Schließlich war es die Sicherheitskrise im Nachbarland Nigeria, die Idriss Déby als richtigen Staatsmann erscheinen ließ und nicht als den Rebellenführer, der er ist." Déby hatte 1990 gegen den Diktator Hissène Habré geputscht und war kurz darauf zum Präsidenten ernannt worden.
Die Anschläge in N'Djamena sind für Elischer ein Anzeichen dafür, dass es Präsident Déby im Kampf gegen den Terrorismus nicht nur mit einem nigerianischen Problem zu tun habe. Boko Haram habe im Tschad viele Sympathisanten und rekrutiere sich auch aus der Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenzen. Im Bund mit Nigeria und dessen anderen Nachbarländern Niger, Kamerun und Benin sei man der Miliz zwar militärisch überlegen. Doch durch die Übermacht allein könne man Anschläge nicht komplett ausschließen. Ähnlich sieht es der kamerunische Verleger Gatama. Die Grenzen seien durchlässig, die Bevölkerungsgruppen auf allen Seiten die gleichen: Die Region müsse sich auf weitere Anschläge gefasst machen.
Mitarbeit: Carole Assignon, Fréjus Quenum, Asumpta Lattus