Investitionen trotz Sanktionen
29. September 2017Neben seinem langjährigen Engagement für Gazprom steigt Gerhard Schröder bei einem weiteren russischen Energieriesen ein: Rosneft. Der Altbundeskanzler wurde bei der Aktionärsversammlung am Freitag in St. Petersburg zum Aufsichtsratsvorsitzenden des größten russischen Öl- und Gaskonzerns gewählt. Das Unternehmen, das zu etwa 70 Prozent dem russischen Staat gehört, steht wegen Moskaus Vorgehen in der Ukraine auf der Sanktionsliste der Europäischen Union, lässt sich aber davon nicht beeindrucken. Schröder habe sich für Geschäfte zwischen Deutschland und Russland erfolgreich eingesetzt und solle bei der Expansion in Europa helfen, sagte Rosneft-Chef Igor Setschin.
Seit Anfang 2017 besitzt Rosneft Mehrheitsanteile an der Erdölraffinerie PCK im brandenburgischen Schwedt sowie kleinere Aktienpakete von Raffinerien in Süddeutschland. Im Mai eröffnete der Konzern eine Tochtergesellschaft in Berlin und kündigte Investitionen in Höhe von 600 Millionen Euro an.
Begehrte Gasspeicher
Rosneft trage zusammen mit Gazprom mehr als die Hälfte russischer Investitionen in Deutschland, schätzt Ulrich Umann, Russland-Experte bei Germany Trade and Invest (GTAI), einer Agentur im Bundeseigentum. Beide seien mit Abstand die größten unter den rund 1770 russischen Unternehmen, die in Deutschland vertreten sind. Auch Gazprom, ebenfalls mit westlichen Sanktionen belegt, drückt aufs Tempo. "Da sind die Gaspipelines Nord Stream I und II (geplante Fertigstellung 2019 - Anm.d. Red.), die Übernahme von Gasspeichern und der Versuch, in Gaskraftwerke zu investieren, was bisher am politischen Widerstand gescheitert ist", sagt Umann.
Zu den großen Deals der letzten Jahre zählt der 2014 von der Bundesregierung gebilligte Verkauf der RWE-Tochter Dea in Hamburg, die Öl und Gas fördert, an den russischen Oligarchen Michail Fridman. Dea verfügt unter anderem über Gasspeicher in Süddeutschland. In der Statistik russischer Investitionen taucht dieses Milliarden-Geschäft allerdings nicht auf, denn Dea wurde von Fridmans LetterOne mit Sitz in Luxemburg erworben.
Anstieg bei Direktinvestitionen
Über den Umfang russischer Investitionen in Deutschland gibt es unterschiedliche Angaben. Die jüngste Statistik veröffentlichte im April 2017 die Deutsche Bundesbank. Deren Daten basieren auf Direktinvestitionsbeständen (FDI Stocks). "Sobald ein russisches Unternehmen zehn Prozent der Anteile oder der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen hält, muss dieses Unternehmen das der Bundesbank mitteilen", erklärt Andreas Bilfinger, ebenfalls von der GTAI.
Nach Angaben der Bundesbank sind russische Investitionen in der Bundesrepublik von 2,560 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 3,461 Milliarden im Jahr 2015 angestiegen. Besonders 2014, also im Jahr des russisch-ukrainischen Konfliktes, war der Sprung nach oben deutlich.
Andreas Steininger, Russland-Experte beim Ostinstitut in Wismar, nennt zwei möglicher Gründe für diesen Anstieg. "Es waren Unternehmen, die schon vor der Krise investiert hatten", so Steininger. "Diese Investitionen wurden nicht sofort zurückgezogen". Außerdem hätten viele Russen nach der Krise in Immobilien im Ausland investiert, auch in Deutschland.
