An die Macht mit den Stimmen der AfD
5. Februar 2020Rote Rosen, gelbe Gerbera, weißes Schleierkraut, dazwischen viel Grün. Mit diesem Blumenstrauß hatte Susanne Hennig-Wellsow dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten eigentlich zur Wahl gratulieren wollen. Doch alles kam anders an diesem Mittwoch im Erfurter Landtag. Die Vorsitzende der Thüringer Linkspartei ging auf Thomas Kemmerich von der FDP zu, zögerte einen kurzen Moment und warf dem frisch vereidigten Ministerpräsidenten dann die Blumen vor die Füße.
Warum diese Wut? Von Zockerei sprach Hennig-Wellsow, von einem Trick, davon, dass die Wahl Kemmerichs "von langer Hand geplant" gewesen sei. Nun sei "ein Fünf-Prozent-Mensch" Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Kemmerichs Partei war bei der Landtagswahl im Oktober nur ganz knapp ins Parlament eingezogen. Umso überraschender, dass der bisherige Ministerpräsident, der Linken-Politiker Bodo Ramelow im dritten Wahlgang gegen den FDP-Mann verlor. Kemmerich erreichte hauchdünn eine Mehrheit von 45 Stimmen, darunter neben Stimmen von FDP und CDU alle 22 Stimmen aus den Reihen der AfD. Sie steht in Thüringen überwiegend für eine völkisch-nationalistische Politik.
Nichts aus der Geschichte gelernt?
Die Parteispitze der Bundes-CDU ist über das Ergebnis entsetzt. "Das Verhalten der CDU im dritten Wahlgang geschah ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei, das will ich nochmal ganz klar stellen", erklärte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, um dann mit ihrer Kritik nachzulegen: "Dies ist kein guter Tag, dies ist kein guter Tag für Thüringen, dies ist kein guter Tag für das politische System in Deutschland." Es sei falsch, dass sich der thüringische Ministerpräsident ohne eigene Mehrheit zur Wahl gestellt habe. "Es ist genauso falsch, dass es jetzt einen Ministerpräsident gibt, der mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist." Das CDU-Präsidium empfiehlt in Thüringen sogar einstimmig Neuwahlen. Dies sagte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwochabend in Straßburg.
Im Gespräch mit der DW sprach der Bundesvorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, von einem "schwarzen Tag". CDU und FDP hätten sich als Steigbügelhalter für die AfD betätigt. "Wir haben das ja schon einmal erlebt, dass in den 1920er Jahren der bürgerliche Block zu den Nazis übergelaufen ist und erst ermöglichte, dass Hitler die Macht übertragen bekommen hat." Man habe gedacht, so etwas dürfe sich nie wiederholen. "Da muss man aus der Geschichte gelernt haben. Offensichtlich haben weder die FDP noch die CDU aus der Geschichte gelernt."
Vor der Wahl hätten sie beteuert, sich nicht von der AfD wählen zu lassen. "Dadurch haben sie jetzt ein enormes Chaos angerichtet." Jubel könne das nur bei der AfD auslösen. "Die sagen schon jetzt, ohne sie wird es keine bürgerliche Mehrheit mehr geben", so Riexinger. "Und wir sind uns doch hoffentlich darüber im Klaren, dass ihr Thüringer Vorsitzender Höcke schwer zum bürgerlichen Lager zu zählen ist, sondern dass er eindeutig rechtsradikal ist und dass er faschistische Züge in sich trägt."
Handschlag von rechts
"Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke", sagte Kemmerich nach seiner Wahl. "Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen", es werde weder eine Koalition noch ein Angebot für eine Zusammenarbeit geben. Und dennoch: AfD-Landeschef Björn Höcke hatte wohl Kemmerichs Wahl eingefädelt, ob mit oder ohne Wissen des FDP-Kandidaten. Das Bild vom Handschlag zwischen Höcke und Kemmerich nach der Wahl sorgt nun auch in Berlin für Aufregung. Denn der Handschlag steht für eine Annäherung zwischen AfD und den bürgerlichen Parteien FDP und CDU. Beide schließen eine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen eigentlich aus.
"Erhebliche Zerwürfnisse" für die Große Koalition sagt auch der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun im Gespräch mit der DW voraus. "Wenn die CDU hier nicht klare Kante zeigt, dann bin ich nicht sicher, ob die Große Koalition noch fortbestehen kann." Beim Koalitionspartner SPD würden nun Stimmen laut, die sagten: Eine Partei, die mit Höcke zusammenarbeitet, können wir nicht mehr stützen. "Das Problem verschärft sich dadurch, dass mit Björn Höcke auch noch der Kopf des völkisch-nationalistischen Flügels der AfD hinter diesem Coup steht", so Jun. "Das hätte also massive Konsequenzen für die Bundespolitik."
Das bürgerliche Lager: zerstritten
Die Reaktionen auf die Wahl Kemmerichs innerhalb des bürgerlichen Lagers zeigen die Zerstrittenheit über den Umgang mit der AfD. Selbst innerhalb von Kemmerichs Partei FDP wird Unmut laut. Der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum bezeichnete die Wahl Kemmerichs als "katastrophalen Dammbruch". Kemmerich hätte sich nicht zur Wahl stellen und diese "erst recht nicht annehmen dürfen", so Baum zur Augsburger Allgemeinen. Die AfD komme dadurch indirekt in Regierungsverantwortung und werde "einen Preis fordern".
Er hätte sich alles anders gewünscht, sagt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Selle aus Thüringen der DW. "Ich bin nicht glücklich darüber." Einige seiner Parteikollegen sehen das jedoch anders und gratulierten Kemmerich über die Sozialen Netzwerke, so etwa der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte. Dorothee Bär von der Schwesterpartei CSU, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, gratulierte Kemmerich zunächst per Twitter, löschte ihren Tweet dann jedoch wenig später.
Ganz allein an der Macht?
Wie lange Thomas Kemmerich, der zweite liberale Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik, an der Macht bleibt, ist mehr als offen - besonders, da das CDU-Präsidium einstimmig Neuwahlen empfiehlt. FDP-Bundeschef Christian Lindern appellierte an CDU, SPD und Grüne, nun mit Kemmerich zusammenzuarbeiten. Sollten sie sich dem "fundamental verweigern, dann wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig", so Lindner. Unabhängig davon sieht CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer "keine stabile Grundlage für den jetzt gewählten Ministerpräsidenten." Die Blumensträuße und Handschläge im Erfurter Landtag - sie könnten also schon bald wieder neu verteilt werden.