Russland vor anderen BRICS-Staaten
Der Spitzenreiter bei Direktinvestitionen in der Bundesrepublik sind die Niederlanden mit fast 100 Milliarden Euro. Russland belegt im Ranking der Bundesbank Platz 16. Dabei investiert es mehr, als die anderen vier BRICS-Staaten zusammen (BRICS steht für die Anfangsbuchstaben von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika).
Andere Zahlen hat das Wirtschaftsministerium in Moskau. So sind russische Direktinvestitionen in Deutschland von rund einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2014 um mehr als 60 Prozent auf 393 Millionen im Jahr 2016, zurückgegangen, teilte das Ministerium auf DW-Anfrage mit. Ulrich Umann von der GTAI nennt neben dem schwachen Rubel auch "politischen Druck" in Moskau als denkbare Ursache: "Das Anlegen von Kapital im Ausland wird nicht mehr gern gesehen".
IT auf dem Vormarsch
Sergej Nikitin, der die Niederlassung der russischen Industrie- und Handelskammer in Berlin leitet, sieht einen Strukturwandel bei russischen Investitionen. "Früher gab es Investitionen, um Anlagenlieferungen zu besorgen", sagt Nikitin. "Jetzt gibt es mehr Start-Ups, IT-Firmen, die in Russland keinen Markt für ihre Produkte finden und in Deutschland einen passenden Standort in Europa sehen".
Das bestätigt auch die GTAI-Statistik. Wenn man auf so genannte Greenfield Projects schaut, also keine Beteiligungen an bestehenden Unternehmen, sondern Neuansiedlungen, dann fällt auf, dass Russen vor allem in den IT-Bereich investieren. GTAI schätzt diesen Anteil bei neuen Projekten zwischen 2011 und 2016 auf 17 Prozent.
Bayern als Lieblingsstandort
Es sind nicht nur Big Players wie Kaspersky Lab dabei, sondern auch weniger bekannte Namen, Firmen wie Data Matrix. Das IT-Unternehmen aus Sankt Petersburg, das Software für klinische Forschungen entwickelt, gründete 2017 in München eine Tochtergesellschaft. RTSoft aus Moskau tat dasselbe vor zwei Jahren, ebenfalls in der bayerischen Hauptstadt. Die Firma ist einer der Pioniere der IT-Branche in Russland und entwickelt unter anderem Software für die deutsche Autoindustrie und den Maschinenbau.
"Wir wollten mehr direkten Kontakt zu Kunden in Deutschland und Europa haben", begründet RTSoft-Geschäftsführerin Olga Sinenko den Schritt. Zuletzt habe die Firma neue eigene Produkte entwickelt, etwa zur Steuerung der Energieversorgung beim Einsatz erneuerbarer Energien.
Bayern scheint einer der bevorzugten Standorte für russische Unternehmen zu sein. Invest in Bavaria, die Investitionsagentur des Freistaats Bayern, schätzt deren Zahl auf rund 350. "Seit ein paar Jahren merken wir, dass sich nicht nur russische Großunternehmen und Konzerne für eine Ansiedlung in Bayern interessieren", sagt Svetlana Huber von Invest in Bavaria. "Viele Anfragen erhalten wir momentan auch von russischen Start-Ups, die weltweit expandieren".
Indirekte Sanktionsfolgen
Ob die Sanktionen zwischen EU und Russland einen Einfluss auf russische Investitionen haben? "Kaum", sagt Svetlana Huber. Olga Sinenko von RTSoft berichtet, die Firma sei von Sanktionen eher indirekt betroffen: "Nicht alle Kunden sind bereit, weiter mit uns zu arbeiten, auch wenn es formell nicht unter Sanktionen fällt". Manche deutsche Kunden wünschen sich deutsche statt russische Programmierer, sagt Sinenko. Das sei jedoch unrealistisch, denn das würde das Geschäftsmodell schwächen, das auf niedrigere Personalkosten in Russland setze. Insgesamt sei man aber mit der Präsenz auf dem deutschen Markt "sehr zufrieden".